9. bis 11. August 2018
Untere Altstadt – Bern
Webseite: Buskers Bern Strassenmusik-Festival
Der Plan war ohne Übertreibung perfekt. Diagonale über das Festprogramm gezogen. Hey, bitte – das ist schlicht und einfach genial (*klopfmirselbstaufdieschulter*). Doch auch der schier vollkommene Plan wird nichtig, wenn die Überfülle an sinneszerrenden Reizen, Augen, Ohren, Nase und Mund in die Knechtschaft ziehen und auch nicht die geringste Absicht hegen, sie jemals wieder der Freiheit preiszugeben.
Es herrschte Kirmesstimmung dieses Wochenende in Bern. Aber nicht jene mit neonfarbigem Geblinke, wo’s hupt und trubt und laut knallt. Nein es war diese nostalgische, uns ganz ungewohnte, nur aus lieblichen Filmen bekannte Kirmesstimmung. Eine solche, die mit Sepia überzogen, einem alten Greis endlos im Gedächtnis schwebt und nun extrahiert wird. Von früher kommt sie her, eben diese Stimmung wo Vergnügungsmaschinen noch Fahrgestelle hiessen, die Attraktionen noch proklamiert wurden und nur leuchtende Kinderaugen die Nacht erhellten. Es schien als sei ganz Bern eingesperrt in einer riesigen wohlverzierten Drehorgel, gemächlich angetrieben durch die Unendlichkeit der Zeit, von einen bärtigen Mann mit Zylinder. Und jeder Zapfen auf der Melodientrommel war eine Attraktion die es zu bestaunen galt, umrahmt von Geigengefidel und dem Atmen des Akkordeons.
Da war die Münsterplattform auf welchem das ganze All bestaunt werden konnte. Aliens schienen gekommen zu sein von weit her und sie brachten ihre Kunstformen mit. menschliche Computerspiele gehörten ebenso dazu wie Fahrräder die durch die Luft schwebten. Doch lang nicht genug, die engen Gassen der Altstadt verbargen hinter jeder Ecke eine neue Überraschung. Leckereien aus aller Herren Länder, dazwischen eine kleine Sinnestäuschung, ein Zauberspiel mit Karten und plötzlich tosendes Geschrei. Ein Blick zurück, direkt in die leuchtenden Augen der Saurier. Sie fauchen und stauben, picken die Köpfe und ziehen vorbei mit wedelnden Schwänzen, fein säuberlich, einer nach dem anderen, dressiert von einer schwarzen Hexe. Die Dichte an Kunstinstallationen und Akrobatik war dieses Jahr ausgeprägt hoch und verlieh dem Festival schon fast einen neuen Anstrich.
Musikalisch war die Reise in der magischen Drehorgel ein klein wenig eintöniger. Viel Folk in allen Variationen. Allzu oft gepaart mit Balkanbeats. Französisch ist und bleibt die Sprache der Strassenmusik, was dem ganzen einen Flair Extravaganz verlieh. Auffallend das Akkordeon, welches heuer ein Revival erfährt. Keine Band die nicht den Schnauf der Handorgel auspustet. Hie und da schien jedoch ein Zapfen der Melodientrommel herausgebrochen zu sein, so dass ein schräger Ton dazwischen hinkte. Dies waren die Perlen auf der musizierenden Seite. Pulcinella war einer dieser O-Töne. Als Dancefloor Jazz angepriesen, zeigten die Franzosen Pfiff sowohl am Akkordeon, aber eben auch am Sax und dem ganzen Rest einer Jazzcombo. Ein Mischmasch aus Strassenmusik und Barjazz, dargebracht von einem verrückten Haufen, der gekonnt das Publikum zum Mittanzen animierte.
Erwähnenswert auch der norwegische Folk von Vrang. Von der Instrumentenwahl zwar keine Abhebung. Im Gegenteil, ein reines Geigentrio, hie und da mit der Harfe unterstützt. Zart klang die für uns so ungewohnte Sprache, Norwegisch, in den Liedern hervor. Meist aber war es ein rein instrumentaler Genuss, vorgetragen von drei nordischen Fabelwesen. Ein Kobold eine Fee und eine Elfe die sich für kurze Zeit das menschliche Gewand überzogen. Mit Abstand die heissesten dieses Jahr waren aber die Jungs von The Langan Band. Die Musiker aus Schottland scheinen ein gemischter Haufen aus Metzgern, Förster und Holzfällern zu sein, die hin und wieder schnell im Pub zusammen sitzen um dann fünf Stunden verrückten Celtic Folk nach einem strengen Arbeitstag auf das Parkett zu legen. Hohepriester an der Fidel und wie sich zum Schluss noch herausstellte, wie könnte es auch anders sein, auch am Dudelsack.
Das Buskers Strassenmusikfestival 2018 bleibt in Erinnerung, eben nicht als reines Musikfestival, sondern als Festival der abarten Kleinkünste und der Liebe zum Detail. Wenn die Bühnenschilder nicht mit Scheinwerfern sondern mit Kerzen ausgeleuchtet werden, oder noch wirklich Hüte für das mitgebrachte Münz, der Gage für die Künstler, gereicht werden, dann gehört dies für mich mit zur würzenden Essenz des Festivals. Im Bewusstsein dass das ganze von der milden Spende jedes einzelnen abhängt, war es einzig traurig zu sehen, dass nur rund jeder sechste ein Bändeli für 10 oder 20 Franken kaufte und die Hüte, die doch gar nicht so gross waren, meist nicht einmal bis zur Hälfte gefüllt waren. Doch aufgepasst, Drehorgeln müssen gepflegt werden. Sie sind alt, brüchig und benötigen Zärtlichkeit.
So sehe ich im Nachgang auf den alten Greis wie er seine Orgel spielt. Immer noch den Geschmack von karamellisierten Äpfeln in der Nase, die es wohl gar nicht gab aber mit denen ich Kirmes verbinde, werfe ich etwas Münz in den dreckigen Hut am Boden und freue mich auf eine kleine Freude, die mir eben geschenkt wurde.
Text: Sebastian Leiggener