Datum: 9. – 10. August 2014
Ort: Hildesheim (D)
Webseite: M’era Luna
Hildesheim sieht schwarz; schon am Freitag bevölkerten finstere Gestalten die niedersächsische Stadt und wurden von den Einwohnern äusserst warmherzig empfangen. Auf dem Flugplatz erhob sich nach und nach Zelt um Zelt, der Mittelaltermarkt öffnete die Pforten und schon bald scharten sich die Neugierigen und die Tanzwütigen auf dem Weg zu den Lesungen und zum Disko-Hangar. Das Aroma persischen Mokkas, der Rauch glimmender Feuer und Patschuli-Wölkchen verbanden sich zum wunderbaren Duft von Festival-Vorfreude.
Das ausverkaufte M’era Luna 2014 hatte allerhand zu bieten. Neben der sehr erlesenen Band-Auswahl durften sich die Rund 25‘000 Zuschauer über ein reiches und vielseitiges Shoppingangebot vom Talisman bis zum Tonträger, vom Trinkhorn bis zum Tanga, über Modenschauen, Massageoasen, eine Partnerbörse und einen Badezuber freuen. Das kulinarische Angebot bestach durch Quantität sowie Qualität und bot auch veganen Feinschmeckern eine erfreuliche Palette an Gaumenfreuden. Ein Stelzenläufer und eine Steampunk-Drachen-Parade drehten eifrig ihre Runden über das Gelände und wer wollte, konnte sich im Bogenschiessen oder dem Jonglieren üben.
Das Festival ermöglichte es, durch zwei grosse Bildschirme dem jeweiligen Bühnengeschehen auch von fern zu folgen, allerdings mit der Nebenwirkung scheusslich unpassender Werbeblöcke zwischen den Bands. Vor allem für Fans harten Electro-Sounds, die einen chronisch überfüllten Hangar sonst scheuen würden, war dies die Chance ihre Helden entspannt geniessen zu können. Besonders positiv hervorzuheben ist das „Gewissen“ des Festivals, das sich erneut durch eine Sammelaktion zu Gunsten von Trinkwasserprojekten zeigte.
Samstag: Auf der Poleposition befanden sich Averium. Die Sieger des M’era Luna-Contests eröffneten das Festival würdig mit kraftvoll epischem Gothic-Metal. Ein sehr gelungener Auftritt, der sich sehen und hören lassen konnte; souverän donnerten die Musiker eine Hand voll Songs auf ein dankbares Publikum nieder.
Nach einer zu Beginn etwas holperigen Vorstellung von Ignis Fatuu bestieg Henke die Hauptbühne. Das unbeugsam absonderliche Projekt um Oswald Henke sorgte als erste Band an diesem Tag für eine ausgewachsene Gänsehaut. Dieses musikalische „gallische Dorf“ in Mitten musikalischer Geradlinigkeit war definitiv einer der Höhepunkte des Wochenendes – markerschütternden Lieder wie „Zeitmemory“ oder „Wer Mich Liebt“ wurden eindringlich und ehrlich dargeboten. Im jetzt schon zum Bersten gefüllten Hangar liessen es Chrom indes mit ihren schwelgerisch melodiösen Elektro-Schwaden versöhnlicher angehen.
The Beauty Of Gemina erschienen in gewohnter Eleganz und genossen es, dieses mal in strahlender Mittagssonne spielen zu dürfen. Die Schweizer intonierten neben neueren Kompositionen auch Klassiker wie „Suicide Landscape“ oder „Rumours“ und wurden dafür kräftig gefeiert. Rabia Sorda entführten ins Hotel Suicide zu singender Säge und sägendem Gesang. Später stampften Stahlmann vehement durch ihren Klischee-Parcours und liessen von „Hass Mich…Lieb Mich“ bis „Stahlwittchen“ keine zu dreschende Phrase aus. Damit machten sie sehr zahlreiche NDH-Jünger mehr als glücklich.
Alsdann besangen ASP (’s von Zaubererbrüdern) in fragilem Kammermusik-Gewand die Geschichte der zwölf Müllergesellen und ein wahres Heer Begeisterter gehorchte der Stimme des Meisters und stimmte in die schaurig schönen Balladen ein. Auch akustische Versionen von „Duett (Das Minnelied Der Incubi)“ und „Werben“ wurden zu Gehör gebracht. Unter tosendem Applaus wurde Violinistin Ally, in ihre Babypause entlassen und bedankte sich dafür mit einem flinkfingrig vergnügten Solo.
Weniger vergnügt zeigte sich Das Ich bei seinen fatalistischen Verwünschungen von Gott und der Welt. Die dämonische Bühnenpräsenz dieser Herren traf mit Beschwörungen wie „Kindgott“ oder „Keimzeit“ zielsicher den Nerv ihrer Adepten. Als besonderes Schmankerl wurden Schneewittchen als Gäste auf die Bühne geholt und damit weite Teile des Festival-Geländes in einem Bad aus Vibrato-Schlenkern versenkt.
Subway To Sally verwandelten die Bühne in ein Feuerland und wenn Eric Fish aus dem geschmackvollen Bühnenbild der untergehenden Sonne sein „Wenn Engel Hassen“ entgegenwarf, wurde dies tausendfach aus dem „schwarzen Meer“ beantwortet. Während da also, ganz im Sinne des neuesten Tonträgers, von Mord und Totschlag die Rede war, tanzte im Hangar der Mussolini.
Die letzten Sonnenstrahlen färbten die Wolkennarben auf dem Himmel blutrot und ein fast voller Mond stieg über der Bühne auf, als Marilyn Manson die Bühne betrat. Der Pate der Schwarzen Szene lieferte mit eigentlich nicht viel mehr Requisiten, als ein paar Hüten und einer pinken Fellboa eine fürstliche Show ab, die an „ungeschliffener Perfektion“ kaum zu überbieten war. Er verkündete, Rock sei nicht tot sondern auferstanden, krächzte, quietschte, kroch über den Bühnenboden und liess vom „Angel With The Scubbed Wings“ über den „Personal Jesus“ bis zu den den „Beautiful People“ keinen Wunsch unerfüllt.
Hernach rundeten Within Temptation diesen gelungenen Tag gewohnt sympathisch mit dem Multimedia-Spektakel ihrer Hydra-Tour ab.
Auch in diesem Jahr gab es wieder allerhand liebevoll gestaltete Outfits zu bewundern; Feenhaftes, Blutiges, Erhabenes und Strenges. Und auch Shrek, Seestern Patrick und der grosse böse Wolf waren wieder dabei. Die grosse Gothic Fashion Town lud überdies zum Staunen, Stöbern und Schwelgen ein.
Sonntag: Wer wenig geschlafen hatte, konnte von der quietschfidelen, pausenlosen Noise-Ekstase von Bo Ningen sehr schnell sehr wach gemacht werden. Viel angenehmer weckte da ein viel zu kurzes Set der Microclocks, das gespickt von überraschenden Wendungen, seidigen Synths und flinker Gitarrenarbeit so richtig Lust auf mehr machte. Wirklich gut gearbeitete Songs! Es schlossen sich zwei weitere Mera Luna-Debüts an: Darkhaus überzeugte live wesentlich mehr als von der CD und Solar Fake spielte sich mit sanftem Darkwave voll scharfer Kanten überzeugend in die Herzen der Zuhörer in und auf der Wiese vor dem Hangar.
Von Anfang an, war sie wie ein Orkan; die Letzte Instanz. Ein Streifzug durch den „Garten“, ein Ausflug zum kommenden Album und ein Tänzchen mit Rapunzel standen auf dem Programm. Nach einer ausgelassenen Party fasste sich das Mera Luna an den Händen und stimmte gemeinsam ein: „Wir Sind Allein“. Immer wieder elektrisierend! Die Krupps hingegen liessen stählerne Tatsachen sprechen; hier gab es wutentbrannte antifaschistische Hymnen und schweisstriefende „elektronische Körpermusik“ zum Anfassen. „To The Hilt“!
Faun ermahnte während des gefühlvollen Auftrittes, dass etwas mehr Naturverbundenheit und Achtsamkeit unserem geschundenen Planeten gut täte. Dass die Knalltüte neben mir dafür nur ein bierbeseltes „Fick Dich!“ übrig hatte, war traurig und bezeichnend. Die hoffnungsvollen Balladen und Tänze der schöngeistigen Pagan-Folker von „Tinta“ bis „Diese Kalte Nacht“ sorgten ansonsten vor allem für glückliche Gesichter und wiegende Schritte.
Etwas Charmantes hatten die Berserker von Hocico für das Mera Luna erdacht und vorbereitet; eine kleine mexikanische Akustikkapelle stimmte eine folkige Version von „Odio Bajo El Alma“ an. Danach legte das Duo dann in gewohnter Schärfe und Unnachgiebigkeit los und liess keinen Stein auf dem anderen.
Deine Lakeien durchsetzten eletronischen Wohlklang mit atonalen Spritzern und die herzlich raubeinigen Spielleute von In Extremo stimmten so manchen Gassenhauer an. Während Covenant im Hangar noch ihr nordisches Klangbad wogen liessen setzten, holten And One auf der Main-Stage zur fulminanten Schlussgeste aus.
Es war ein ausgesprochen schönes und abgerundetes Festival, das auch in stetem Wachstum begriffen sein sympathisches Gesicht nicht verliert. Bis nächstes Jahr!
Lineup:
WITHIN TEMPTATION // AND ONE // MARILYN MANSON // IN EXTREMO // DEINE LAKAIEN // SUBWAY TO SALLY // ASPs von Zaubererbrüdern // PARADISE LOST // LACRIMAS PROFUNDERE // COVENANT // FAUN // DIE KRUPPS // COMBICHRIST // DE/VISION // DAF // LEÆTHER STRIP // HOCICO // LETZTE INSTANZ // DAS ICH // STAHLMANN // SPETSNAZ // DARKHAUS // [x]-Rx // RABIA SORDA // NEUROTICFISH // SOLITARY EXPERIMENTS // IGNIS FATUU // HEIMATAERDE // SOLAR FAKE // CHROM // FEUERSCHWANZ // THE BEAUTY OF GEMINA // HENKE // AMBASSADOR21 // BO NINGEN // SÜNDENKLANG // MEINHARD // MICROCLOCKS // EUZEN // AEVERIUM
Text + Bilder: Dennis Bäsecke-Beltrametti