6. Dezember 2019
Palace – St.Gallen
Bands: Emilie Zoé / One Sentence. Supervisor
Die leisen Töne, die Emilie Zoé auf ihrem “Dead End Tape“ noch anschlug, brachen bereits auf “The Very Start“ immer mehr aus. Besonders live aber bekommen die Songs der Neuenburgerin ein zusätzliches Element, das unverzichtbar ist: Es ist Emilie Zoé selbst, die man erlebt haben muss. Die Dynamik und der Charakter ihrer Musik in all ihren Facetten, nicht einfach reduziert, sondern vielmehr auf den Punkt. Es ist hohe Kunst mit ganz wenig, aber dafür mit ganz viel Talent. Und es war ein Schauspiel. Man hing an ihren Lippen, wie sie ihre Geschichten erzählte. Manchmal schaute sie wie ein Geist ins Publikum und man konnte durchaus das Gefühl bekommen, es spuke auf der Bühne. Nicolas Pittet tastete sein Schlagzeug ab, als würde er es nach seinem Leiden untersuchen. Dass er als virtuoser Schlagzeuger sowie Perkussionist in diesem teilweise rauen Kammerspiel ebenso unersetzbar ist, merkte man besonders auch dann, wenn er nur ganz wenig zu machen schien.
Die Songs flossen ineinander und so war es nicht das einzelne Lied, sondern das ganze Konzert, das als Gesamtwerk fesselte, bis hin zum bühnenreifen Abgang. Emilie Zoé und Nicolas Pittet verschwanden Hand in Hand im Publikum und fast wirkte es so, als gingen sie ins Wasser, werden eins mit den Menschen vor der Bühne – oder stechen gemeinsam in See (“Sailor“). Es war ein umwerfender Auftritt des Duos im Palace und es ist kein Wunder, wurden sie nach Groningen ans Eurosonic Noorderslag eingeladen, wo nächstes Jahr die Schweiz im Fokus steht, mit Emilie Zoé als eine der derzeit besten Vertreter/innen der hiesigen Musikszene. Der Höhepunkt des ganzen Abends war “The Barren Land“ mit seinem langen Intro und dem noisigen Schluss. Das konnte man nicht mehr toppen.
Da war es natürlich etwas gemein, wenn man an dieser Doppelshow feststellen musste: Mit dieser Intensität konnten die sympathischen, viel tanzbareren One Sentence. Supervisor nicht mithalten. Gemein deshalb, weil man die beiden Stile nicht miteinander vergleichen sollte. Den grössten gemeinsamen Nenner suchte man denn auch vergebens. Die Band aus Baden begann extrem stark, gleich mit einem ihrer besten Stücke (“Double You Pt. 2“) und beeindruckte mit einem überragenden Sound, den man an vielen Konzerten im Klangbrei suchen gehen muss. Danach baute ihr etwas monotoner Krautpop leider ab, was ihnen manchmal auch auf Platte zum Verhängnis wird und phasenweise weniger mitreisst. Fairerweise muss man dazu sagen, dass diese Gleichförmigkeit durchaus gewollt ist und man in bühnennähe niemanden gefunden hätte, den sie störte – One Sentence. Supervisor brachten viel Bewegung in die von der Dezemberkälte etwas steif gewordenen Tanzbeine.
“Double You Pt. 2“ war auch deshalb ein perfekter Einstieg, weil ihm wie bei vielen anderen Songs von “Acedia“ eine stimmige Mischung aller Stile gelingt. Und das bezieht sich nicht nur auf Bahur Ghazi und seine Oud, aber natürlich machte er viel aus. Vereinnahmend war die ganze Band rund um einen Sonnenschirm mit Big-Sale-Schild, unter dem Sarah Palin konsequent den Takt vorgab – ein Takt der manchmal lange anhielt, gegen Schluss des Konzerts mehr anzog und wieder stärker wurde. Auf dem Weg nach Hause spukte aber immer noch der Geist von Emilie Zoé in den Grundtiefen des eigenen musikalischen Ozeans und verwünschte einen selbst am Morgen darauf noch, so dass man den “Tiger Song“ beim Aufstehen pfiff.
Text: Michael Messerli