30. Mai – 1. Juni 2019
Bad Bonn Kilbi – Düdingen
Website: kilbi.badbonn.ch
Es ist verwirrend, wenn die allererste Band von drei langen, vollen Tagen am wild-romantischen Schiffenensee bei Düdingen gleich eine absolute Perle ist: Die Show von The Burden Remains fühlte sich ein bisschen an wie die Umstellung auf Winterzeit, wenn es morgens plötzlich unerwartet rasch hell wird. Unheimlich präzise spielten die jungen Schweizer die Songs ihres neuen Albums “Touchstone”, raffinierte Metal-Kompositionen, die manchmal fast theatralisch anmuteten. Kann es wirklich sein, dass diese Band, die seit über fünfzehn Jahren besteht, erst winzige 363 monatliche Hörer auf Spotify hat? Ich würde da glatt ein paar Nullen anhängen.
L’Eclair aus Genf verschaffte dem Kilbi-Publikum am frühen Abend so etwas wie eine erste Verschnaufpause nachdem viele schon voller Enthusiasmus und wahrscheinlich etwas arg viel Übermut in den Abend gestartet waren. Feurige Jazztunes, mit funkigens Grooves immer mal wieder angemischt mit einer zünftigen Portion Electronica liessen das Publikum herunterfahren gemütlich und friedlich mitwippen und mittanzen. Das kollektive Gefühl kam auf dass man endlich an der Bad Bonn Kilbi angekommen ist.
Irgendwann kam dann doch noch der Sonnenuntergang und als Sophie Hunger mit ihrer Entourage auf der grossen Bühne loslegte, schien sich der mit Holzhäckseln bestreute Festivalboden einen Ruck zu verschieben. So eigen und nuancenreich sind die Songs, mehrheitlich vom neuen Album “Molecules”, dass sich eine eigene Dimension auftat. Dazu noch Sophie Hungers wunderschöne, unverwechselbare Stimme – es war ein Genuss, die trotz aller Finessen bodenständigen Stücke live zu hören. Kompositionen wie “Tricks” scheinen in wenigen Minuten eine ganze Biographie zu erzählen. Das Publikum war begeistert und auch die Band hatte offensichtlich ihren Spass. Sie hätten sich sehr auf das Konzert gefreut, die Kilbi Bad Bonn sei eines der coolsten Festivals in der Schweiz, sagte Sophie Hunger zwischen zwei Titeln. Eigenwillig auch das letzte Lied: Nicht etwa in Party-Mood entliess uns Sophie in die Nacht, sondern mit dem nachdenklichen Mundartsong “Heicho”.
Die Bad Bonn Kilbi will und soll nicht einfach sein und der Freitag war bezüglich der Musik sicher der anstrengendste und der am meisten fordernde Tag. Kate NV, von minimalistischen Klängen und Grooves geprägt, geschichtet mit Tönen die alten Spielekonsolen hätten entspringen können. Cocaine Piss aus Lüttich, kurze Zeit später war entsprechend wie eine Faust mitten ins Gesicht. Was soll das jetzt? Was ist es? Spielt es denn eine Rolle? Die Band als grossartige Stonertruppe unterwegs, der schrille hohe und schreiende Gesang der Frontfrau Aurélie das pure Gegenteil dieses Stils. Der Gesang sorgte auch sorgte, dass Cocaine Piss wie wohl keine andere Band an diesem Festival die Gemüter spaltete. Aber für diejenigen welche den Schreien folgten waren sie die Helden des Abends. Energie, Schweiss, Show und ganz viel Fun wenn man sich in den Moshpit hineinziehen und -fallen liess. Punk. Und zwar ziemlich!
Das pure Kontrastprogramm dazu keine 10 Minuten später: Daniel O’Sullivan & Dream Lyon Ensemble, wunderschöne Harmonien aber auch viel Traurigkeit und Depression.
Zum Thema Slowthai, einer der Hauptacts des Abends verweist man wohl am Besten auf diesen Artikel. Ohne weiteres hinzufügen zu müssen.
Für die abschliessende Versöhnung des Publikums sorgte DJ Marcelle. Die Holländerin, welche die Kilbi am Vortag zusammen mit dem Lautsprecherorchester Freiburg und 6 Plattenspieler eröffnete, gehört zur Bad Bonn Kilbi wie das Bier, der See, Duex und all die anderen Macher hinter den Kulissen des Festivals. Ihr DJ-Set, dieses Jahr zum zweiten Mal auf der grossen Bühne, ist Garant für Ausgelassenheit, Flowerpower und viel Liebe. Die Bühne füllte sich mit sich umarmenden und tanzenden Menschen. Wer kennt es nicht, gröbster Techno wird hemmungslos mit Afrikanischen Beats gemischt. Die Nacht war noch viel zu jung als DJ Marcelles finaler Track «Uptown Top Ranking» von Scout Niblett gespielt wurde, aber diejenigen die noch Energie hatten durften sich anschliessend noch im Haus weiter austoben.
Neuer Tag, neues Glück. Eines steht fest: Sarah Beth Tomberlin singt zwar traurig, ihre Gemütslage ist aber alles andere als depressiv. Die Ansagen zwischen den Songs waren humorvoll, fast schelmisch. “We’re gone play some really sad bangers if it’s okay for you – otherwise you’re welcome to leave the area” sagte die Kanadierin etwa zu Beginn verschmitzt grinsend. Wenn sie dann wieder zierlich und ungeschminkt im Sommerkleidchen eine verträumten Ballade anstimmte, hätte ich sie am liebsten über das lange Haar gestreichelt. Doch das hatte Tomberlin definitiv nicht nötig. Ihr schöner Gesang packte die zahlreichen Zuhörer vor der B-Stage, so dass es fast komplett still war. “Thank you for beeing so quiet, i’m a big fan”, kommentierte Tomberlin. Auch zahlenmässig ging alles perfekt auf – wenn auch vermutlich recht zufällig und von ihr unbemerkt: Um genau 17 Uhr spielte sie den Song “Seventeen”, ihr derzeitiger – und erster – Aufenthalt in Europa dauert vom 17. Mai bis am 17. Juni. Und das alles, obwohl Sarah Beth erst vor einem guten Jahr ihr erstes Konzert gab.
In ein komplett anderes Universum katapultieren uns anschliessend die Londoner The Comet is Coming auf der Hauptbühne. Wie gerne hätte ich eine Abschrift der Ansage von Keyborder Danalogue. Er erzählte im schönsten britischen Englisch ungefähr, dass sie mit ihrem Raumschiff durch ferne Galaxien vor unserer Zeit unterwegs seien. Darum sei es nun ganz angenehm, wieder einmal echten Boden unter den Füssen zu spüren. Tatsächlich erinnerte mich der sphärische Partysound an meinen lieblings Science Fiction-Roman “Die Schwarze Harfe”. Während Drummer Betamax um die groovigen Synthiklänge herumwirbelte, ging Saxophonist King Shabaka trotz luftiger Höhen und brummender Tiefen nie die Puste aus. “Trust In The Lifeforce Of The Deep Mystery” heisst ihr brandneues Album. Der Titel handle von “Unity”, sagte Danalogue, es gebe nichts, was uns trennen könnte. Das sei im Moment das Wichtigste für sie und ihr Heimatland.
Was für ein wundervoller Ort, die Bretter am Strand des Schiffenensees. Genau der richtige Rahmen für Emilie Zoé. Der Blick auf den See, bei einigen sogar das Eintauchen ins erfrischende Wasser, grasende Schafe im Hintergrund und inmitten der Installation «A Kaleidoscope of Nothingness» machte das Erlebnis nicht nur für die Zuschauer zu etwas sehr speziellem. Emilie Zoé war sichtlich gerührt von der ganzen Situation und zeigte auch, dass sie Solo – ohne den sonst meist mit ihr reisenden Schlagzeuger Nicolas Pittet – ein wahnsinniges Gespür und eine Innigkeit hat ihre Songs den Gegebenheiten anzupassen und zu performen. In einigen wenigen Songs wurden scheppernde Drumloops eingebaut – die aber nie in Konkurrenz treten zur Virtuosität ihres Bandkollegen – in anderen wurde ein Gesangslooper eingesetzt. Alles war wohl abgewogen und subtil in ihre Stücke eingebaut, die im Einen Moment leise und zerbrechlich waren, im nächsten hart, laut, aggressiv, voller Verzweiflung und wohl auch Wut. Die intime Nähe, die Emilie Zoé zusammen mit dem Publikum an diesem wunderbaren Ort aufbaute, tat allen anwesenden unbeschreiblich gut und wurde von allen – Musiker als auch Publikum – als willkommene Abwechslung vom heissen und lauten Festivaltag geschätzt.
Es dauerte eine Weile, bis alle Mitglieder von Crack Cloud auf der Bünde standen: Drei Gitarristen, ein Bassist, ein Keyboarder, ein Saxophonist und – zuletzt das Filetstück – der shirtlose Sänger und Schlagzeuger Zach Choy. Als ich später den Artikel über Crack Cloud im The Guardian las, hätte ich schwören können, dass das spezielle Setup der Truppe spürbar war. Die jungen Männer machen nicht nur gemeinsam Musik, sie leben auch zusammen, vorwiegend in Vancouver. Viele von ihnen haben schwierige Lebensläufe hinter sich, oft von Drogen geprägt. Durch die Musik und andere Projekte helfen sie einander zu überleben. Und beglücken nebenbei das Publikum mit einer hinreissenden Liveshow: veritabler Punk, gemischt mit jazzigen Elementen.
Hach, Courtney Barnett! Welch ein Höhepunkt des Festivals. Schade, hatte ich sie als Teenagerin noch nicht zur Verfügung – ich hätte sie gebraucht. Nicht nur wegen der wundervollen Musik, sondern auch als Beispiel einer beeindruckenden, ungewöhnlichen Frau. Zeitlich wäre es ohnehin nicht aufgegangen: Die Australierin mit Jahrgang 1988 tauschte das Tennis-Racket erst Mitte der Nullerjahre für eine Gitarre ein. Eine höchst glückliche Wendung. Courtney Barnett ist derart multitaskingfähig, dass sie ihr Instrument bei gleichzeitigem Gesang so virtuos zupft und schrummt, wie es kaum jemand beherrscht, auch wenn er sich ausschliesslich auf die Saiten konzentrieren kann. Die dichte Frisur unter den Armen kam dabei keinen Moment in die Quere. Zusammen mit den als Familienmitglieder vorgestellten Männern an Bass und Schlagzeug klang Courtney Barnett wie mindestens sechs Musiker. Dass die drei eng befreundet sind, spürte man deutlich: Immer wieder lächelten sie einander zu, brauchten nicht mehr als kleine Kopfbewegungen zur Kommunikation. Der grosse Spass und die Freude, welche die Band am letzten Festival-Abend auf der Hauptbühne der Kilbi versprühte, wird ganz bestimmt nicht nur in meinem Kopf noch manche Tage nachklingen. Genauso wie der eine oder andere Holzspan, der an meist eher unerwarteten Orten zum Vorschein kommt.
Bands: The Burden Remains / L’Eclair / Kate NV / Cocaine Piss / Sophie Hunger / Daniel O’Sullivan & Dream Lyon Ensemble / Slowthai / DJ Marcelle / Tomberlin / The Comet is Coming / Emilie Zoé / Crack Cloud / Courtney Barnett