blauespferd.ch
Declined + Raid 409 + Stage Bottles + CF98 + Fucking Angry + Kabuki Joe
Reitschule – Bern
Samstag, 25. Januar 2025
Text: David Spring
Ja, was tun, wenn der Headliner eines Festivals ultra-kurzfristig absagen muss? Manch ein Festival wäre, konfrontiert mit solchen Umständen, wohl ordentlich ins Schwitzen geraten. Nicht so das Team vom Blauen Pferd! Als Itchy ihren Auftritt nur einen Tag vor Festivalbeginn aus familiären Gründen absagen mussten, (liebe Grüsse auch von uns an dieser Stelle, wir hoffen, ihr seid alle wohlauf!) war die Enttäuschung natürlich erstmal gross. Doch, die Entscheidung, gar nicht erst einen Ersatz-Headliner zu finden, war genau die richtige. So war das Lineup am zweiten Tag fast nur mit relativ unbekannten und/oder lokalen Bands besetzt, was es in dieser Grössenordnung gefühlt schon lange nicht mehr gab. Sehr cool!
Mit einem veritablen Highlight allerhöchster Güte ging es dann los, als die grossartigen Kabuki Joe die Bühne in der quasi menschenleeren Halle betraten. Zum Glück änderte sich dies rasend schnell, denn der gutgelaunte, energiegeladene Punkrock des Quartetts aus Zürich zündete sofort und zog die Leute alsbald vor die Bühne. Kaum eine Band ist wohl besser geeignet, um eine unterkühlte Halle aufzuwärmen, als sie. Mit grossem Grinsen in den Gesichtern der Musiker:innen war ihnen die Spielfreude förmlich anzusehen, allen voran Sänger und Dave-Grohl-Meets-Jesus-Lookalike Manuel Kellerhals. Der Sound der Band passte wundervoll an dieses schicke Festival, druckvoll und melodiös, abwechslungsreich und voller Positivität. Als sich dann mit «One Step Closer» auf einmal noch ein unerwartetes Linkin Park Cover auf der Setlist fand, war die Sensation perfekt. Was für ein Auftakt, was für eine wundervolle Band.
Hochkarätig ging es weiter, und ein klitzekleines Bisschen aggressiver, denn als nächstes waren Fucking Angry an der Reihe. Die wurden ihrem Namen schnell gerecht, war die Wut über unsere Gesellschaft doch jedem Wort von Sängerin Beckx fühlbar. Das aberwitzige Tempo vieler der Songs brachte die Leute in Bewegung, der einzigartige Sound und die stellenweise beachtliche Gitarren- und Bassarbeit machten tierisch Spass. Zwischen den Songs lieferten sich die Musiker:innen oft wilde Wortgefechte, die manchmal etwas sehr chaotisch ausuferten und nicht immer ganz verständlich waren. Dafür überreichte jemand aus dem Publikum der Sängerin dann einen grossen Joint, den diese dankend annahm und grosszügig mit dem Publikum teilte. Dazu kamen sie und Bassist Chris dann gleich mal in die Menge und liessen es sich gut gehen. Fucking Angry lieferten alles ab, was man sich von einer vorzüglichen Punkshow erhofft, von starken Ansagen und wildem Chaos über die abwechslungsreichen, energiegeladenen Songs bis hin zur immerfort klaren Kante. Genauso soll es sein, und als es zum Schluss noch das fantastische «Dunkelheit» zum Abschied gab, war der Abend für mich bereits jetzt schon perfekt.
Nach einer kurzen Verschnaufpause draussen, einem Abstecher an der stets sympathisch besetzten Bar und dem kleinen, aber feinen Merch-Bereich (aka der Kommerzecke) war es dann bereits auch schon Zeit für den nächsten Hit, denn nun waren CF98 an der Reihe. Hinter dem etwas kryptischen Namen verbirgt sich ein sympathisches Pop-Punk-Quartett aus Polen. Voller Energie und Spielfreude ging der druckvolle Sound gleich richtig ab. Als wir erfuhren, dass die Band geschlagene 13h im Bus sass, um heute hier für uns spielen zu können, war der Jubel gross. Noch mehr punkten konnte die überaus sympathische Band, als Sängerin Karolina mit einem Sack voller Lösli, die schon das ganze Festival über verteilt wurden, erschien und diesen ins Publikum gab. Es war sehr schön zu sehen, dass sich das Publikum am Blauen Pferd wirklich so solidarisch zeigte, wie man sich das erhofft, und den Sack immer brav weiterreichte, ohne die extrem wertvollen Lösli alleine zu hamstern. CF98 räumten derweilen mit ihren vorzüglichen Songs und der überaus charmanten Art ab. Einmal mehr war schön zu sehen, wie vielfältig und abwechslungsreich die Welt des Punks ist. Dass eine Band aus Krakau so klingen kann, wie von der Westküste der USA, und dabei stets 150% authentisch und aufrichtig wirkt, ist doch einfach etwas Wunderbares.
Von modernem Pop-Punk aus Polen gab es nun einen harten Wechsel zu Old-School Oi! aus der antifaschistischen Frankfurter Skinhead-Szene, denn nun standen die legendären Stage Bottles auf dem Plan. Ohne einen offiziellen Headliner kam die Truppe um Sänger und Saxofonist (!) Olaf diesem Status am heutigen Abend wohl am nächsten. So war dann auch wirklich die ganze Halle am Durchdrehen, zumal die Band ihren Auftritt am Blauen Pferd 2024 absagen musste und die Freude sowohl auf wie auch vor der Bühne heute umso grösser war. Oi!-Punk mit Saxofon hört man definitiv nicht alle Tage, doch die Band liess diese Kombination wirken, als gäbe es nichts Natürlicheres. Nimmt man dazu dann noch die äusserst charismatischen und cleveren Ansagen des Frontmanns, zusammen mit den simplen aber äusserst effektiven Songs der Band, so überrascht es kaum, dass Stage Bottles gewaltig abräumten. Als dann zum abschliessenden, grossartigen «Sometimes Anti-Social But Always Anti-Fascist» angesetzt wurde, gab es in der Halle kein Halten mehr, gibt es doch wohl kaum einen Song, der die Reitschule besser zusammenfasst. Schön, hat es endlich geklappt!
Als nächstes hätten eigentlich nun Itchy auf dem Plan gestanden. Dem war aber nicht so und so sprangen kurzerhand die Jungs von Raid 409 in die Bresche. Und was soll ich sagen? Wenn eine Band dafür gemacht ist, Ersatz-Headliner zu spielen, dann wohl sie! Mit den Worten «Es tut uns unglaublich leid, dass wir hier sind!» begrüssten uns die Jungs, bevor es abging. Auch wenn nun nur noch gefühlt die Hälfte der Menschen anwesend war, so gingen die umso mehr ab. Als Raid 409 ihre legendäre Masturbations-Hymne «My Hand» anstimmten und die ganze Reithalle lauthals mitsang, war das ein Bild für die Götter. Und tatsächlich lieferte das Quartett auch eine grossartige Show ab, mit massig Gitarrensolos, übertrieben vielen Chören, sehr amüsantem Geplapper und schlicht super Songs für diesen schönen Samstag-Abend. Was für ein Spass, so wurden Itchy mehr als würdig vertreten.
Leider aber müssen aller guten Dinge irgendwann zu Ende gehen und so neigte sich auch das Blaue Pferd 2025 eben diesem entgegen. Doch, ganz vorbei war es noch nicht, denn als letzte Band des Festivals standen nun noch Declined auf dem Plan. Und damit gab es ein letztes Mal grossartigen, melodiösen Punkrock mit viel Energie und guter Haltung. Einen besseren Abschluss für dieses wundervolle Festival hätte es kaum geben können, der Vierer legte einen Hit nach dem anderen vor, tight, eingängig und voller Power. So konnten wirklich alle, die dazu noch in der Lage waren, nochmals alles geben. Natürlich bedankten sich Declined artig und ausführlich bei allen Beteiligten, die das Blaue Pferd jedes Jahr wieder zu einem solch wunderbaren Erlebnis machen, und wir von ARTNOIR können uns dem nur allumfassend anschliessen.
Ein riesengrosses Danke geht raus an DMB Records, an das gesamte Team vom Blauen Pferd, an alle Bands und natürlich an alle, die dabei waren und die mitgefeiert haben! Ohne die tollen, motivierten, leidenschaftlichen Menschen gäbe es das alles nicht, darum Danke! Und dass der heutige Tag trotz Ermangelung eines internationalen Headliners und mit fast nur lokalen Bands solch ein riesiges Fest war, ist wirklich nicht selbstverständlich. Wir freuen uns jetzt schon auf nächstes Jahr, wenn sich die Tore zum Blauen Pferd ein weiters Mal öffnen werden. We will be there!