13. April 2019
Zero Zero / Recordroom – Baden
Webseiten: zerozero.ch / Recordroom.ch
Sie sind nicht nur schwarz, sie sind durchsichtig, knallgrün, gepunktet oder gar schimmernd – die Vinylscheiben, welche jedes Jahr für den Record Store Day in kleinen Auflagen und Sonderpressungen unter den Plattenläden verteilt werden. International sorgen die Klangträger für stundenlanges Anstehen, grosse Vorfreude, Frust und tränende Augen. Denn nicht nur sind diese speziellen Editionen für die unabhängigen Plattenläden bestimmt, eine Garantie für den Erhalt gibt es nicht. Nur wenige Hundert Stücke pro Veröffentlichung, ein krudes System des Versands – aber die Jagd und das Glück gehört beim Sammeln dazu.
Natürlich darf man sich jedes Jahr von neuem Fragen, was der eigentliche Sinn des RSD sein soll – wurde dieser vor einiger Zeit von den Majorlabels gekapert und zum Krämerladen für ihre merkwürdigen „Archiv-Perlen“ umgebaut. Ja, Gewisse freut es bestimmt, die millionste Neupressung schlecht klingender Aufnahmen von David Bowie oder Pink Floyd zu einem exorbitanten Preis erstehen zu können. Unabhängig, abenteuerlich oder gar aus dem Untergrund war leider auch 2019 selten etwas. Trotzdem ist es positiv, dass dieser Tag weiterhin dafür sorgt, dass eine grössere Menge an Kundschaft in die Geschäfte schreitet. Das nun bitte monatlich wiederholen!
Besonders toll ist der Record Store Day immer dann, wenn sich die Besitzer*innen der Plattenläden ein einmaliges Tagesprogramm ausdenken. Während man im grossen Zero Zero in Baden fachsimpelte, neuste Musik hörte und leckeren Kuchen verspeiste, wurden beim frisch eröffneten Recordroom in der Altstadt die Bewohner beschallt. Die aargauische Radiostation Kanal K sendete den gesamten Nachmittag live vom Codulaplatz, mit DJs, welche im Geschäft auflegten, mit kurzen Interviews, mit viel Liebe. Als besonderes Schmankerl lud man die, von Frauen angeführten Bands Mama Jefferson und willibald ein, kurze Einblicke in ihr Schaffen zu geben.
Dass die Formationen aus Winterthur und Bern am Abend das Royal in Baden erbeben liessen, das wird an anderer Stelle noch besprochen werden. Aber auch auf den Pflastersteinen sorgten das Trio Mama Jefferson mit zwei Liedern ihres aktuellen Albums „Jizzmag“ für wippende Körper und strahlende Gesichter. Dieser Power-Fuzz-Rock knallt immer gut rein. Leiser starteten willibald in ihre zwei Songs, schnell wurde aus diesem bedächtigen Rock eine emotionale Eruption voller Intensität und Ausdruck. Im Herbst kommt das Album zwischen Noise-Pop und Post-Punk, was fast auf einen kurzen Sommer hoffen lässt.
Mit einem Getränk in der Hand wurde danach nicht nur gelacht und diskutiert, sondern durch viele Platten geblättert und leidenschaftlich der Musik gefrönt. Record Store Day, du wirst nie mehr bester Freund sein, aber ich könnte dich auch niemals hassen. Denn mit vier Veröffentlichungen hast du mich dieses Jahr wieder in deinen Fängen gekriegt. Ein Soundtrack-Album von Peter Gabriel, eine Live-EP von U2, eine EP mit neuen Songs von Thrice und ein paar Remixe von Noel Gallagher’s High Flying Birds – das schaut einfach gut aus im Wohnzimmer.
Text: Michael Bohli