17. November 2016
Volkshaus – Zürich
Bands: Agnes Obel / Lisa Hannigan
Es ist die Zeit des Überflusses. Satte, warme Farben, eine Fülle an Geschmäckern. Eine Mischung aus Überschwänglichkeit und geniesserischer Zurückhaltung. In der Zwischenwelt von Leben und Sterben streifen wir in dieser Zeit dahin, durch lichterfüllte Haine und neblig-schattengetränkte Einöden. Ergötzen uns an den ausschweifenden Erlebnissen des Sommers und sehnen uns nach Ruhe und Geborgenheit. Der Herbst ist die mit Abstand schönste und zugleich zwiespältigste Zeit.
Wie ein Streifzug durch diese Zwischenwelt ist die Musik der Dänin Agnes Obel. Die Künstlerin entführt uns auf einen Spaziergang durch den melodiösen Herbst. Einfach gehalten ist die Bühne. Ein schlichtes Piano der zentrale Punkt. An dessen Flanken zwei Cellos. Kein Glitzer, kein Glamour, nur vier ganz in weiss gehüllte Musikerinnen machen sich gemächlich ans Werk. Harmonie durchfährt die Stille, stimmt diesen Spaziergang ein. Sanfte Saitenklänge in warmes Licht getaucht. Träumerisches Wandern durch Klanglandschaften, mal aus wenigen Akkorden mal aus übersättigten Strukturen bestehend. Wie im herbstlichen Wald, ein stetiger Wechsel der Grundfarben.
Der glasklare, sonore Gesang umschmiegt wie eine leichte Brise die karge Tonlandschaft. Hallt nach. Sirenengleich fängt Agnes Obel die Seelen der Zuhörer ein, umhüllt sie mit starken Stimmakzenten, streichelt die Gemüter, mal geflüstert, mal diamantenklar. Nie wird es langatmig, obschon der dezenten instrumentalen Ausstattung. Der Gesang stets im Vordergrund, wenn auch immer nüchtern gehalten, doch ausschweifend abwechslungsreich. Starke Loops untermalen „Trojan Horses“, die Klarinette zeichnet neue Striche in das Bild. Die E-Drums, welche anfänglich so fehl am Platze wirken, malen elektrische Effekte hinzu, die nie aufdringlich wirken.
Nach nur wenigen Liedern bin ich eingelullt in der zart zerbrechlichen Welt der Agnes Obel. Schwanke dahin und geniesse. „It’s Happening Again“. Immer und immer wieder trifft sie den Herzschlag des Publikums. Mit eben diesem Song, wo gegen Schluss hin, sich die Streicher in den Vordergrund drängen. Der musikalische Herbstspaziergang will nicht enden, darf nicht enden. Wir mäandern in die kühle Nacht hinein. Agnes Obel packt uns wohlig ein in ein klangstarkes Gewand, das von der ersten bis zur letzten Masche perfekt gestrickt ist. Bei „Mary“ spüre ich wie der Supermond über meinen Kopf dahinzieht und ganz langsam seine melancholische Wirkung entfaltet. Meine Musikseele ist lieblich umsorgt. „Stretch Your Eyes“ schweift nochmals aus. Eine Aufforderung zurück zu kehren in die Realität. Ich will noch gar nicht.
Es war so ein schöner Abend an dem Agnes Obel vor allem ihr neues Album präsentiert und obwohl sich alle nach „Riverside“ sehnen, hinterlässt dieser neue Weg einen tief zufriedenen Eindruck im Publikum. Das beschreiten eines unbekannten und doch geläufigen Pfades, eingetaucht in eine wärmende Symphonie, die wir aufsaugen, damit sie uns sanft und wohlgenährt durch die kalte Jahreszeit bringt.
Mit Lisa Hannigan als Support war eine zierliche Wegbegleiterin auf der Bühne. Ganz alleine mit ihrer leicht belegten, dezenten und doch kraftvollen Stimme und nur eins zwei Akkorden auf der Akustikgitarre stimmte sie das Publikum ein. Es braucht schon Mut da zu stehen, ganz ohne Hilfsmittel und die Stimme alleine gleiten zu lassen. Ein wahrlich zauberhafter letzter Song. Reinhören erwünscht.
Setlist:
1. Red Virgin Soil
2. Dorian
3. Trojan Horses
4. Golden Green
5. It’s Happening Again
6. Familiar
7. Piano Instrumental
8. Philharmonics
9. Fuel To Fire
10. Mary
11. The Curse
12. Stone
13. Stretch Your Eyes
Zugaben
14. Smoke And Mirrors
15. Riverside
16. On Powdered Ground
Text: Sebastian Leiggener
Fotos: Kathrin Hirzel