2. Mai 2019
Im Gespräch mit: René Scherer (Schlagzeug), Livio Meister (Bass), Jonas Nissen (Gitarre) und Felix Baumann (Gesang und Gitarre) von A River Crossing.
Von Luzern nach Russland – die Post-Rock-Band A River Crossing machte sich Ende März dazu auf, 13 Konzerte im grossen Osten zu spielen. Bei einem Proberaumbesuch sprachen wir mit der Band, um die Stimmung vor der Reise ausfindig zu machen. Und jetzt, nach all diesen gefahrenen Kilometern, nach all den gespielten Shows, und nach all den gegessenen Borschtsch war es an der Zeit, das Debriefing zu starten. Erneut im Proberaum, erneut mit der gesamten Band – aber mit vielen neuen Eindrücken.
Michael: Ihr seid nach der Tour durch Russland wieder zurück in der Heimat. Wann hattet ihr eigentlich alle das Visum?
Jonas: Donnerstagabend rief mich ein Mitarbeiter von DHL an und wollte mein Visum am Freitag vorbeibringen, das war allerdings zu knapp. Er brachte es dann aber am gleichen Abend noch vorbei – 1.5 Tage vor Abflug.
René: Wir waren, bevor Jonas in den Bandraum kam, sehr emotional. Zweifel kamen auf und gewisse Sorgen machten sich breit. Aber es klappte ja doch alles.
Nach der Tour das gleiche Spiel noch einmal – was passt besser zu A River Crossing: Vodka oder Wasser?
Livio: Immer noch Wasser.
Jonas: Klar Wasser, weil wir in Russland merkten, da man nirgends Leitungswasser trinken kann. Sehr ungewohnt und an gewissen Morgen ungemütlich. Wobei Vodka trotzdem auch cool ist.
Weites Fahren oder enge Siedlungsdichte?
René: Das weite Fahren gefiel mir ausserordentlich gut, ich kannte dies gar nicht. Es wurde niemals zu einer Belastung, denn man war immer abgelenkt, mit den Landschaften oder anderem. So verging die Zeit sehr schnell.
Felix: Für mich auch das lange Reisen und zu sehen, dass es Gebiete gibt, die nicht dicht besiedelt sind.
Unbekannte Bands oder bereits gehörte Gruppen?
René: Gewisse Bands, welche mit uns gespielt haben, waren wirklich sehr stark, andere hingegen hatten zwar gute Ideen, konnten diese aber leider nicht richtig umsetzen.
Jonas: Im Post-Rock brauchst du viel Übung um ein solches Klangkonstrukt generieren zu können. Da reicht es nicht aus, ein Instrument zu beherrschen, du musst als Band funktionieren.
Livio: Das Unbekannte war auf dieser Tour sowieso viel aufregender, sich überraschen lassen von allem und allen.
Schneemänner bauen oder Sonnenschirme aufspannen?
Alle: Schneemänner. (lachen)
Die grosse Frage ist ja wohl: Wurden eure Erwartungen übertroffen?
René: Erfüllt auf jeden Fall, es war planerisch und organisatorisch gelungen und wir konnten es sehr geniessen. Unsere Aufgaben bestanden eigentlich nur aus Essen, Trinken und Konzerte spielen. (lachen)
Jonas: Wir durften nicht einmal das Auto selber mit unserer Ausrüstung beladen. Wobei deren System jeden Tag wieder wechselte. (lachen)
Demnach bewährt sich eine solche Tour zu buchen, welche komplett von einer Agentur organisiert wird?
Felix: Aus meiner Perspektive war es für dieses Ausmass, mit den Sprachbarrieren und den Distanzen, die einzige Möglichkeit, eine solche Tour auf die Beine zu stellen. Es hat sich absolut bewährt.
Livio: Die Organisatoren waren sich sehr bewusst, was sie uns bieten konnten. Der „europäische Standard“ wurde zwar nicht immer erfüllt, die Preis-Leistung stimmte aber immer, auch bei den Hotels.
Felix: Sehr schnell hat der Manager auch begriffen und gefühlt, wie unser Sound klingt, wie wir als Gruppe funktionieren und wurde zum Teil der Band.
Welches waren die besten und die mühsamsten Momente?
René: Für mich gab es zwölf Highlights und ein kleiner Tiefpunkt. Wir spielten auf 13 Bühnen vor 13 verschiedenen Zuschauermengen – da gab es immer Unterschiede, auch im Vergleich zu der Schweiz.
Felix: Nebst den Auftritten war es faszinierend 7500 Kilometer weit zu reisen, vom tiefsten Sibirien bis zur Grenze von Moskau, die Menschen und deren grosse Herzlichkeit zu erfahren. Und als Band nach all den Tagen immer noch zusammen im Bus über den gleichen Unsinn Lachen zu können. Als Gruppe sind wir klar stärker zusammengewachsen, das Bandgefüge wurde gestärkt.
René: Wir sind grundsätzlich alle sehr unkompliziert, das hilft.
Livio: Zum ersten Mal mussten wir aber auch einen Song während dem Konzert abbrechen, in Moskau. Es war während „Göteborg“, welchen wir danach nicht mehr gespielt haben. Sehr schlimm war dies aber nicht.
Und sonst, während der Fahrt, die Begegnungen mit dem Publikum?
René: Es gab sehr schöne Momente, die Leute hatten wirklich viel Spass. Gewisse Bands kamen sogar für ein zweites Konzert mit Freunden am nächsten Tag zurück.
Felix: Eines morgens wollte ich in ein kleines Geschäft um Zigaretten zu kaufen, während alle noch schliefen, und die ältere Dame an der Kasse dachte, ich wollte Zigaretten schnorren. Sie verstand mich nicht, ich hielt ihr die leere Packung hin und sie wurde bestimmt und laut, und jagte mich aus dem Laden. (lachen)
René, du hast ein Konzert erwähnt, das nicht so gelungen war. Warum?
René: Dies war der letzte Auftritt, im Grund in einer tollen Bar – doch leider wie ein Showcase-Konzert. Die Leute waren dort um zu Speisen und Wein zu trinken, sassen an ihren Tischchen und wir spielten wie exponiert oder ausgestellt.
Da fehlte bestimmt der Energieaustausch.
Jonas: Genau, dies war der Punkt. Man spielte und spürte wie keine Reaktion – als ob es keine Rolle spielte, was wir gemacht haben.
Felix: Der Tag zuvor war eben ein grossartiger Moment, in dem alles gepasst hatte. Das wäre der perfekte Tourabschluss gewesen.
War es befreiend, für einmal in komplett neuen Gebieten unterwegs zu sein?
Jonas: Definitiv, man startete an jeden Abend wieder bei null. Zu Beginn waren die Leute immer etwas zurückhaltend, nach dem Auftritt waren alle sehr begeistert und kamen auf uns zu. Sie wollten Fotos, machten uns Komplimente und waren bewegt.
Felix: Vom unterkühlten zum nahbaren – auch weil es dort nicht die kulturelle Vielfalt gibt, welche wir in der Schweiz haben. Was sich in einer sehr beherzten Art ausdrückte, inklusive der Ungläubigkeit, dass eine Band so weit reist, um in solch kleinen Orten in Russland zu spielen.
Wie war es für euch denn, nach einer solchen Reise wieder in der Schweiz zu spielen?
Jonas: Wir versuchten die Energie mitzunehmen, doch gerade vom Publikum her war es anders. Die Leute waren weniger interessiert, es kamen weniger Personen – es existiert halt ein Überangebot.
Felix: Technisch waren wir auf jeden Fall bereit, es fehlte eher der emotionale Aspekt.
In der Schweiz passiert es auch selten, dass die Leute nach einem Konzert direkt auf die Musiker zugehen.
René: Vereinzelte gibt es immer, aber in Russland war es gerade umgekehrt. Praktisch alle wollten mit uns sprechen und uns Komplimente machen.
Livio: Unser Tourmanager sagte dazu auch, dass viele Leute gar nie aus ihrer Region oder Stadt herauskommen. Somit war es eine der wenigen Möglichkeiten, mit Leuten aus Europa Kontakte zu knüpfen. Wir sprachen selber darüber, dass es eigentlich viel toller ist, im Ausland Konzerte zu spielen.
Felix: Hier interessiert es leider fast niemand mehr – sei es Luzern oder Rohrschach. Das spüren ja nicht nur wir, sondern Veranstalter und Clubbetreiber. Alle suchen nach Lösungen oder Möglichkeiten. Da spürt man das Gefälle zwischen dem Westen und dem Rest.
René: Manchmal hatten wir sogar fast ein Dorffest-Gefühl, alle Altersschichten kreuzten auf.
Haben sich Freundschaften entwickelt?
René: Nicht unbedingt tiefe Freundschaften, aber gerade auf Social Media findet der Austausch auf jeden Fall noch statt. Posten wir ein neues Bild, stammen die ersten Likes auf jeden Fall von Russinnen. (lachen)
Felix: Ich habe immer noch regen Austausch mit dem Tourmanager und Personen, die ich kennengelernt habe. Lustigerweise werde ich im Juli das Konzert von Tool in Zürich besuchen und dort den Sänger einer Band aus Moskau wiedersehen.
Wenn ihr Likes von so vielen Frauen erhält, habt ihr denn etwas Russisch gelernt? Oder nur einzelne Wörter?
Livio: Um Ein Uhr nachts sprachen wir alle immer Russisch. (lachen)
René: Nach einer gewissen Zeit konnte man bei den Gesprächen den Inhalt erahnen, sprechen aber nicht.
Felix: Ich habe zu Beginn der Tour und am Ende nichts verstanden. Für das nächste Mal würde ich mir aber bestimmt vornehmen, mich besser vorzubereiten.
Jonas: Besonders die Schrift lesen zu können, das würde bestimmt viel helfen.
Wie war denn die Kulinarik?
René: Wie bei allem eine grosse Bandbreite, wobei es für die Vegetarier unter uns manchmal etwas hart war. Dafür gab es wirklich geile Pizzas. Teig mit Cocktailsauce und irgendein Fleisch. (lachen)
Und Borschtsch natürlich.
Felix: Ja, das lieben wir! (lachen)
René: Nicht alle!
Livio: Zum Beginn gingen wir mit zwei Personen der Agentur russisch Essen, das war wirklich grossartig. Leider war es auch das einzige Mal, dass wir unterschiedliche Traditionsgerichte hatten.
Was sind die kommenden Highlights für A River Crossing?
René: Bestimmt das „berg mal klein„, welches Ende Mai in Zürich stattfinden wird, und dann „Post In Paris“ in Frankreich. Ich persönliche freue mich sehr darauf, die neuen Songs zu vollenden, Videos zu schneiden, kreativ zu sein.
Felix: Genau, einen Fahrplan zu erstellen und über Monate hinweg zu planen, das wird wichtig. „Post In Paris“ wird in der nahen Zukunft das letzte Konzert sein und wir werden die nächste Zeit nutzen, um zu Arbeiten und den Kreativprozess in Gang zu setzen. Und falls jemand, der dieses Interview liest noch eine Buchungsmöglichkeit Ende Mai sieht, der soll uns doch bitte kontaktieren.
Zum Abschluss: Welches Land oder Gebiet würde auch nach dieser Tour in Russland noch reizen?
Jonas: Mich würde Osteuropa weiterhin sehr interessieren.
Livio: Nordeuropa wäre auch sehr spannend, Skandinavien.
Vielen Dank für eure Zeit und Musik.
Interview: Michael Bohli