Diverse Kinos – Basel
Freitag, 24. Juni 2022
Text: Michael Bohli
Meine Ankunft in Basel hätte nicht in stärkerem Kontrast zum letztjährigen Festival passieren können. Anstatt brütender Hitze im Zelt gab es 2022 kühle Luft und viel Regen, die Vorfreude war aber ungetrübt. Mit der elften Ausgabe wusste das Bildrausch Filmfest bereits im Vorfeld zu überraschen, mit einem erneut kühnen und aufregenden Programm, mit der neuen künstlerischen Leitung von Susanne Guggenberger.
Mit dem Fokusprogramm «Wunder» und der Ehrung von Heddy Honigmann wurden interessante Themenblöcke geboten, das internationale Programm zeigte sich im Kontrast kunterbunt gemischt. Da sich der Mensch gerne Muster konstruiert, stand mein Freitag ganz im Zeichen der realen Fiktion. Drei Film, die das Thema sehr unterschiedlich, aber gleichermassen reizvoll und emotional angingen.
The Plains
Land / Jahr: Australien / 2022
Regie: David Easteal
Drei Stunden sitzt man auf der Rückbank eines Hyundai und fährt die immer gleiche Strecke in Australien, Pendlerverkehr, Blechlawine. Dass The Plains von David Easteal mit dieser simplen Grundlage zu einem betörenden Film wurde, ist eine beachtliche Leistung. Dank der Persönlichkeit und dem Spiel von Andrew, dem Fahrer des Autos, gelingt dies innert wenigen Minuten. Er spricht unprätentiös über sein Leben, unser Dasein und die gesellschaftlichen Normen.
Während gemeinsamen Fahrten mit David (Regisseur) wird im Verlauf von zwölf Monaten die Arbeit und das persönliche Leben besprochen. The Plains vermischt dabei vergangene, wahre und nachgespielte Begebenheit mit neuen Entwicklungen. Improvisierte Dialoge, lange Aufnahmen und aufsprengende Drohnen-Bilder der Landschaft werden gemischt, ein hypnotisches Erlebnis entfaltet sich.
Der Film hat am Bildrausch Filmfest 2022 den Peter Liechti Award gewonnen.
Small, Slow But Steady
Land / Jahr: Japan / 2022
Regie: Shô Miyake
Der Filmtitel ist bei dieser Produktion tonangebend. Small, Slow But Steady von Shô Miyake ist eine ruhige und kleingehaltene Erzählung, in warmen und schönen Bildern auf Film fotografiert. Ohne die dramaturgischen Elemente zu übertreiben, wird die Geschichte der Boxerin Keiko dargeboten. Seit Geburt ist sie taub und muss sich in einer Gesellschaft einfinden, die zu oft keine Rücksicht auf Personen wie sie nimmt.
Ob die Arbeit im Hotel, das WG-Leben mit ihrem Bruder oder die Kämpfe im Ring, alles ist eine Hürde, die Konflikte befeuern ihre Verzweiflung. Der Film zeigt dies in greifbaren Sequenzen, arbeitet mit Texteinblendungen und einer guten Tonmischung. Durch das offene Ende werden die Sport-Klischees umgangen, die wahre Lebensgeschichte feinfühlig auf die Leinwand gebracht.
El Gran Movimiento
Land / Jahr: Bolivien, Frankreich, Katar, Schweiz / 2021
Regie: Kiro Russo
Was Kiro Russo mit seinem Debüt El Gran Movimiento geschaffen hat, ist ein vielseitiges und beeindruckendes Werk über seine Heimatstadt La Paz. Auf 16mm-Film gedreht, mit starken Zooms und extremen Detailaufnahmen versehen, ist die Reise in diese Umgebung betörend und künstlerisch wertvoll. Zu gleichen Teilen Dokumentation, Spielfilm und Ode an die alten Sinfonien der Grossstädte, wird mit harter Wirklichkeit und magischem Realismus gearbeitet.
Rätselhaft gibt sich El Gran Movimiento, mit kryptischen Szenen, verrückten Figuren, Tanzsequenzen und brutaler Ehrlichkeit. Die Ehrung der unsichtbaren Arbeiter:innen funktioniert auf vielen Ebenen und überzeugt nicht zuletzt mit der unkonventionellen aber fantastischen Tonmischung. Dieser experimentelle Film hallt lange nach.