18. April 2019
Im Gespräch mit: Björn Gelotte (Gitarre) von In Flames.
Die Melo-Death-Giganten In Flames beehrten am 18. April das Zürcher Komplex 457. Wir haben den sympathischen Gitarristen mit Bart – Björn Gelotte, –in ihrem Tourbus getroffen, um über das neuste Werk „I, The Mask“, ihren Wechsel zurück zum Label Nuclear Blast und den plötzlichen Ausfall des Gitarristen Niclas Engelin zu sprechen.
Patrick: Hi Björn, schön dich wieder zu sehen! Wie geht es dir?
Björn: Mir geht es gut, ich bin einfach etwas müde. Wir tourten eineinhalb Monate durch die USA, und nach einer sechstägigen Pause ging es gleich weiter nach England, Frankreich, und jetzt sind wir hier in der Schweiz für unsere letzte Show. Wir waren insgesamt zweieinhalb Monate unterwegs, demzufolge ja, ich bin langsam schon sehr müde. Immerhin geht es jetzt für drei Tage nach Hause, und dann gleich weiter nach Russland für weitere Konzerte.
Herzliche Gratulation zu eurem neuen Werk “I, The Mask”! Bereits in der ersten Woche nach dem Release, stieg das Album in den Schwedischen und Österreichischen Charts gleich auf Platz 1. Wie fühlt sich das an ?
Das ist super! Es ist etwas, dass wir nicht kontrollieren können, aber ein guter Beweis, dass wir offensichtlich etwas richtig gemacht haben. Wir spielen immer die Musik, die uns gefällt. Wenn die Leute das mögen, ist das toll! Wenn nicht, interessiert es uns nicht wirklich. Aber es freut mich sehr, dass unsere Musik bei vielen Menschen so gut ankommt. Die neuen Songs funktionieren auch auf der Bühne ziemlich gut! Sie sind sehr massiv und kraftvoll. Es macht grossen Spass, sie zu spielen.
Euer neues Album ist ja sozusagen eine kritische Sicht auf unsere heutige Gesellschaft. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
In vielen Aspekten des Lebens trägt jeder von uns eine Art Maske. Das kann viele Gründe haben: Aus Selbstschutz oder um seine eigene Persönlichkeit in der Öffentlichkeit zu verstellen. Ich denke, das kann sowohl positiv, als auch negativ sein. Social Media und das Internet im Allgemeinen sind ein super Werkzeug für eine Band! Man erreicht extrem viele Menschen auf einmal, kann Werbung für ein neues Album, einen neuen Clip oder für die nächsten Konzerte auf einer Tour machen. Dann gibt es aber auch die andere Seite von einem viel persönlicheren Verhalten in den sozialen Netzwerken. Menschen wollen ja immer nur ihre positiven Eigenschaften im Internet veröffentlichen. Einige leben komplett in dieser Illusion, dass alles immer gut und perfekt ist. Wiederum andere sind neidisch oder verunsichert, warum bei ihnen nicht alles so gut läuft. Das ist totaler Schwachsinn! Jeder Mensch hat gute und schlechte Tage und es ist ja klar, dass man seine schlechten Tage nicht gerade unbedingt auf Instagram posten möchte, oder?
Wie benutzt ihr als Band dieses mächtige Werkzeug namens „Internet“. Analysiert ihr beispielsweise die Reaktionen eurer Fans, wenn ihr eine neues Album veröffentlicht? Oder interagiert ihr mit euren Fans auf euren Social-Media Plattformen?
Wir benutzen es vor allem als Werbeplattform, damit unsere Fans wissen, dass wir gerade in ihrer Umgebung auf Tour sind. All die analytische Erarbeitung unserer Verkaufszahlen und sonstiges in dieser Art, ist die Aufgabe unseres Managements und unseres Labels. Wir fokussieren uns nur auf die Musik und versuchen, Spass dabei zu haben. Naja, eigentlich haben wir sogar sehr viel Spass dabei. Jeder soll das tun, was ihm Spass macht – und wenn du gerne im Internet rumhängst, nur zu!
Euer neues Album ist, wie bereits euer vorheriges „Battles“, in Zusammenarbeit mit dem Produzenten Howard Benson entstanden. Wie war die Zusammenarbeit diesmal?
Es war noch besser! Bei der letzten Zusammenarbeit wussten wir noch nicht, wie Howard arbeitet, und was wir zu erwarten hatten. Er ist Amerikaner und hat bereits viele grosse Produktionen durchgeführt. Doch zur selben Zeit waren wir auch sehr entspannt. Er hat mit Motörhead gearbeitet und die waren sicher nicht leicht zu bändigen im Studio. Er hat schon alles gemacht von Death-Metal bis hin zu Rock und Pop-Musik. Gerade, weil er mit so vielen unterschiedlichen Genres gearbeitet hat, dachten wir uns „Ok, der Typ weiss, was er macht!“. Im Vergleich zu dem Aufnahmeprozess beim Album „Battles“ wussten wir dieses Mal, wie sein Studio aufgebaut ist, und wir haben nicht wirklich viele Songs im Voraus einstudiert. Wir gingen einfach ins Studio und liessen uns inspirieren. Howard ist auch ein super Filter, der dir gleich ganz ehrlich sagt, was er gut findet, und was nicht. Es gibt keine unnötigen Streitereien im Studio und seit unserer letzten Zusammenarbeit weiss Howard auch, wie er aus uns das Beste rausholen kann.
Das klingt vielversprechend! Wie verlief denn der Entstehungsprozess bei diesem Album?
Der ganze Entstehungsprozess des neuen Albums war sehr angenehm, obwohl ich kaum vorbereitet war. Ich hatte nur den Riff des Opening Tracks „Voices“ und ein paar akustische Ideen, welche sich schlussendlich zum Song „Stay With Me“ entwickelt haben. Es war alles einfach ganz natürlich und organisch. Anders und ich mieteten uns ein Haus, richteten dort ein kleines Studio mit einem Raummikrofon in der Mitte des Wohnzimmers ein. Natürlich vor dem Fernseher, der ständig lief. Wir hatten auch einen Grill und einen Pool. Wir hingen etwa drei Monate dort rum. Die ersten paar Wochen haben wir an den Songs gearbeitet und diese dann aufgenommen. Nach drei Monaten hatten wir die Struktur der Songs bereit und konnten damit zu Howard ins Studio gehen.
Also würdest du sagen, dass eine ruhige Atmosphäre wichtig für den Entstehungsprozess eines neuen Albums ist?
Absolut! Das haben wir allerdings erst vor ein paar Alben bemerkt. Am Anfang schrieben Jesper und ich erst alles musikalische und Anders schrieb im Nachhinein die Songtexte dazu. Das war irgendwie frustrierend, weil es einfach keine wirkliche Zusammenarbeit war. Das Arbeiten miteinander und besonders das aufeinander Hören ist etwas, dass wir bei Howard gelernt haben. Der ganze Prozess ist dadurch viel einfacher, seit Langem hatte ich mal wieder Spass beim Recording. Studioaufnahmen sind sonst nicht so mein Ding. Ich mag es auch nicht wirklich zu proben. Ich liebe es auf der Bühne zu stehen und zu spielen, aber alles andere ist mir zu nerdig. Ich bin auch nerdig, aber in anderen Bereichen. Im Studio möchte ich einfach nur spielen. Mit all diesen Kompressoren, Equalizer und Mixins kann ich nicht viel anfangen.
Wie du bereits erwähnt hast, haben Anders und du diesmal sehr eng zusammen an den Songs gearbeitet. Gab es da irgendwelche Hindernisse oder Erfolge, die du bemerkt hast?
Anders und ich sind ein gutes Team. Unsere Zusammenarbeit hat eigentlich schon bei den Aufnahmen zu „Sounds of a Playground Fading“ begonnen. Als Jesper die Band verlassen hatte, war ich der Einzige, der sich um das Songwriting gekümmert hat, und Anders war ein guter Filter. Er gab mir immer Feedback, damit ich nicht zu virtuos wurde. Aber zu einer richtigen Zusammenarbeit kam es erst bei „Battles“.
Es ist verrückt! Wir sind sieben Monate zusammen auf Tour und danach für weitere drei Monate im Studio, um an einem Album zu arbeiten. Das sind zehn Monate im Jahr! Ich verbringe mehr Zeit mit ihm, als mit meiner Familie. Da kann es natürlich schon zu Reibereien kommen, aber das gehört einfach dazu und ist ganz normal. Ich war überrascht, wie synchron wir bei diesen Aufnahmen im Einklang waren. Ich hatte beispielsweise einen Riff, der mir selbst Gänsehaut verursachte, und als ich ihn Anders vorgespielt habe, sagte er: „Alter, Ich habe Gänsehaut!“ Es war wirklich sehr interessant, wie extrem wir dieses Mal beim Songwriting im Einklang waren.
Was ich am neuen Album besonders mag, ist der Mix. Die Gitarren sind sehr präsent und mächtig und alles scheint seinen Platz zu haben. Habt ihr da etwas geändert in eurem Mixing Prozess?
Das war das Werk von Chris Lord-Alge. Das letzte Album wurde von Howard Benson und Mike Plotnikoff gemischt und gemastert. Sie haben einen super Job gemacht, aber wenn ich das Album „Battles“ im Nachhinein höre, fühlt es sich so an, als hätte jeder Song seinen eigenen Mix. Sie haben jeden Song einzeln gemischt und nicht das Album als Ganzes, dadurch wurde es vom Mix nicht ganz so einheitlich. Bei Chris wussten wir bereits, als wir die ersten Songs aus dem Mixing zurück bekommen haben, dass es grossartig werden wird. Der Sound war phänomenal! Die einzigen Anpassungen, die wir machen wollten, waren ab und zu mal ein Instrument ein bisschen lauter. Sonst waren wir sehr zufrieden mit dem Mix. Er hat schon unzählige Produktionen mit Howard abgeschlossen. Die beiden sind ein eingespieltes Team und wissen genau, wie sie zusammenarbeiten müssen.
Auf dem neuen Album wurde das Schlagzeug von eurem aktuellen Drummer Tanner Wayne und eurem ehemaligen Drummer Joe Rickard aufgenommen. Warum habt ihr die Aufnahmen zu den Drums aufgeteilt?
Eigentlich wurden fast alle Songs auf dem Album von unserem ehemaligen Drummer Joe Rickard eingespielt. Tanner Wayne spielte bloss den Song „(This Is Our) House“ und einen Bonustrack ein. Da wir mit In Flames sehr viele Konzerte spielen und oft im Studio arbeiten, war Joe aufgrund seiner Rückenbeschwerden leider nicht mehr in der Lage, den Part an den Drums zu übernehmen. Er musste ständig Schmerztabletten zu sich nehmen und konnte das einfach nicht mehr länger machen. Die Drums auf diesem Album wollte er allerdings unbedingt noch als grossen Abschluss seiner Zeit bei In Flames einspielen.
Das Artwork des neuen Albums ist wieder von Blake Armstrong, welcher bereits das Artwork eurer letzten zwei Alben entworfen hat. Es scheint, als hättet ihr einen guten Draht zueinander. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
Er ist grossartig, einfach eine riesige Inspiration! Ich male ja auch ab und zu, aber das ist weit entfernt von dem, was er leistet. Er ist enorm schnell, hat ein wahnsinniges Vorstellungsvermögen und viele gute Ideen. Angefangen hat alles vor ein paar Jahren. Er kam auf uns zu mit einer Idee für einen Comic, er hat sogar eine kleine Jesterhead-Puppe angefertigt, und brachte viele gute Ideen mit sich. Wir wollten unbedingt mit ihm in Kontakt bleiben und etwas mit ihm machen. Als wir dann kurz vor Abschluss unseres Albums „Siren Charms“ standen, fragten wir ihn, ob er das Artwork machen wolle. Dasselbe auch bei „Battles“, die Songs waren alle schon bereit und er wurde erst gegen Ende der Produktion mit einbezogen. Doch dieses Mal haben wir Blake gleich von Anfang an ins Boot geholt. Er war ein wichtiger Bestandteil von diesem Album. Wir schickten ihm unsere Demos. Er liess sich davon inspirieren und schickte uns seine ersten Skizzen zurück. Diese haben uns wiederum inspiriert und es entstanden weitere Songideen. Das Beste war, dass er knapp 20 Minuten von uns entfernt wohnt, was die Zusammenarbeit um einiges einfacher machte. Es ist einfach auch toll, ihn als Künstler wachsen zu sehen. Momentan gestaltet er Filmposter für grosse Blockbuster. Ich glaube das Letzte, dass er entworfen hat, war für den Film „Ready Player One“.
Ihr seid zurück bei beim Label Nuclear Blast, bei dem eure Karriere begonnen hat. Wie fühlt sich das an?
Einfach genial! Wir haben über all die Jahre immer wieder andere Labels unter die Lupe genommen und abgeklärt, wie dort die Konditionen sind. Das Gras ist ja bekanntlich auf der anderen Seite immer grüner. Wenn du dann aber auf der anderen Seite bist bemerkst du, dass es nicht wirklich besser ist. Nuclear Blast hat uns immer unterstützt. Sie sind ein Teil dieser Band seit dem ersten Tag. Sie waren immer grossartig und ich kann ihnen gar nicht genug danken. Ich kenne sie schon meine ganzes Erwachsenenleben, sie sind wie eine Familie für mich. Sie sind sehr fair den Bands gegenüber und versuchen nicht, die Musiker über Tisch zu ziehen.
Ich war schockiert, als ich erfahren habe, dass Niclas Engelin auf dieser Tour nicht dabei sein wird. Er hinterlässt somit eine riesige Lücke auf der Bühne. Wie habt ihr diese Lücke füllen können?
Du kannst mir glauben, ich war genauso schockiert wie du! Er hat mich ca. zwei Tage bevor wir in die USA geflogen sind angerufen, und mir mitgeteilt, dass er beim Arzt war und nicht an dieser Tour teilnehmen kann. Ich dachte nur „Scheisse, was machen wir jetzt?“ Unsere ganze Crew war schon in Amerika und bereitete alles vor, der Stein wurde bereits ins Rollen gebracht. Wir überlegten uns schon, ob wir die Tour abbrechen sollen, denn das Problem war, dass wir auch keinen befreundeten Musiker aus Schweden mitnehmen konnten. Um Auf Tour im Ausland zu sein, brauchst du ein Arbeitsvisum und das dauert Monate, bis dieses bewilligt wird.
Also fingen wir an zu überlegen, wen wir in Amerika kennen, der einspringen könnte. Plötzlich tauchte Chris Brodericks Name auf der Liste auf, und ab diesem Moment wusste ich, „ah, wir sind gerettet!“. Dieser Typ ist ein Magier! Er ist unglaublich. Wir schickten ihm eine Setlist und ein paar Tage später kam er zu den Proben und es klang einfach von Beginn an super! Wir hatten riesiges Glück, dass er Zeit hatte, uns zu unterstützen. Wir kennen ihn bereits seit 17 Jahren von früheren Touren mit Faith No More und Megadeath, und er ist nicht nur sehr talentiert, er ist auch eine sehr angenehme Person. Sehr routiniert, zuverlässig, trinkt keinen Alkohol und spielt jede freie Minute auf seiner Gitarre. Wirklich ein super Typ!
Cool, da bin ich sehr gespannt auf heute Abend !
Klar, geniesse es! Solltest du jemanden hören, der heute Abend an der Gitarre einen Fehler spielt, werde das mit Sicherheit ich sein, Chris spielt keine Fehler! (lacht)
Vielen Dank für das spannende Gespräch!
Interview: Patrick Bottarella