Scheidegger & Spiess / ISBN: 978-3-03942-196-1
Autoren: Charly Bieler, Urs Marti (Vorwort), Stephan Kunz (Nachwort)
Text: Cyril Schicker
Wo Astrid Lindgren, da HR Giger? Nicht wirklich!
Oder eben doch? Zumindest startet das neue Buch HR Giger – Die frühen Jahre mit Astrid Lindgrens Zitat: „Wenn man genügend spielt, solange man klein ist, trägt man Schätze mit sich herum, aus denen man später sein ganzes Leben schöpfen kann“.
Und genau das war bzw. hatte resp. machte HR Giger. Der Schweizer Ausnahmekünstler spielte als kleines Kind viel und baute als grösseres Kind noch mehr: Segelflugzeuge und Bobschlitten zum Bespiel. Als noch grösseres Kind kam dann seine legendäre Geisterbahn dazu. Den Kinderschuhen entwachsen waren es Waffen oder besser gesagt ein ganzes Arsenal, die Bleikugeln dazu goss er selbst. Hoch im Kurs stand Chemie und damit wohl verbunden das Mischen von Brennstoff – und das Herstellen synthetischer Drogen (sein vom Rittergeschlecht abstammende Vater Giger war Doktor und Apotheker).
Legendär war auch sein „schwarzes Zimmer“ – u.a. mit Sarg, Klavier, ägyptischem Dekor und einem von HR Giger selbst konzipierten und gebauten Einlass-System. Doch was im schwarzen Zimmer passiert, bleibt im schwarzen Zimmer. Was du im Buch immerhin erfährst: Es wurde viel getrunken und geraucht, Musik gemacht, philosophiert – und etwas entjungfert. Musik war auch eines seiner Steckenpferde, ebenso das Reisen.
Sein Ein und Alles war natürlich das Schockieren, ähm, das Zeichnen. Erste Schockmomente garantierte sein Titelbild in der von ihm mitgegründeten Schülerzeitung Sprachrohr. Das Cover zierte den damaligen Rektor, der sich selbst die Toilette runterspült. Sprachrohr wurde kurzerhand auch runtergespült resp. verboten und eingestampft. Auch danach haderte HR Giger oft mit seinem Schicksal resp. mit der Tatsache, dass seine Kunst zu wenig gewürdigt wurde und sogar bespuckt (zu obszön, zu brachial, zu düster, zu sehr Teufelskunst).
HR Giger – Die frühen Jahre ist ein ebenso interessantes und spannendes Buch über „den Apotheker-Sohn, der sich vor Würmern sowie Schlangen ekelte und eine tief sitzende Angst vor einem atomaren Anschlag hatte“. HR Giger war schon früh ein Unikat, dessen Markenzeichen sein immer mitgetragenes, schwarzes Buch war. Ein ausgehöhltes Buch, in dem er einen Revolver spazieren führte. HR Giger war auch ein beliebter Bühnenbilddesigner (Laientheater), war ein sammelwütiges Kind und wuchs in der Bündner Bergidylle behütet auf.
Der Postkarten-Idylle zum Trotz hatte HR Giger auch einige Traumata erlebt, was sich schon ganz früh in seiner Kunst manifestiert. Mit welchen Bildern und Skulpturen er seine Erlebnisse verarbeitete oder für die Ewigkeit der Welt da draussen zeigt, das liest du am besten selbst. HR Giger – Die frühen Jahre (Verlag Scheidegger & Spiess) ist empfehlenswert und kostet dich lediglich etwas mehr als n Appel und n Ei.