Aquarela – Filmkritik
Text: Sebastian Leiggener
Regisseur: Victor Kossakovsky
Musik: Apocalyptica
aconiteproductions.com/aquarela
Es ist der Inbegriff von Leben und vielfach verantwortlich für Tod und Verwüstung. Ist sanftmütig und tausendjährig geduldig wenn es Täler formt, lässt sich selbst auch formen und führen, fliesst, dampf, härtet aus, ist heiss, kalt oder gefroren. Es ist wütend und zerstörerisch und durchbricht die durch uns gezähmten Formen. Wasser ist unbestrittenes Lebenselixier. Dieses Element lässt uns gleichwohl erstaunen wie auch erzittern. Lässt und sehnen und fürchten. Wir hängen am Wasser wie an Mutters Brust. Dennoch ist es fremder als ferne Planeten. Ebenbürtig lebenspendend wie -abweisend. Im Wasser zu weilen, ohne Schutz ohne Hilfsmittel, wenn auch nur für kurze Zeit, ist dem Menschen unmöglich. Aber wir brauchen das flüssige Gold zum Sein, bestehen praktisch daraus und wissen gleichzeitig, dass unser Sein dem Wasser so ziemlich egal sein dürfte und wir uns in unserer Beschränktheit dieser Übermacht gnadenlos ausgeliefert sehen. Eine Hassliebe – Mensch und Wasser.
In seinem neuen Film Aquarela stellt der russische Dokumentarfilmer Victor Kossakovsky das Wasser ins Zentrum und in die alleinige Hauptrolle. Der Mensch vollführt dabei als Statist nebenbei eine ganz besondere Glanzleistung. Gekonnt setzt Kossakovsky den Menschen in Szene indem er gezielt zeigt wie ausgeliefert er dem mystischen Blau ist, von welchem er so vollkommen abhängig und welchem er bedingungslos ausgeliefert ist. Da steht dieser Mensch mit all seiner so grossartigen Technik auf dem zugefrorenen Baikalsee und ist allein der kleinsten Schwankung der Dichte des Eisteppichs ausgeliefert. Da peitscht der Hurrikan Irma über Miami hinweg, zwischen all den modernen Glaspalästen die trostlos und kalt zu trotzen versuchen. Doch nur Wasser bleibt zurück. Da sehen wir den Menschen als Eroberer, auf dem Segelschiff gemächlich vorbei schippern, an Eismassen, aufgeschichtet über Jahrtausende hinweg und nur ein staunender Gedanke bleibt: Hoffentlich schmilzt das nicht alles weg.
Der Film ist eine Reise durch die transformative Schönheit und die unbändige Kraft des Wassers in all seinen verschiedenen Formen. Fliessend, plätschernd, fallend und strömend. Die unglaublich schönen und auch teils beängstigenden Bilder ziehen den Zuschauer in Bann, lassen ihn versinken in der unvorstellbaren Allmacht des Wassers wenn es in Massen kommt. Aquarela ist aber nicht nur ein stilles und ausdrucksstarkes Werk für die Augen in tausend Blau- und Weisstönen. Die verzerrenden Klänge die Wasser hervorbringt, sei es das Knacken des Eisteppichs, das Knallen beim Abbruch ganzer Eisbrocken in die tosende See, das wuchtige Brummen und Rollen, furchteinflössender Monsterwellen oder das leise Blubbern von eingesperrten Luftblasen bis hin zum Plätschern schmelzenden Eises. Aquarela ist durch all die Geräusche auch ein Genuss für das Gehör. Besonders dann, wenn die einsamen Naturklänge sich behutsam vermischen mit unbändigem Post-Rock und Symphonic Metal, geschrieben und vollführt von der finnischen Band Apocalyptica. Auf wirkungsvolle Sequenzen reiner Naturbilder, folgen minutenlange instrumentale Klangperlen, welche die faszinierende Augenweide feudal untermalen. Am schönsten immer zu Beginn und Schluss eines Tracks, wo sich der von Menschen gemachte Ton mit den Wasserklängen vermengt.
Aquarela ist eine verblüffende visuelle Darstellung des Elements Wasser. Erstaunlich filigran und klar umgesetzt, da uns der Film gleichzeitig vor Schönheit und vor Angst Gänsehaut beschert. Er zeigt uns wie leichtsinnig wir mit unserem wichtigsten Lebenselixier umgehen und wie gleichgültig wir sind, im Gefühl die unbestreitbare Vollkommenheit der Schöpfung zu sein. Er zeigt uns aber auch unser Bewusstsein für die Wichtigkeit des Wassers auf und wie wir an, im und mit ihm Leben, aus ihm schöpfen und uns auch dankbar und unterwürfig zeigen können, ja sogar müssen, so übermächtig diese Naturgewalt ist. Nicht zuletzt regt der Film zum nachdenken an. Er zeigt wie unbedeutend der Mensch in diesem ganzen Gebilde das sich Leben nennt dasteht. Der Film lehrt uns, dass Wasser geduldig ist und unendlich viel Zeit hat. Zwei Eigenschaften die wir Menschen in unserer begrenzten Endlichkeit fatalerweise nicht besitzen. So scheint es nur als ob wir das Wasser bändigen und begradigen. In Tat und Wahrheit zeigt uns das Wasser tatsächlich täglich unsere Grenzen und Begrenztheit auf.
Eine Bildersammlung voller Schönheit, Ehrfurcht und überschwappend viel Wasser. Zu sehen ab jetzt in deinem ausgewählten Kulturkino. Vielleicht wäre es schlau vor Filmbeginn noch kurz die Toilette aufzusuchen.
Der Soundtrack zum Film von Apocalyptica kann auf Amazon heruntergeladen werden.
Tracklist:
1. Aqua Opening
2. Auqa Balalaika
3. Aqua Icebergs
4. Aqua Waves
5. Aqua Genesis
6. Aqua Coma