19. November 2019
Tonhalle Maag – Zürich
Band: Chilly Gonzales
Okay, ich muss etwas ausholen. Vor rund vier Jahren spielte mir mein Tätowierer Chilly Gonzales vor, während er schwarze Tinte unter meine Haut stach. Verknüpft mit zarten Klavierspielereien speicherte sich der Namen in meinem Gedächtnis ab, anderthalb Jahre später, während einer sehr stressigen und einsamen Zeit in Amsterdam, stolperte ich bei einem Musik-Film-Festival erneut darüber. Nach „Shut Up and Play the Piano“ hatte ich das Kino nicht nur leicht verwirrt und amüsiert, sondern auch zutiefst berührt und inspiriert verlassen. Bei seinem nächsten Besuch berichtete ich meinem Freund begeistert von der tollen Doku, die ich mir da angesehen hatte, und was für ein schräger Typ dieser Chilly Gonzales wohl sein musste. Und, so aufmerksam wie mein toller Freund ist, chauffierte dieser mich letzten Sommer schliesslich nach Genf, um mich mit Karten für das Konzert eben dieses schrägen Typs zu überraschen. Und das war wohl eines der besten Konzerte, dass ich je besucht hatte. Die weite Reise dafür hatte sich allemal gelohnt.
So, und nach dieser kurzen Plauderei aus dem Nähkästchen sollte wohl klar sein, wie sehr ich mich freute, als ich Jason Charles Beck aka Chilly Gonzales nun in Zürich vor mir sah. Wie bereits in Genf verzichtete der Pianist auf eine Begrüssung oder freundliche Worte während den ersten Stücken und war sich alleine mit seinem schwarzen Flügel auf der Bühne genug. Eine Stimme aus dem Off, seine Gedanken darstellend, sorgte aber schnell schon für erste Lacher: „Vielleicht funktioniert das ja tatsächlich. Vielleicht, wenn ich einfach immer weiterspiele, merken die gar nicht, dass ich nicht mit ihnen spreche.“ Das tat er dann aber doch noch zu Genüge. Und zwar in einem charmanten Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch (das Französisch, vom gebürtigen Kanadier sehr gut beherrscht, liess er für heute im Koffer), wobei er nicht umher kam, sich über das Schweizerdeutsch lustig zu machen. Sein „Chuchichäschtli“ wirkte dabei aber doch noch ausbaufähig.
Stella Le Page, die engelsgleiche Cellistin, und Joe Flory am Schlagzeug (und Triangel, nicht zu vergessen!), betraten die Bühne zu unterschiedlichen Zeitpunkten, um Meister Gonzales musikalisch zu unterstützen. Zweifelsohne grossartige Musiker, welche den Humor des „Musical Genius“ zu teilen scheinen, ihren lachenden Gesichtern bei den dummen Sprüchen des Kanadiers nach zu urteilen. Darunter auch Anekdoten über die Verwunderung der beiden, als Gonzales ihnen einzelne deutsche Übersetzungen erklärte. Stella habe „Handschuhe“ besonders amüsant gefunden, die wortwörtliche Übersetzung für „Schlagzeug“ habe Joe ausserordentlich fasziniert. Gonzales selbst lebt seit vielen Jahren schon in Deutschland und beherrscht die Sprache, so ein bisschen zumindest. Manche seiner Übersetzungen wirkten dann doch etwas gar sinnfrei: Als er ein Medley aus Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ und Britneys „Baby One More Time“ zum Besten gab, veranlasste seine Interpretation doch schon etwas Stirnrunzeln. Und Gelächter. Wie auch unzählige andere Sprüche und Rap-Einlagen, mit Lyrics, die einen vergessen lassen konnten, wo man sich gerade befand.
Den Wechsel zwischen Schalk und bezaubernden Klängen beherrschte Chilly Gonzales perfekt. Dabei rührten das Zusammenspiel von Cello und Klavier stellenweise beinahe zu Tränen, während andernorts befürchtet werden musste, der als Schlagzeug missbrauchte Konzertflügel würde demnächst in die Brüche gehen. So heftig, wie der Kanadier in die Tasten zu hauen vermag, kann es auch mal zu Verletzungen kommen – bei früheren Chilly Gonzales-Konzerten auch schon vorgekommen. Übrigens, auch schon vorgekommen: Ein 27 stündiges Chilly Gonzales-Konzert. Dafür holte er 2009 in Paris den Weltrekord. Die Sache mit dem Bademantel, Gonzales’ Bühnenoutfit, rührt ja vielleicht daher. Denn für ein so langes Konzert braucht es bequeme Kleidung, und da ist er wohl auf den Geschmack gekommen.
Sowohl die Rolle des Entertainers wie auch die des Komponisten und Pianisten schienen dem inzwischen 47-jährigen Kanadier wie eine zweite Haut zu sitzen und er fühlte sich sichtlich wohl im ausverkauften Saal. Zum ersten Mal seit 15 Jahren sei er zurück in Zürich – sicherlich habe das Publikum nun hohe Erwartungen an ihn. Andererseits habe auch er 15 Jahre gewartet, um nach Zürich zurückzukehren und habe seinerseits grosse Erwartungen ans Publikum. Enttäuscht war wohl am Ende keiner von beiden: Mit Standing Ovation verschwand er vor einer ersten Zugabe von der Bühne, um nach einer raschen Rückkehr ins Publikum zu fragen, welche Songs sie sich denn noch wünschten. Von allen Seiten her kamen Rufe, die Gonzales geduldig entgegennahm. Nur um danach zu verkünden: „These where all great suggestions, but I think I’m gonna play what I was planning on playing anyway.“
Darunter auch ein Stück mit Joe Flory an der Trompete und Stella Le Page an der Melodica (das ist dieses scheussliche Plastik-Instrument mit Tastatur, Handschlaufe und Schlauch). Beim ersten Versuch scheiterte das Unterfangen, da der Schlauch aus der Melodica ploppte, als Stella hineinblies, unter allgemeinem Gelächter wurde dann „Plan B“ ausgerufen – das Melodica-Stück wurde später erneut versucht und konnte den bizarren Beweis bringen, dass sich mit diesem Plastik-Gerät tatsächlich schöne Musik machen lässt.
Nach einem zweiten Abgang unter tosendem Applaus kehrten die drei noch ein zweites Mal auf die Bühne, und manche voreiligen Gäste in den Saal zurück. Seine Finger seien so müde, verkündete Gonzales, und überliess die Tasten kurzerhand Joe Flory. Chilly Gonzales gab sich nun noch einmal ganz der Rolle des Entertainers und Rappers hin, wanderte durch den Saal, stand auf Stühle, liess sich auf Händen durch den Saal tragen. Ein Konzert in der Tonhalle Maag, das mit Crowsurfing endet – so schnell erlebt man das wohl nicht wieder.
Text: Sarah Rutschmann