Fantasy Recordings / VÖ: 16. Juni 2023 / Rock
mule.net
Text: Torsten Sarfert
Gov’t Mule haben schon so einiges gemacht während ihres bald 30-jährigen Bestehens. Tief verwurzelt im Southern Blues & Rock veröffentlichten sie je nach Lust und Laune auch mal ein Album mit Reggae-Versionen der eigenen Stücke („Mighty High“) oder Interpretationen von Pink Floyd („Dark Side Of The Mule“). Ihr letztes Album „Heavy Load Blues“ wiederum war – wie der Titel schon vermuten lässt – ein reines Blues Album.
Zum neuen Album sagt Bandleader und Allman Brothers Gitarrist Warren Haynes folgendes: „„Peace… Like A River“ ist vom Standpunkt des musikalischen Arrangements her sehr ehrgeizig, da viele der Songs Wendungen nehmen, die in der heutigen Popmusikwelt nicht üblich sind“. Interessanterweise fanden die Aufnahmen dazu zeitgleich mit „Heavy Load Blues“ statt. Sogar im gleichen Studio-Komplex, allerdings in soundtechnisch unterschiedlich gestalteten Räumen und mit komplett anderem Equipment. Für die anfangs skeptischen Musiker stellte sich diese Kombination als maximal inspirierend heraus, konnte man sich beim doch oft schematischen Blues und den Cover-Versionen der oben erwähnten ehrgeizigen musikalischen Arrangements entspannen. Entsprechend zurückgelehnt und inspiriert konnte man sich dann wiederum an die komplexen Eigenkompositionen machen, die auf „Peace… Like A River“ zu finden sind.
Dabei herausgekommen sind ein Dutzend Songs, deren Kraft und Schönheit wahrscheinlich eher nicht über einen Streaming-Dienst erfasst werden können. Etwas Zeit nehmen sollte man sich also für die im Durchschnitt über sechs Minuten dauernden Werke. Wer das tut, kommt in den Genuss von Klangwelten, wie sie die goldenen 70er Jahre prägten und die so ziemlich alles Revue passieren lassen, was Gov’t Mule musikalisch heilig ist: (Southern-) Rock & Blues, Funk, Reggae und Soul. Pink Floyd und die Beatles lassen genauso grüssen wie Lynyrd Skynyrd und Sly & The Family Stone.
Damit nicht genug, veredeln auch zahlreiche Gäste die musikalische Zeitreise. Billy F Gibbons mit Gesang und Gitarre beim augenzwinkernden Wüstenrocker „Shake Our Way Out“, Ruthie Foster und Ivan Neville bei „Dreaming Out Loud“, dessen Text sich aus Zitaten von u.a. Dr. Martin Luther King Jr. und John F. Kennedy zusammensetzt. Beim angedubbten und entschleunigten Reggae-Tune „The River Only Flows One Way“ steuert kein geringerer als Billy Bob Thornton seine unverwechselbare Stimme bei. Allein dieser Song mit seinen fast siebeneinhalb Minuten Spielzeit kann durchaus eine Floating-Session ersetzen, so tiefenentspannt kommt er daher.
Überhaupt gibt sich Warren auch hinsichtlich der leidigen Pandemie-Zeit relativ entspannt: „Das Leben stellt einen vor Herausforderungen, wenn man sie am wenigsten erwartet, und in mancher Hinsicht war der Lockdown nichts anderes als das, was jeden Moment passieren kann.“ Mit dem einzigen Vorteil, dass jetzt plötzlich viel Zeit zum Songschreiben vorhanden war.
Gov’t Mule haben also ganz klassisch die Krise als Chance begriffen und nicht weniger als ihr Opus Magnum produziert. Und als ob das nicht genug wäre, gibt es mit der limitierten, gut halbstündigen Extra-CD noch einen Bonus, der diese Bezeichnung wirklich verdient: vier weitere grossartige Eigenkompositionen, die es vermutlich nur aufgrund der limitierten Spielzeit nicht auf das Album geschafft haben. Lediglich der originale Mix vom oben erwähnten „The River Only Flows One Way“ ist dann mangels grosser Unterschiede zur Album-Version relativ redundant. Aber was spricht schon gegen zwei Floating-Sessions, anstelle von nur einer?