7. September 2019
Diverse Orte – Baden
Website: fantoche.ch
Für die meisten Besucherinnen und Besucher des Fantoche ist der Samstag der intensivste Tag. Endlich musste man nicht zur Arbeit erscheinen, endlich durfte man sich bereits ab den Morgenstunden den animierten Filmen widmen. Oder man traf sich zum Artists Brunch im Merkker-Areal für interessante Gespräche, spannende Hintergrundinfos und leckere Speisen. Geknabbert wurde danach überall, ob vor den Kinosälen oder mit viel Popcorn während der Vorstellungen – das gehört einfach dazu. Viel Futter für das Gehirn gab es dank den abwechslungsreich zusammengestellten Kurzfilmprogrammen sowieso.
Making Of „Ruben Brandt, Collector“
Gespräch mit Levente Sipos (Technical Director, Animator, Compositor)
Mit dem Blick hinter die Kulissen des diesjährigen Langfilm-Highlights Ruben Brandt, Collector hat das Team des Fantoche vielen Leuten eine grosse Freude gemacht. Der geladene Gast Levente Sipos (Technical Director, Animator, Compositor) führte den fast vollen Kinosaal durch die jahrelange Produktionsdauer und erzählte mit viel Witz davon, wie einfach es ist, einen abendfüllenden Animationsfilm auf die Beine zu stellen. Von technischen Details über erste Entwurfszeichnungen bis hin zu Kompositionsbeispielen – nicht nur für Fachpersonen war dies mehr als aufschlussreich.
In der anschliessenden Fragerunde wurde tiefer auf die verschiedenen Ebenen des Films eingegangen, auf die Probleme, die die verwendeten Kunstwerke generierten und auf die Frage, warum genau denn Ruben Brandt nun zwei Krawatten trägt. Eine tolle Ergänzung zum sonstigen Programm, eine spannende Stunde mit Eintritt in die Welt des Films.
Schweizer Wettbewerb 1
10 Kurzfilme aus der Schweiz
Ein wenig Stolz kam schon auf, nachdem man sich den ersten heimischen Wettbewerbsblock der Kurzfilme zu Gemüte geführt hatte. Die zehn Teilnahmen konnten alle auf eigene Weise überzeugen und boten einen fantastischen Überblick der hiesigen Möglichkeiten. Von Stop Motion über Papierzeichnungen bis zu Computeranimationen – weder technisch noch inhaltlich versteckten sich die Macherinnen und Macher vor den internationalen Beispielen. Düster und unheimlich bei The Flood Is Coming (mit einer Atmosphäre, welche an den grossartigen Film „Take Shelter“ erinnerte), süss und kameradschaftlich bei Duodrom oder technisch bezaubernd mit The Lonely Orbit – ein Glücksmoment folgte auf den andern.
Abstrakte Spiele mit Farben und Formen gab es ebenso (Der grosse Mittag) wie ein bitterböser Blick auf die menschliche Entwicklung – Primitivo entlarvte unser destruktives Verlangen nach mehr. Da fiel die Wahl des besten Clips überhaupt nicht einfach.
Heimat im Herzen
7 Kurzfilme aus dem Fokusprogramm „Schuhe, Hemd und 100 Lire“
Kuratiert von Annegret Richter
Unter dem Titel „Schuhe, Hemd und Hundert Lire“ (angelehnt an das Volkslied „Mamma Mia Dammi 100 Lire„) werden am diesjährigen Fantoche verschiedene Kurzfilme gezeigt, die sich rund um das Thema Migration drehen. Im dritten Teil „Heimat im Herzen“ geht es insbesondere um Menschen, die am neuen Ort bereits angekommen sind und dadurch einen neuen Blick auf ihre alte Heimat entwickeln. Und dieser fällt sehr unterschiedlich aus: Da gibt es in „Boléro Paprika“ den spanischen Jungen im französischen Exil, der die Familienerinnerungen vor einer Polizeirazzia beschützt oder die Erinnerungen eines Mannes, der von Bagdad nach Berlin floh und sich noch immer Gedanken über die Entwicklungen in seiner Heimat macht („Zug nach Peace„). Sehr berührend ist auch das Gespräch in „Tough“ zwischen Mutter und Tochter über das Aufwachsen während der chinesischen Kulturrevolution. Und auch rohe, brutale Erinnerungen erhalten ihren Platz, wenn der Erzähler in „Reality 2.0“ schildert, wie Gewalt und Bandenkriege in seiner alten Heimat Mexiko an der Tagesordnung sind.
Internationaler Wettbewerb 1
9 Kurzfilme aus diversen Ländern
Ein heftiger Wind blättert die Seiten eines Buches so schnell um, bis die Buchstabenreihen ein Eigenleben beginnen und sich gemäss der gesellschaftlichen Entwicklung gegenseitig bekriegen. Hurlevent aus Frankreich begeisterte mich mit den grossartigen Bildern, den Botschaften und natürlich dem Umgang mit Schrift und Sprache. Ein frühes Highlight im ersten internationalen Wettbewerb, aber nicht das alleinige.
Mediterranea Film aus Grossbritanien liess Standszenerien innerhalb von Holzschnitten auferstehen, Still Lives aus Finnland untersuchte das heimliche Verhalten von musealen Gegenständen. Und dann die tragisch komödiantische Episode aus Polen, in der sich ein desillusionierter Superheld mit suizidalen Büroarbeitern herumschlagen muss (Rain) – ein Wechselbad der Gefühle, unvorhersehbar und mutig. Wie die neuen Blicke auf Taxidermie in Imbued Life (Kroatien), in wunderschöner Puppenanimation zum Leben erweckt. Wir Zuschauer verliessen das Kino belebt, erfrischt und voller neuer Ideen.
Animated Musicvideo Darlings Vol.5
15 animierte Musikvideos, Zusammengestellt vom Fantoche-Team
Den Abschluss am Samstagabend durfte, wie in den vier vorangegangenen Jahren, das Fantoche-Team selbst gestalten, mit ihren liebsten, animierten Musikvideos. Hier wurden endgültig alle Grenzen gesprengt, die Nachteulen fanden sich zum gemeinsamen Zelebrieren der fast vergessenen Kunst des Singleclips ein. Laut, wild, mitreissend – und auch wagemutig, eröffnete der heftige Hardcore-Kracher „About To Crack“ von Vitamin X den Block.
Mit „Lost Boy & Suicide Girl“ von Traktorkestar und „Bouge Ton Coeur“ von Šuma Čovjek fanden zwei Schweizer Balkan-Brass-Bands Platz in der Liste, mit Aphex Twin wurden die Synapsen angebrutzelt. Grossen Eindruck hinterliess „Rapin*“ von Jenny Wilson, ein Song in dem sexuellen Missbrauch verarbeitet und dies kongenial von den Bildern unterstützt wurde. So muss aktuelle Popmusik aussehen, in solche Gebiete sollen sich Künstlerinnen und Künstler wagen.
Unsere Empfehlungen für den Sonntag:
12:00 Annette’s Artsy Selection / 14:15 La fameuse invasion des ours en Sicile / 16:15 Per i bimbi / 20:45 Best of Fantoche
Das gesamte Programm ist hier zu finden.