Human Rights Film Festival 2022
Kosmos – Zürich
Freiag, 2. und Samstag, 3. Dezember 2022
Text: Michael Bohli
Der westliche Blick auf die Welt wird aufgebrochen. Ein Ziel, welches das Human Rights Film Festival Zürich auch in der achten Ausgabe auf dem Herzen trug. Mit Dokumentar- und Spielfilmen, Diskussionsrunden, Lesungen und Ausstellungen. Der «Call To Action» im Kino Kosmos, die Erweiterung für das Bewusstsein der herrschenden Situationen auf der Welt.
Während in vielen Ländern Kriege, Proteste und Aufstände wüten, die Menschen sich gegen die Unterdrückung wehren und Frauen für ihre Rechte kämpfen, gab es am HRFF 2022 viele Geschichten von und über die weibliche Perspektive. Ein sehr erfreulicher Umstand, der Stimmen hörbar machte, die zu oft unter dem männlichen Gepolter untergehen.
Rotzloch
Land / Jahr: Schweiz / 2022
Regie: Maja Tschumi
Wenn ein Ort Rotzloch heisst, dann offenbart das nicht nur die extreme Eigenart einer Landessprache, eines Dialekts, sondern die hässliche Seite der Schweiz. Vom Wort zum Fremdenhass, mit ihrer Dokumentation Rotzloch untersucht Maja Tschumi die Zustände von Flüchtlingen im Asylheim am Vierwaldstättersee. Mit gesetztem Fokus auf Liebe und Sex nimmt der Film das universale Thema der Intimität und betrachtet den Alltag vier junger Männer, welche hierzulande für ihre Hoffnungen und Träume kämpfen.
Das ermöglicht einen direkten Einblick in deren Leben, wagt es aber nicht, kritische Punkte und kulturelle Konflikte tiefer anzugehen als sonstige Produktionen zum Thema Migration. Auch wenn stellenweise direkte Kritik am System geäussert wird, dröhnen danach wieder die elektronischen Sounds von Bit-Tuner und Feed The Monkey, welche die Aufnahmen der unüberwindbaren Bergen begleiten. Schön gefilmt (enges Format) und voller Emotionen, aber irgendwie unbefriedigend.
Vera Dreams Of The Sea
Land / Jahr: Kosovo, Mazedonien / 2021
Regie: Kaltrina Krasniqi
Wie erkämpft man sich seinen Platz und seine Rechte in einer Gesellschaft, welche die Frauen unterdrückt? Für Vera ist es ein langsamer Prozess, der durch den Suizid ihres Mannes ausgelöst wird. Besitz, Erbe, Ansehen und Mitspracherecht – all diese Aspekte des Daseins muss die ältere Frau erobern, während die Männer des Kosovo wie angriffslustige Raubtiere um sie kreisen.
Kaltrina Krasniqi zeigt uns mit ihrem Spielfilm Vera Dreams Of The Sea eine einfühlsame und direkte Geschichte, welche gemeinsam mit den weiblichen Figuren das männerbestimmte System angreift. Vieles an der Produktion verläuft zwar in den gewohnten Bahnen des dramatischen Filmes, weiss aber mit schönen Aufnahmen, talentierten Schauspieler:innen und einem humanistischen Kern zu überzeugen. Ein Film für mehr Gleichstellung und Frauenrechte.
Alis
Land / Jahr: Kolumbien, Chile, Rumänien / 2022
Regie: Clare Weiskopf, Nicolas van Hemelryck
Wie geht man mit traumatischen Erlebnissen um, wie überlebt man als jugendliche Person in einem zerrütteten Land? Alis von Clare Weiskopf und Nicolas van Hemelryck nimmt die Möglichkeit der Freiheit durch Imagination als Werkzeug. Der Dokumentarfilm zeigt das Leben junger Frauen in einem Heim in Bogotá, ein unsicherer Zustand zwischen Einsamkeit, Abgründe und Trauer.
Mit der imaginären Figur «Alis» wird es den Mädchen ermöglicht, die Grenzen zwischen Realität, Fantasie und eigenen Erfahrungen zu verwischen, Menschlichkeit in der Misere zu finden und die Bindungen gegenseitig zu stärken. Ohne Effekthascherei wird das einfühlsam und nahe an den Personen erzählt, mit starker, emotionaler Wirkung.
Ascension
Land / Jahr: USA / 2021
Regie: Jessica Kindon
Immer weiter nach vorne, nach oben, an die Spitze der Welt. Jede kapitalistische Konsumgesellschaft funktioniert nach diesem Grundsatz, bei der immer grösser werdenden Wirtschaftsmacht China ist es augenscheinlich. Mit dem Dokumentarfilm Ascension untersucht Jessica Kindon die Werkzeuge und Systeme, welche im asiatischen Land zu dem Voranschreiten beitragen.
Arbeitermassen in riesigen Firmen, Business-Trainings, Verhaltenskurse, Disziplin und überbordende Freizeit: In der Aufnahmensammlung kommt alles zusammen, ohne direkte Kommentare oder formelle Einordnung. Was zu Beginn des Filmes als Einblick in die menschenunwürdige Produktionswelt funktioniert, verliert ab der Hälfte den Fokus und streut die Einblicke und Szenen zu breit. So erhält man weder eine berauschende Collage noch eine faktenreiche Kritik am politisch-wirtschaftlichen System. Der Film landet irgendwo dazwischen, weiss aber trotzdem am eigenen Kaufverhalten zu rütteln.
The Hamlet Syndrome
Land / Jahr: Polen, Deutschland / 2022
Regie: Elwira Niewiera, Piotr Rosołowski
Über den Dokumentarfilm The Hamlet Syndrome zu schreiben ist schwierig. Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski haben mit ihrer Arbeit ein emotional eindrückliches Werk geschaffen, das Traumabewältigung und Entscheidungsfreiheit in einer konzentrierten Umgebung der Theaterproduktion untersucht.
2018 in der Ukraine gestartet, resultierten aus dem Projekt ein Theaterstück und den Film, in dem sich junge Menschen aus dem Land mit den gemachten Erfahrungen aus dem Krieg im Donbass auseinandersetzten. Das ist eindringlich, geht unter die Haut und zeigt die brutale Sinnlosigkeit von bewaffneten Konflikten an realen Beispielen auf. Durch den, im Februar 2022 grossflächig gestarteten Krieg von Russland gegen die Ukraine wirkt The Hamlet Syndrome bereits wie ein Dokument einer vergangenen Zeit, ist zugleich aber umso wichtiger geworden.