Band: Árstídir
Album: Nivalis
Genre: Indie Folk / Progressive Rock / Neo-Classical
Label: Season of Mist
VÖ: 22. Juni 2018
Webseite: arstidir.com
Wer einmal nach Island gereist ist, verliebt sich schlagartig in die mystischen Landschaften, die kleinen Dörfer, die hier Städte genannt werden. In die sich so lange hinziehenden Tage und die nur dämmerigen Nächte. In die heimischen Insulaner, die an Kobolde glauben und Irrlichter sehen, und natürlich in die Musik, die hier im hohen Norden eine unglaubliche Vielfalt entwickelt hat. Von Folk über Unmengen an Indie-Rock bis hin zu Prog fehlt es auf der Insel an nichts – schwierig, hier das Beste auszufiltern. Schliesslich habe ich mir Árstídir als perfekten nordischen Sommerflirt auf meiner Reise über die Ringstrasse ausgesucht. Eine Mischung aus dem Besten, was Island musikalisch zu bieten hat. Eben Elemente aus Folk, Indie und Progressive Rock. Das klingt jetzt nach einem unausgewogenen, langweiligen Brei. Aber die Perfektionisten von Árstídir paaren die liebevollen Arrangements noch mit ein bisschen Pop und Neo-Klassik, bringen dezenten Elektro hinein und schaffen es, die ganze Fülle unglaublich minimalistisch einzubetten.
Nach Jahren des Vergessens ist mein damaliger Kurschatten also zurück. Wie es halt so ist mit Sommerliebeleien, man stürzt sich blindlings hinein und ehe man sich versieht, ist man wieder gefangen in einer Vorstellung, die ganz bewusst übertrieben hochgelobt wird, damit klar ist, dass es nicht für die Ewigkeit sein kann. So kommt auch die neue Platte „Nivalis“ daher. Árstídir bleibt sich in den Grundzügen treu. Versteckt sich in gefühlten tausend Genres und schafft so eine Atmosphäre, die unbestimmter und schöner nicht sein könnte. Der Opener „While This Way“ eröffnet mit Mut bringender Melancholie. Zurückhaltend und still ist sie, diese Reise, und am schönsten die altbekannten mehrstimmigen Passagen, ein Markenzeichen der Gruppe.
Exemplarisch im Song „Conviction“: Da hat es schon fast was von Simon & Garfunkel. Die Streicherparts verzücken ständig und paaren sich vergnüglich mit der Akustikgitarre und dem Piano. Am bemerkenswertesten jedoch ist die Hervorhebung der Drums, welche viel eindringlicher sind als auf den Vorgängeralben. Sie geben der Musik einen schönen neuen Drive, lassen das Ganze aber auch ein bisschen verpoppen, was alles etwas alltagstauglicher macht. Schön zu hören im Stück „Par Sem Enginn Fer – Sjálfviljugur“, welches leider gleichzeitig auch das einzige Stück auf Isländisch ist. Die Scheibe verliert dadurch etwas an nordischem Zauber. Dafür bezaubert „Órói“ rein instrumental. Auch hier stehen die Drums im Mittelpunkt, umrahmt von den gewohnten Streichern und dem Piano, mit minimalistischen Elektroelementen. Eine Hommage an den Prog und mein persönlicher Favorit.
Árstídir gelingt mit „Nivalis“ ein Meisterstück. Das vierte Studioalbum überzeugt mit seinem filigranen Perfektionismus, sei es gesanglich wie auch instrumental. Alles ist meisterhaft arrangiert. Mit der neuen Platte scheint Árstídir erwachsen zu werden und vielleicht auch ein Stück weit geerdeter. Einziger Wermutstropfen ist die schleichende Verpoppung und dass nur noch wenig Isländisch zu hören ist. Es lässt den damaligen Inselcharme ein klein wenig verfliegen. Die einstige Sommerromanze hat sich ausgewachsen. Dennoch ist die Musik immer noch unverkennbar einzigartig. Instrumentale Spitzenklasse ganz unbedingt, und dank der zarten Ausgewogenheit all der genannten Elemente, die andernorts auch überborden könnten, ist ein abwechslungsreicher, bittersüsser Hörgenuss garantiert.
Tracklist:
1. While This Way
2. Lover
3. Please Help Me
4. Entangled
5. Like Snow
6. Par Sem Enginn Fer (Sjálfviljugur)
7. Circus
8. Órói
9. Mute
10. Conviction
11. In The Wake Of You
12. Wasting Time
13. Passion
Bandmitglieder:
Daniel Audunsson – Gitarre und Gesang
Gunnar Már Jakobsson – Bariton, Gitarre und Gesang
Ragnar Ólafsson – Keyboard und Gesang
Gründungsjahr:
2008
Text: Sebastian Leiggener