7. Dezember 2018
Werk21 – Zürich
Bands: Love A / Lyvten
Der Himmel blutet zwar nicht, aber draussen tobt ein Sturm, während die Zürcher Band Lyvten eröffnet. Mit vollem Körpereinsatz, Selbstironie und klarer Haltung. Ein Lied sagt Sänger und Gitarrist Thorsten Polomski sinngemäss damit an, dass der Text zwar keine Offenbarung sei, aber wenigstens passe die Message. Lyvten beenden ihr Set mit den beiden Highlights „Laufen auf Repeat“ und „Status kompliziert“, die Lust auf mehr machen.
Danach folgt eine Band, die bereits mit den ersten Tönen (“Oder?“) das Potential ausschöpft, zur Lieblingsband zu werden, wenn sie es denn nicht schon ist. Jörkk Mechenbier tanzt seine Texte, unterstreicht sie mit Mimik und Gestik, so dass Funken sprühen, die allesamt überspringen. „Damit die Hände was zu tun haben/ Ausser Abwinken/ Ausser Kopf kratzen.“ Oder ausser Rauchen. Und schon ist man mittendrin, in diesen Postpunk-Hits („Juri“), welche Love A mittlerweile über vier grossartige Alben verteilt haben und die, irgendwie, immer besser werden. Auch wenn Mechenbier erwähnt, dass einige Leute vor allem den alten Scheiss hören wollen. Weil die eben auch schon so gut waren („Individuell“). So wird das erste Schweizer Konzert der Band, die dort beheimatet ist, wo die Liebe hinfällt, zur Werkschau und zu einem Best-of für all diejenigen, die noch nicht realisiert haben, wie verdammt gut die sind. Denn Love A könnten durchaus auch Gefahr laufen, dass man sie unterschätzt. Bescheiden, sich selber auch gerne mal als stümperhaft bezeichnend und vom Stil her immer dem Risiko ausgesetzt, der Stagnation bezichtigt zu werden, machen sie ihre Entwicklung hin zu Songs wie “Unkraut“, das mit seiner bitterbösen Abrechnung mit dem „Arschloch Mensch“ keine Zweifel darüber aufkommen lässt, um was es eigentlich geht.
„Am Kühlschrank Urlaubsgrüsse vom Sensenmann/ Weil dessen Scheisstricks hier jeder selber kann/ Weil es keine Grenzen gibt, was den Hass anbelangt.“ Textzeilen wie diese brennen sich tiefer ein und nicht nur weil Mechenbier ein Talent für Wortwitz hat – denn lustig ist es meistens nicht. Gesellschaftskritik und Liebespogo, hier bitten sich viele Facetten zum Tanz und mit jedem Song nimmt die Bewegung zu. Nicht die Einsen und Nullen machen dein Leben besser, nicht der Feiertagskonsum und auch nicht Zalando („Hauptsache alle schreien“). Es wäre schon interessant zu wissen, was die Schwester von Jörkk Mechenbier, die – wie man erfährt – bei einer Bank arbeitet, zu seiner Kapitalismuskritik sagt. Irgendwie hat man das Gefühl, die beiden verstehen sich trotzdem („Toter Winkel“).
Textlich und musikalisch ist „100.000 Stühle leer“ das kleine Indie-Meisterstück: „Nur wer mal aufgestanden ist, der darf sich setzen/ Und darum bleiben hier so viele Stühle leer.“ Love A können sogar Mitsingrefrains, ganz ohne Kitsch und nur selten, aber dann völlig zurecht, mit etwas Pathos („Windmühlen“). Und sie können auch wüsten Punk, wie im grandios gelungenen „Nichts ist leicht“. Dass sie mit ihrem und Mechenbier mit seinem Vortrag wunderbar ins Werk21 vom Dynamo passen, rundet hier gar nichts ab. Die Kanten müssen bleiben. Und als die Band nach „Brennt alles nieder“ die Bühne verlässt, singt das Publikum den Refrain noch so lange weiter, bis die Musik angeht.
Setlist
1. Oder?
2. Juri
3. Nachbarn II
4. Lose Your Illusion
5. Braindecoder
6. Entweder
7. Die anderen
8. Trümmer
9. Kanten
10. Unkraut
11. 100.000 Stühle leer
12. Nutzlos glücklich
13. Individuell
14. Nichts ist leicht
15. Toter Winkel
16. Weder noch
17. Too doof too f**k (Pascow Cover)
18. Windmühlen
19. Freibad
20. Valentinstag
21. Brennt alles nieder
Text: Michael Messerli