Diverse Kinos – Basel
Samstag, 25. Juni 2022
Text: Michael Bohli
Das Bildrausch Filmfest in Basel zeichnet sich nicht nur mit dem Programm und der unerschrockenen Auswahl der Filme aus, sondern mit den zahlreichen Gästen. Praktisch bei jedem Screening waren Filmemacher:innen vor Ort, beantworteten Fragen und ermöglichten neue Perspektiven und Einsichten. Das war nicht nur hilfreich, sondern verstärkte das Gefühl, mittendrin zu sein.
Ergänzt wurden solche Gespräche mit Sonderveranstaltungen, Installationen und Partys – bloss in den Kinosälen zu sitzen reicht schliesslich nicht aus. Der menschliche Austausch und die mehrdimensionale Präsentation waren wichtige Standbeine dieses Festes. Und Wagemut, wie der diesjährig zum ersten Mal vergebene Zufallspreis, welcher an Kapr Code von Lucie Králová ging. Sehgewohnheiten sprengen, auf und neben der Leinwand.
Beatrix
Land / Jahr: Österreich / 2021
Regie: Milena Czernovsky, Lilith Kraxner
Innen und aussen, Selbstdarstellung und intimes Verhalten. Mit dem Spielfilm Beatrix untersuchen Milena Czernovsky und Lilith Kraxner an der titelgebenden Frau, wie Menschen sich im unbeobachteten Umfeld verhalten. Ein Sommer im leeren Haus, ein Kammerspiel ausserhalb des gesellschaftlichen Drucks. Eigenheiten, Marotten und Wünsche treffen aufeinander, festgehalten mit statischen Aufnahmen auf 16mm-Film von Kamerafrau Antonia de la Luz Kašik.
Trotz der Protagonistin ist Beatrix als Film eine Projektionsfläche für viele unterschiedliche Gedanken, Hoffnungen und eigenen Erfahrungen, weder Geschlecht noch Alter spielen eine Rolle. So bleibt der Film sehr offen und deswegen stellenweise etwas langsam, überzeugt aber mit präzisen Beobachtungen und einem leicht bissigen Humor.
La Edad Media
Land / Jahr: Argentinien / 2022
Regie: Alejo Moguillansky, Luciana Acuña
Quarantäne, Lockdown, Isolation – während acht Monaten durften Alejo Moguillansky, Luciana Acuña und ihre Tochte Cleo Moguillansky das Haus in Buenos Aires nur im Notfall verlassen. Was macht man als kreativ tätige Familie in der Zeit also? Einen Film drehen, der nicht nur den Pandemie-Alltag mit urkomischen Einfällen und ungewohnt nahen Einblicken zeigt, sondern die Liebe zum Film zelebriert. Slapstick, Literaturverfilmungen, Klassiker der Filmgeschichte und moderne Konzernproduktionen, alles findet Platz.
Während im Bereich Horror die Adams Familie seit Jahren für solche Gemeinschaftswerke sorgt, ist La Edad Media ein erfrischend humoristischer und ungezwungener Versuch, aus Experimenten und realen Beziehungen ein Kunstwerk zu gestalten. Ohne jemals die grösseren Fragen zu Kunst, Dasein und Arbeit zu vergessen. Das ist sympathisch und mitreissend, was sich im Q&A nach der Vorführung bestätigte. Die Familie war anwesend und sorgte mit einem Quiz und ausführlichen Antworten für einen perfekten Rahmen.
Magnetic Fields
Land / Jahr: Griechenland / 2021
Regie: Yorgos Goussis
Zusammen auf der Insel Kefalonia, durch den Zufall vereint, etwas ziellos unterwegs. Magnetic Fields erzählt eine wunderbare und authentische Geschichte von Freundschaft und Liebe, ohne seine beiden Hauptfiguren in den üblichen Klischeemustern agieren zu lassen. Der Debütfilm vom Comiczeichner Yorgos Goussis ist ein leichtes Vergnügen, das mit Humor und ehrlichen Emotionen ins Herz geht. Ein Roadmovie, festgehalten in verrauschten Videoaufnahmen mit hohem Sättigungsgrad.
Schnittfolgen, lange Kameraschwenks und die Popart-Farben zeugen von der Herkunft des Regisseurs, die Verarbeitung echter Lebensereignissen via improvisierte Dialoge und spontanem Drehplan lässt bei Magnetic Fields alle mit gutem Gefühl zurück. Dazu kommen die grossartig gewählten Locations und der spannende Sound, hier lässt man sich gerne verzaubern. Der griechische Film ist um eine weitere Perle reicher.
Neptune Frost
Land / Jahr: Ruanda / 2021
Regie: Anisia Uzeyman, Saul Williams
Mit binärem Code gegen die binäre Codierung: Anisia Uzeyman und Saul Williams demontieren mit ihrem Spielfilm Neptune Frost die Sehgewohnheiten westlich-weisser Menschen. Was im Film an Ideen aufgeboten wird, wie viele Szenen in Neonfarben getaucht sind und wie geschickt die Genres aufeinanderprallen – das lässt einen atemlos zurück. Science-Fiction, Afrofuturistik, Musical, Drama und Sozialkritik, alles vorhanden.
Nicht nur wird man von Rhythmen und Gesängen umgarnt, Tech-Talk und die fluide Genderdarstellung bieten eine flirrende Welt voller Wunder. Neptune Frost greift damit die kolonialistische und globalisierte Unterdrückung in Wirtschaft und Politik an, macht sichtbar, wie der Wohlstand der ersten Welt geschaffen wird und schlägt mit überbordender Kreativität zurück. Ein mutiges und wichtiges Werk, voller Lust und Zukunft. MartyrLoserKing, we believe in you!