Domino Recording / VÖ: 21. Oktober 2022 / Indie Rock
arcticmonkeys.com
Text: Patricia Leuchtenberger
Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz in der alternativen Szene: je länger der Künstler in der Industrie unterwegs ist, desto mehr leidet die Authentizität der Musik. Zuerst noch mit einer Vision von künstlerischen Freiheit werden noch ungeformte Visionäre die Vorstellungen der Plattenlabels und Marketingfirmen eingepflanzt, und es entsteht ein Vertrag zwischen dem kleinen Newcomer, der die Chance seines Lebens ergreifen will, und der großen Produktionsstätte, welcher der musikalischen Qualität die Streamingzahlen vorzieht. Es ist das alte Lied von Abhängigkeit und Selbstverwirklichung, und während so manche relevanten Musiker der letzten Dekaden langsam auf diesen Pfad stolpern, feiern die Arctic Monkeys bald ihr 20-jähriges Jubiläum, und erfreuen sich sowohl an ihrer etablierten Popularität, an einer vom Kritiker-gelobten anhaltenden musikalischen Kompetenz und naja: dem Fakt, dass nach dieser Zeit sowie unzähligen stilistischen Wendungen die Luft aus den Projekt Arctic Monkeys und ihrem neuen Album „The Car“ noch nicht raus ist.
Der Neuorientierung zum Pop-Punk in der Indie-Szene strotzen die Engländer mit dem Wissen, dass „AM“ eine wegweisende Platte für das breite Publikum vom Indie-Rock war (und eine ebenso noch größere Anhängerschaft nach sich zog, wenn das nach ihrem Debüt 2006 überhaupt möglich wäre). Das Ergebnis ist eine Fotografie von Drummer Matt Helders, die lediglich ein Auto auf einem Parkplatz zeigt, und ein Sound, mit dem sie sich schon auf dem Vorgänger „Tranquility Base Hotel & Casino“ ein selbstbewusstes Statement gesetzt haben, jetzt mit Unmengen an Streichern intensiviert und Haiku-artigen Texten ergänzt. Der instrumentelle Fokus auf Langsamkeit und Nuancierung unterstreicht die forcierten Reime, die theatralischen Texte. In der Tradition eines Konzeptalbums referenziert Turner, der fast alle Texte alleine verfasst hat, die Songs untereinander, sodass ein Netz aus wagen Andeutungen und nebulösen Gefühlen gespannt wird.
Unzählige Fragen werden an Namenlose gestellt, gemächlich dringt Turners kehliger Sprechgesang in die ermüdeten Ohren und bewegt sich dabei immer wieder schwankend auf der Grenze zwischen satirischer, egozentrischer Selbstdarstellung und anklingenden Urlaubsillusionen. Willkür ist Zeitgeist: mit ihren irre langen Song-Titeln und überraschenden Projekten wissen das die Briten und setzen es gezielt für ihr „Nicht-Marketing“ ein. Man wusste doch nie so wirklich, was Turner da meint, wenn er etwas singt, und woher sie ihre Inspirationen ziehen. In „The Car“ fordern die Arctic Monkeys Hörer auf, ihnen in die neue künstlerische Vision von souligen Indie-Arrangements zu folgen. Vielleicht ist es aber auch ein Rückblick auf die Karriere der Band: durch die letzten zwanzig Jahre, mit viel Tam Tam als Hintergrundmusik, in einem sehr, sehr langsamen Auto.