7. November 2017
Volkshaus – Zürich
Bands: Beatsteaks / Decibelles
Die Vorgeschichte zu diesem Abend beginnt mit einer etwas zu rasanten Fahrt auf dem alten Velo meiner Grossmutter im Regen und endet damit, dass ich die Notaufnahme gerade noch rechtzeitig verlassen konnte, um während der letzten Töne des Sets der Zwei-Frau-Band Decibelles im Zürcher Volkshaus einzutrudeln. Laut, ungezähmt und ein bisschen wütend hallt es schon in der überfüllten Vorhalle des alten Gebäudes wider, wo sich links eine endlose Schlange vor der Bar und rechts zwei nicht minder lange Schlangen vor den beiden Garderoben angestaut haben. Aufgrund des bitterkalten Regenwetters gibt es eine Menge Gepäck loszuwerden, denn es ist zu erwarten, dass die Beatsteaks, Headliner des heutigen Abends, dem Publikum noch gehörig einheizen werden.
Zu Beginn des Konzerts, welcher mit „As I Please“, gefolgt von „Mrs. Right“ des neuen Albums „Yours“ gestaltet wird, scheint das Schweizer Publikum noch etwas verhalten zu sein. Ob es daran liegt, dass die Decibelles nicht ganz den erwünschten Aufwärmeffekt erzielt haben oder daran, dass die Mehrheit noch zu sehr mit dem Kopf im Büro steckt – so richtig Partylaune, wie man sie sonst von Beatsteaks-Konzerten kennt, kommt nicht auf. Sänger Armin lässt sich davon wenig beeindrucken, seine Laune ist bombastisch. Und langsam springt die positive Energie der Berliner auch auf das Publikum über und beim dritten Song, „Hello Joe“, wackeln bereits einige Hüften mehr.
Der Bitte des Sängers, doch für heute Abend die Handys einmal stecken zu lassen, wird erstaunlich gut Folge geleistet. „Dann ist man nämlich privat“, erläutert diese seine Forderung – und wer will schon nicht privat sein mit den Beatsteaks. Und wer nicht darauf konzentriert ist, die Handyaufnahme nicht zu verwackeln, kann auch viel besser hüpfen, winken, falsch mitsingen oder sich auf den Boden setzen. Es sei denn, man hat Knieprobleme – so wie mein Konzertnachbar – oder einen frisch gebrochenen Arm – so wie ich. Auch über verlorene Brieftaschen oder Brillen braucht sich niemand Gedanken zu machen – die werden auf der Bühne vorne gesammelt. Obwohl das bei letzteren etwas heikel ist: „Die ist kaputt, Bruder!“ Die gute Laune der Musiker, welche in jedem einzelnen ihrer Songs zu spüren ist, springt jedoch auch auf uns Handicapierte über und wir machen brav mit bei der Chaoschoreographie.
An diesem Abend bedienen sich die Beatsteaks einigen Covers und Playbacks. Angefangen mit „Frieda und die Bomben“, welches gemeinsam mit Turbostaat aus einem Cover von „Hell On Weels“ der amerikanischen Stoner-Band Fu Manchu erarbeitet wurde und auf der „Hello Joe“-Single veröffentlicht worden war. Fehlen darf natürlich auch „Hey Du“ nicht, das Ilona Schulz-Cover, welches schon seit Jahren auf nahezu jeder Setlist der Berliner Band zu finden ist. Die fünf haben sich für diese Tour etwas Besonderes einfallen lassen, um sich dem Publikum vorzustellen: Zu smoothem Jazz stellt Sänger Arnim seine Bandkollegen vor, wobei jeweils nach der Nennung der einzelnen Namen das Playback eines Klassikers wie „Dancing With Myself“ oder „The Real Slim Shady“ ertönt. Dabei steht Arnim Teutoburg-Weiss in engem Kontakt mit Lichtmensch Gunnar, an welchen er direkte Anweisungen austeilt, wie dieser die Atmosphäre gestalten soll.
Zum Bühnenoutfit des Sängers gehören neben den Trainerhosen auch zwei verschiedene Hüte – einmal in weiss und einmal in schwarz mit roten Streifen. Ob das in irgendeiner Weise an die Theorie der sechs Denkhüte von de Bono angelehnt ist, kann ich nicht beurteilen, da ich von meinem geschützten Randplatz aus nicht sehen kann, wann die Hüte gewechselt werden und ob die Texte der jeweils gespielten Songs wohl etwas damit zu tun haben.
Nach „Let Me In“ und einer kurzen Danksagung – „Wir haben schon so viele Male in der Schweiz und in Zürich gespielt, und noch immer kommen so viele Leute zu unseren Konzerten!“ und den Worten „Vielen Dank, wir waren die Beatsteaks aus Berlin!“ verlassen Arnim, Torsten, Thomas, Bernd, Peter und Live-Member Dennis die hübsch dekorierte Bühne (inklusive Goldvorhang). Jedoch lassen sie die Konzertgäste nicht lange zappeln und sind bald schon zurück auf der Bühne, um „L Auf Der Stirn“, ein Song ihres neuen Albums, welcher mit Deichkind aufgenommen wurde, zu präsentieren. Gleich darauf folgt „I Do“, ein ein klein wenig kitschiger Song, mit verspielter Gitarre und einfachem Drumbeat und ebenfalls auf „Yours“ zu finden. Danach folgt ein weiteres Cover: „I Want To Break Free“ der grossartigen Queen. Dabei klettert Arnim von der Bühne, schreitet durch das brav Platz machende Publikum, lässt sich dabei sogar zu einem Selfie mit einem Fan hinreissen und klettert schliesslich auf das Mischpult. Und das alles scheinbar ohne einen einzigen falschen Ton von sich zu geben. Über das musikalische Können der Band muss weiter nichts gesagt werden, denn Erwartungen werden diesbezüglich lange keine mehr gestellt – sie würden ohnehin übertroffen werden.
Nach einem weiteren Song verlassen die sechs Musiker erneut die Bühne. Doch sie lassen sich erneut zurückklatschen, und als jemand aus den vorderen Reihen dem Sänger etwas zuruft, springt dieser kurzerhand auf das Absperrgitter und hält besagtem Konzertbesucher sein Ohr hin. Was dieser gesagt hat, muss wohl ein Geheimnis bleiben. Nach „Hand in Hand“ folgt ein letztes Cover: „Sabotage“ der Beastie Boys. Sänger Arnim, der wie ein Gummiball über die Bühne gehüpft ist und das Mikrofon durch die Luft gewirbelt hat, hat schon früh am Abend vernehmen lassen: „Für die nächsten zwei Stunden gehört euer Arsch uns!“ Und damit hat er Recht behalten: Die Berliner hatten das Schweizer Publikum einmal mehr komplett im Griff. Woher die nahezu hypnotisierende Macht der sympathischen Musiker kommt sei dahingestellt, solange die Beatsteaks so verantwortungsvoll damit umgehen.
Text: Sarah Rutschmann