19. – 22. August 2016
Cave 45 – Porto (Portugal)
Einmal jährlich pilgern Freunde des Post-, Doom-, Sludge-, Dark-, Rock und Metal sowie alles Verwandte nach Porto an die nördliche Küste Portugals. Das Amplifest lädt dieses Jahr etwas früher im Jahr als sonst, zum 4-tägigen Erlebnis unter dem Motto „it’s not a Festival, it’s an experience“. Hier ein Kurzbericht.
Im Vorfeld wurde einiges an Zeit investiert um sich den doch einigen unbekannten Bands anzueignen und vor zu degustieren. Durch regelmässige Video-Posts auf der Facebook-Veranstaltungsseite wird einem dies stark vereinfacht. Man muss sich dafür aber Zeit nehmen, denn oft sind die einzelnen Songs aus diesem Genre ja gern einiges länger als 10 Minuten. Durch den Geheimtipp-Status einzelner Bands war es trotz Youtube, Bandcamp und Co. aber nicht immer ganz einfach und unsereiner sich somit doch einigen Überraschungsmomenten sicher.
Am Freitag war Warmup im Cave54. Ein unscheinbarer Club versteckt in einem UG in der Altstadt wo sich Aluk Todolo schön eingenistet hat. Das Trio aus Paris gibt gleich den Ton an. Mit nur einer grossen Glühbirne als Lichtquelle, ist der Gig ein Vorbote von dem was einem an diesem Weekend an Härte und Qualität erwartet. Die Zugabe mit Ursprung im technoided driftet langsam ins derb angenehmste Doom Gefilde wo die zufriedenen Gäste erstmals so richtig hart angegangen wurden. Das Pre-Listening, eine Disziplin die am Amplifest gehuldigt wird, der neuen Mono Scheibe, geht anschliessend etwas unter wie auch die nach mitternächtliche DJ-Session sparen sich wohl viele, im Wissen das die nächsten beiden Tage alles abverlangen werden.
Und dem ist so. Der Hard Club bietet die Location für die Shows am Samstag und Sonntag. Mitten in Porto wurde innerhalb der alten Markthalle zwei Säle eingebaut die den doch genialen Rahmen für dieses Festival bieten. Die Wände sind im Kontrast zum roten Markthallen-Gehäuse ganz in Schwarz gehalten. Der grosse Saal ist sogar mit Tageslicht versehen was den Shows am Tag eine spezielle Note verleiht. Zwischen den beiden Sälen sind vielfältige Merch- und Vinyl Stände aufgebaut und auch genügend Bars sind angelegt wo es das herbe Super-Bock Bier eiskalt ab Zapf und jeweils gleich 3 für 5 Euro gibt. Der Ausgang bietet eine Terrasse mit herrlich bis atemberaubenden Ausblick auf den Park “Palácio da Bolsa” und die Altstadt bis zum Fluss Douro der mitten durch Porto fliesst. Mitbekommen hat der Schreiberling nicht alle Bands da ja mal natürlich auch was gefuttert werden musste, übrigens “vegano” wovon es unerwarteter Weise sich doch einiges in Porto finden lässt.
Am Samstag beginnt das Programm schon am frühen Nachmittag. Es brauchte also etwas Überwindung aus der heissen Sonne mit angenehm trockener Meerbrise in den kühlen Hard Club zu tauchen. Obwohl die Spielzeiten auf 5 Minuten genau angegeben sind, findet der Auftakt am Samstag mit dem Melvins-Film “Across the USA in 51 Days” eine halbe Stunde verspätet an und somit das anschliessende Program etwas zusammendrängt. Der Saal 2 ist fast zu stark gekühlt was einem die nächsten Gigs darin aber erfrischend erträglicher macht. Der Film jedoch ganz Ok um sich dem ersten Hangover nach der Reise- und Bierstrapazen zu überwinden.
Die Panel Diskussion mit Chris Bennet, Scott Evans und Fredrik Rotter fährt dann gleich mit grossen Fragen auf wie: wohin des Weges im harten Genre, gibt es bald Post Post Rock, was wird in 10 Jahren sein, wie hat sich die Produktion in den letzten Jahren verändert usw.? Die Fragen und Anekdoten die langjährigen prägenden Köpfe von Neurosis, Kowloon Walled City, Mono und Zatokrev sind spannend, aber die Zeit zu kurz bemessen um stark ins Detail zu gehen oder hier weiter auszubreiten. Ein eigener Bericht wäre diesen Themen der sich den stark entwickelnden Facetten des harten Genres widmet eher mal separat angemessen.
Die Empfehlung drinnen nicht rauchen und während den Bands nicht laut zu sprechen wird leider nur schlecht befolgt. Das gepflegte bis zu den Bartspitzen gestylte und durchwegs tätowiert und schwarz gekleidete Publikum ist gut informiert und bewandert. Man merkt, dass hier nicht der grosse Rave gefeiert wird sondern seinem Sound und den Artists genauestens zugehört und ihnen mit anständigem Klatschen gehuldigt wird. Einige der Geniesser und Geniesserinnen sind offensichtlich alleine angereist. Weder Moshpits, Stagediving oder noch so kleine Rempeleien gibt es am Amplifest, trotz den vielen Tattoo-, Piercing und langen Bärten keine.
Schon früh beginnt dann schon das Postrock und (experimentierfreudige) Metal Herz höher zu schlagen. Mono ist das erste Postrock Highlight. Trotz kurzer Playtime erfreuen die Japaner, wie zuletzt in der Härterei oder im Exil, restlos. Mit Stücken aus der vielversprechenden neuen Scheibe “Requiem from Hell” sowie Epiker aus schier unvorstellbaren 30 Jahren knallen sie die Stücke auf der optimal perfektionierten Anlage ihren melodisch traurigen Sound in die zerstörten Abgründe der Existenz. Arigato! Oder passender: obrigado Mono!
Auch Minsk mit ihrem “Psychedelic Metal” aus den USA mundeten der Sound-hungrigen und inzwischen ausverkauften Meute bereits am Nachmittag, Altarage (titanic death metal aus Spanien) , Kowloon Walled City (Sludge Rocker aus SF) und Nevoa (aus Porto selbst) wurden Kräftesparend schon mal ausgelassen. Trotzdem, zu berichten gibt es noch mehr als Genug und als Anspielung bekundeten Minsk auf Facebook “Obrigado, Amplifest! We haven’t yet the words to describe how truly amazing that whole weekend was. From the depths of our hearts, thank you.”
Anna von Hausswolff ein weiteres Phänomen, das jede Freundin des “Indie Drone” verzücken, verzaubern und verführt bietet einen anstrengenden Augen- und Ohrenschmaus.
Kayo Dot mit ihrem weitgehend unklassifizierbaren Stil mag dann den persönlichen Geschmack nicht ganz zu treffen. Wobei es ja unnatürlich und zu sehr Glückshormon zehrend wäre jeden der Acts gleichstark anzuhimmeln. Roly Porter macht den Abschluss oder passender; den Abriss, des Samstags. Mit seinen Weltuntergangs Elektro Gewitter Soundtrack gibt er den Überlebenden des ersten Tages den völligen Rest und schickt uns in den Albtraum-erfüllten Schlaf.
Tesa, das Trio aus Litauen geben dann schon früh mit ihrem Post-Punk-Sludge den Ton für den Sonntag an. Die Australier Hope Drone verkörpern mit ihrem schwarzen Sludge Metal die Intensität in Person und sind live eine Wucht. Trotz Skepsis nach Pre-listening wirklich eine Hammer Auftritt. Oathbreaker mit der charismatischen, hinter ihren langen Haaren versteckte Sängerin mit der evangelistisch-teuflischen Stimme ist dann ein weiteres, grandioses Ohren- und Augenkino, nur schon deswegen es sich lohnen würde weit anzureisen. Der aktuelle Videoclip “Second Son of R.“ gibt ein Geschmack dessen was sie zurzeit zu bieten haben.
The Black Heart Rebellion aus Belgien treffen den Geschmack des Schreiberlings wiederum weniger und der grosse Saal ist etwas weniger gefüllt, dafür die treue Gefolgschaft darin umso engagierter anwesend. Downfall of Gaia bringen die sonst doch eher ruhig konzentrierten Köpfe dann wiederum richtig zum Schütteln. Eine Offenbarung der harten und düsteren Sorte.
Caspian ist Neu-England Post-Rock der Extraklasse. Ein lang ersehnter Wunsch die Truppe in voller Live-Action mit zu bekommen geht in Erfüllung. Da kann man nur zum Glück sagen, gibt es in der Schweiz die musikalisch nahen Verwandten von Leech. Mit Caspian sind wir endgültig in der Post-Rock Himmelhölle angekommen. Der Sänger, wie auch die meisten anderen bedankt sich bei den Organisatorinnen da sie schon mehrmals in Portugal gespielt haben mit „…and I mean this. Porto ist most beautiful city on the face of this earth“.
Das Phänomen CHVE aka Colin H van Eeckhout der sich selber als „the silence in the Storm at Amplifest“ betitelt singt zu seiner Sitar(?) ein halbe Stunde verwunschen, furchterregend Angenehmes erster Güte, sowas wie ein Wet-Dream im Schauermärchen und schreibt nachher auf Facebook “I had an amazingly good time at Amplifest 2016. Some people just astound you of how genuinely good and altruistic they are. I got to hang out with some beautiful people, and made great memories. Thank you André Mendes and loved ones worldwide.”
Neurosis ist das Highlight des Events und brauchen entweder keine, oder für Unbewanderte dann eine mehrmonatige, Einführung. Um sie endlich einmal buchen zu können wurde das Amplifest extra vom Herbst wie in den letzten vier Jahren, in den Sommer verschoben um an ihre Tour angepasst zu werden. Sie enttäuschten nicht und boten Kostproben aus ihrem 30-jährigen Schaffen im vollgepackten grossen Saal. Die älteren Herren bolzten ihre Songs gewohnt Lightshow-los in die trotz später Stunde und strengem Tagesplan angeregte Menge die kult-ähnlich jedem Riff ihre Ehrfurcht entgegenbrachten.
Prurient, das schreiende, am elektrisch schrammenden Geräte manipulierende Monster versichert ein würdiger Abschluss des Samstages. Er sorgt mit den brutalen Feedback Loops dass an angenehme Bettruhe nicht zu denken ist und die Ohren wummern bis in den wohlverdienten totenähnlichen Schlaf.
Der Montag bietet zum Ausklang dann noch Besonderes. Einerseits findet es in einem echten, gut erhaltenen Art-Deko Kino statt andererseits wird die sanfte, ja folkig-poetische aber nicht minder tiefe und düstere Seite des Genres damit zelebriert. Zuerst spielt Frederyk Rotter mit The Leaving seine langsame Traurigkeit und führt in den anreizend abgründigen Abend ein. Als Highlight ist die Zugabe im Zusammenspiel mit einem guten Freund am Keyboard. Sonst ist er ja mit seit 2002 mit seiner Basler Band Zatokrev in den allerhärtesten Gefilden unterwegs.
Anschliessend spielt einer der Bandmitglieder der Epigonen Neurosis Steve von Till seine Folk ähnlichen Darbietungen im inzwischen vollgepackten und todstillen Kinosaal. Die inzwischen 3 Alben umfassende Solo Werke mit nota-bene nur akustischer Gitarre und langsamen, traurig-poetisch verträumten Folk steht in klarem Ausgleich zur sonstigen Neurosis-Härte. Wie auch die Stimme nach „2 weeks of screaming“ wie er bekundet, zwar etwas angeschlagen aber der Tiefe der Stücke fast sogar noch eine herb, zerbrechliche Nuance verleiht. Ein wahrhaft gediegener Abschluss des Amplifest 2016.
Es war eine grandiose musikalische Horizonterweiterung. Teils fordernd und anstrengend, grossteils wirklich gut und die Gelegenheit zur Erfüllung zahlreicher lang gehegter Glücksmomente mit Acts und Gleichgestimmten deren Zusammenfindung auf der Welt wohl einmalig ist. Zudem dieses Porto, dass voller Überraschungen steckt. Die Stadt mit seinen steilen und eng verschlungen Strässchen mit grossen Kirchen und Plätzen, Palmen und verlassenen Häuser und der Zentrale Fluss der gross, still und dunkel mittendurch in die Atlantikmündung fliesst. Hinter jeder Ecke steckt ein neuer, oft atemberaubender Ausblick auf eine Epoche oder die Landschaft.
Das derb düstere das am Amplifest geboten wird kontrastiert zwar eigentlich stark mit dem Setting, aber genau dieses Gegenspiel macht es vielleicht aus. Das Amplifest ist also definitiv also ein Termin für die Bucket-list für alle Liebhaber_innen des progressiv-schwarzen Geschmacks. Dominiert wird die Besucher_innen Skala eindeutig von Einheimischen. Deutsch hört man nur ganz selten und mit Englisch kommt man gut durch. Auch für Freunde des Merchandise ist es die Gelegenheit von seiner Lieblings, oder neu lieb gewonnenen Band ein T-Shirt, Beanie oder Poster anzueignen und sich gleich noch ein Autogramm von den sonst auf der Bühne meist furchterregend wirkend aber face to face ganz netten Artists zu ergattern.
Text + Bilder: Gast