14. August 2018
Winterthurer Musikfestwochen
Bands: Imarhan / Schnellertollermeier / Too Mad / Sugarpie & The Candyman / Jessiquoi / Desperado
Die Hälfte ist schon durch, fünf Tage liegen noch vor uns, und Petrus hat scheinbar kein Erbarmen mit Winterthur. Somit wäre auch die Frage geklärt, weshalb wir Winterthurerinnen und Winterthurer so schön sind, bei all dem Regen, der pünktlich zur Musikfestwochenzeit immer zu uns gebracht wird. Doch im Gegensatz zum vorherigen Abend wehen nun die Regenwolken bereits eine halbe Stunde nach Konzertbeginn wieder weiter, sodass sich für die zweite Hälfte des Sets von Schnellertollermeier doch noch der und die eine oder andere aus dem Haus und in die Steibi erkühnt. Das Trio aus Luzern zieht die Zuhörer jedoch nicht durch catchy Melodien oder zum Tanzen anheimelnde Beats in ihren Bann, was beeindruckt, ist das musikalische Können und das Gefühl, so etwas noch nie zu vor in echt, also quasi mit eigenen Augen und Ohren zu sehen und zu hören. Die Musik von Schnellertollermeier ist in erster Linie anstrengend – es gibt keine durchgehenden Rhytmen, keine Melodien, die einem durch den Song tragen und keinen Gesang, der irgendwie Halt gibt. Das Mikrofon in der linken Bühnenecke steht da nur zur Deko, und für seltene kurze Ansage zwischen den gut fünfzehnminütigen Songs. Die Finessen und Feinheiten, die das Zusammenspiel der drei Musiker ausmachen, scheinen genau kalkuliert zu sein, kein Slide und kein Hammer On sitzt am falschen Fleck. Jeder scheint für sich in seiner eigenen Welt zu spielen, und doch harmoniert das minimalistische Spiel auf schräge und beeindruckende Weise miteinander. Die Band, die ihre Musik als „Experimental-Avant-Psych-Minimal Rock“ bezeichnet, hat’s ordentlich drauf. Und ich frage mich, wie es wohl in ihrem Proberaum zu und her geht.
Auf der Startrampe geht es gleich rockig weiter mit Too Mad, einem jungen Männerduo mit einer beeindruckenden Liste an bereits bespielten Konzertlokalen im Anhang. An den Winterthurer Musikfestwochen spielen sie leider vor eher kleinem Publikum, denn der Regen hat doch die Anreise ans Gratisfestival bei manchen ziemlich verzögert.
Durch die heftigen Regengüsse zeitlich etwas verschoben findet auf dem Kirchplatz wieder Strassenmusik statt. An diesem Dienstag erhält eine junge Band, bestehend aus fünf jungen Herren, die das Vorstudium am Winterthurer Konservatorium besuchen und auf eine Karriere als Berufsmusiker hinarbeiten. Für einen Bandnamen hat’s noch nicht gereicht, treue Zuhörer haben sie jedoch an diesem Abend trotzdem um sich geschart.
Noch bevor das kurze Set der Strassenmusiker zu Ende ist, beginnt auf dem Kirchplatz der Lindy-Hop-Crashkurs, der wie jedes Jahr wieder gut besucht ist. Ein lustiges Bild ergibt sich, wie ein ganzer Haufen Tanzanfänger vor der Bühne herumhoppelt und mit viel Elan und Humor versucht wird, den Anweisungen, welche von der Bühne aus gegeben werden, zu folgen. Die erworbenen Fertigkeiten können dann auch gleich beim nächsten Konzert unter Beweis gestellt werden: Sugarpie & The Candyman aus Italien haben ihre Koffer mit feinstem Swing gepackt und lassen nun den Geist der 40er in der Winterthurer Altstadt aufleben.
Auch auf der Steibibühne geht es international zu und her: Tuareg Rock aus Algerien, gespielt von Imarhan. Fünf in traditionelle Gewänder gehüllte Männer geniessen die Aussicht auf die nun doch beachtlich volle Steinberggasse, deren Besucher und Besucherinnen zu ihren funkigen Klängen tanzen und bei einem Bier mit früheren Schulfreunden, Nachbarn oder Arbeitskolleginnen die Stimmung geniesst unter dem dunklen Abendhimmel und den Meterlangen Lichterketten. Obwohl die Songs im Verlauf des Konzerts etwas wilder zu werden scheinen, bleiben die Gestalten auf der grossen Bühne erstaunlich ruhig und souverän. Die erste Zugabe wird nur von Gesang, Gitarre und Perkussion gespielt – ein wahrer Gänsehaut-Moment, wie ihn nur die Winterthurer Musikfestwochen zu Stande bringt.
Bei Eintreten der Nachtruhe geht es auch heute wieder weiter mit Klubprogramm: Der Schweizerin Jessiquoi gelingt es, dem Albani erneut ein volles Haus zu beschaffen. Und auch im Roulotte am gibt’s noch was zu sehen – das Musiktheater Desperado stellt eine Geschichte dar zwischen Jugendträumen und anhaltender Sehnsucht, zwischen dem Tösstal und dem wilden Westen. Doch inzwischen ist auch der Boden wieder trocken und die Nacht angenehm lau, es wird noch Bier gezapft und Menschen hat’s auch noch genug unterwegs, kurz gesagt: Draussen bleiben ist auch mal wieder schön.. Und das gemütliche, nachkonzertliche Zusammensitzen mit Freunden gehört schliesslich auch untrennbar zu den Musikfestwochen dazu. Auch ganz ohne Musik.
Text: Sarah Rutschmann