Balloon Rangers Records / VÖ: 30. Oktober & 27. November 2020 / Folk-Pop
anebrun.com
Text: David Kilchör
Ane Bruns beiden jüngsten Alben «How Beauty Holds The Hand Of Sorrow» und «After The Great Storm» separat zu betrachten, geht nicht. Die norwegische Singer-Songwriterin hat sie nur wenige Wochen nacheinander veröffentlicht. Und entstanden sind sie sozusagen in einem Guss.
«How Beauty Holds The Hand Of Sorrow» ist ein stilles, nachdenkliches Album. Rechtshändige Pianoakkorde, bedacht hingelegt, und dreifingrig gezupfte akustische Gitarrenmuster dominieren die Klangfarben. Zuweilen wehen feine Streichquartett-Arrangements oder luftige Synthpads wie sanfte Windstösse hindurch.
«After The Great Storm» inszeniert Ane Brun als Gegenstück. Das Album fängt mit einem tropisch anmutenden Perkussionsgroove an, es folgen verzerrte Synthlinien, Depeche-Mode-Bässe – Ane Brun, wie man sie noch nie gehört hat. Ein Spielplatz an Grooves, Sounds, Arrangements; farbenfroh und hoffnungsvoll.
Hinter den beiden Alben steckt eine kreative Schattenzeit, ausgelöst durch den Tod von Ane Bruns Vater 2016, ein Jahr nach ihrem hochgelobten Folk-Album «When I’m Free». Ane Brun versuchte, neue Songs zu komponieren. Schaffte es aber nicht. Erhoffte sich neue Inspiration von den Kompositionen anderer – was zum Cover-Album «Leave Me Breathless» führte. Tourte viel, produzierte ein paar Singles.
Dann kam sie endlich zurück, die abhanden gekommen geglaubte Inspiration – und das in einem Mass, wie die Singer-Songrwriterin es nicht gekannt hatte. Die Songs sprudelten aus ihr heraus, 18 davon nahm sie auf und war drauf und dran, ein Doppelalbum zu veröffentlichen. Doch mit dem Lockdown kamen ein paar weitere Ideen hinzu, genügend, um vom Doppelalbum zu zwei vollen, eigenständigen Alben umzuschwenken. Sie bestückte sie anhand der Stimmung der Songs – leise, traurig oder beweglich und bunt.
Die Tiefe der beiden Werke liegt in der Anordnung der Songs, die Ane Bruns Weg der Trauer spiegeln und die man in der vorgegebenen Reihenfolge hören muss, um die innere Reise der Komponistin begleiten zu können. Sie setzen bei der vierten der fünf Phasen der Trauer ein – der Depression. «I Held Your Last Breath In My Chest», singt sie im Opener von «How Beauty Holds The Hand Of Sorrow» – die Violinen, Bratschen, Celli hauchen dazu ihre Linien wie unzählige letzte Atemzüge rund um Ane Bruns Stimme, das Piano spielt den sterbenden Herzschlag.
Im letzten Song des stillen Albums, «Don’t Run and Hide», sind die Atemzüge verschwunden, nur das Piano bleibt. «Fear is a choice», singt sie dazu. «A lonely exile”. Ruft sich selber zu: «don’t run and hide, take a look outside.» Es ist Zeit für das Ende der Depression, die Phase der Akzeptanz kann beginnen.
Und zwar mit dem Song «Honey» auf Album Nummer zwei, den sie ebenfalls an sich selbst richtet. «Honey» ist Ane Brun selbst, angetrieben vom genannten tropischen Groove sinniert sie über ihre Fehler der Vergangenheit und kommt zur Konklusion: «Honey, I wish I could reinvent you, but Honey, there’s nothing to do.» Akzeptanz.
Kurz darauf greift die Komponistin den Schlusssong des ersten Albums erneut auf, bettet ihn aber in eine viel optimistischere Klanghülle, betont durch ein hartes Drum-Pattern, mehrstimmige Refrains, glänzende Streicher. Dadurch schwingt in denselben zuvor verzweifelten Worten plötzlich Hoffnung.
Ihre Gedanken und Gefühle rund um den Verlust ihres Vaters bringt sie am Ende von «After The Great Storm» zum Ausklang. «We Need A Mother, We Need a Father», singt sie zwar und hängt damit der Vergangenheit nach. Doch dazwischen: «We Need A Moses To Seperate The Waters» – ein Akt, der in der jüdischen Thora einen Schnitt zwischen Vergangenheit und Zukunft des israelischen Volkes herbeiführte. Und Ane Bruns Zukunft? Sie blickt auf das, was sie behält, weg vom Verlorenen. «We Need Our Sisters, We Need Our Brothers. We Need Each Other.»