Werkk – Baden
Freitag, 18. November 2022
Text: David Spring
Bedrohlich wabert der künstliche Rauch durch den Raum. Dunkle Gestalten sind zu erkennen, schemenhafte Umrisse von in kleinen Grüppchen herumstehenden Menschen. Dann auf einmal Bewegung. Drei junge Musiker betreten die spärlich beleuchtete Bühne. Angespannte Erwartung. Vorfreude, Antizipation. Die Erlösung folgt in Form einer dem Urknall um nichts nachstehenden Klang-Explosion. Sämtliche Energie entlädt sich in dieses erste Riff, diese ersten Töne – das Biest ist entfesselt und auf der Bühne stehen Kontraire.
Das Trio aus Leipzig spielte letzten Freitag im Werkk in Baden als Support-Act für Kind Kaputt auf. Dass diese beiden hervorragenden Bands, deren Sound irgendwo im Bereich des deutschsprachigen Post-Hardcores anzusiedeln ist, noch nicht sehr vielen Leuten ein Begriff sind, zeigte sich alsbald. Die sympathische Halle war nämlich mit kaum 30 Leuten noch sehr leer, was sich im Verlauf des Abends auch nur marginal ändern sollte. Kontraire liessen ich davon nicht beirren und spielten eines der besten Konzerte, denen ich je beiwohnen durfte.
Die rohe Energie, die diese Band versprühte, war schier unaushaltbar. Mit tiefgestimmten Gitarren, rasiermesserscharfen Bässen und gewaltigen Drums erschufen die drei einen Sound, der alles umhaute. Als die anwesenden Menschen nach den ersten paar Minuten ihre Kinnladen kollektiv wieder vom Boden auflasen, war der Bann gebrochen und es kam auf einmal Bewegung auf. Der stellenweise fast opernhafte Gesang wurde immer wieder von verzerrten Schreien durchbrochen, wann immer der Spannungsbogen zu bersten drohte, gab es Erlösung durch ein neues, katharisches Riff.
“Was mich nicht umbringt, jagt mich weiter.” Diese Worte aus dem Stück “Urteil” sollten mir noch lange nach dem Auftritt von Kontraire im Kopf herumgeistern. Das Konzert hat merklich Spuren hinterlassen, geplättet und zugleich erhaben fühlte man sich nach den nur 45 Minuten. Unfassbar, was diese Band hier abgeliefert hatte. Doch die Superlative des Abends war noch lange nicht vorbei, denn der Grund, weshalb wir uns im gemütlichen Werkk wiederfanden, waren Kind Kaputt.
Mit ihrem fantastischen Album „Morgen Ist Auch Noch Kein Tag“ im Gepäck und zum allerersten Mal in der Schweiz waren die Voraussetzungen bestens. Mit dem kolossalen Albumcloser „In Frieden“, einem der besten Songs des Jahres, ging es los und sofort war klar, dass das etwas ganz Besonderes werden würde. Kind Kaputt spielen in ihrer eigenen Liga, mit zwei Gitarren und ohne Bass, unglaublich cleveren textlichen Inhalten und einzigartigem, vernichtend schönem Sound. Die Energie schwappte sogleich von der Bühne ins Publikum über, es wurde ausgelassen getanzt und gejubelt.
Kind Kaputt bewiesen dramatisch, wie gut die neue Platte ist, wurden doch sämtliche der 12 Songs zum Besten gegeben. Dabei funktionierten die harten Stücke wie „Anfang & Ende“, „Wartezimmer“ oder das geniale „Alles Erreichen“ genauso gut, wie die ruhigeren Momente. Die Gitarrenballade „CH2O“ war ein seltener Moment zum Aufatmen, zu der sich Gitarrist Konstantin Cajkin gleich mitten ins Publikum gesellte, während dem Sänger Johannes Prautzsch gemütlich auf dem Bühnenrand hockte und Drummer Mathis Kersch von der Seite aus zusah. Alles überbietender Höhepunkt aber war das kolossale “Stolpern”, der Synthie-Rap-Autotune-Bastard, der so anders als alle anderen Songs von Kind Kaputt ist. Die schmerzlich-wütende Textzeile “Reisst euch mal zusammen, es ist nicht normal, dass ihr Menschen jagt” war einer der schönsten Gänsehautmomente dieses Abends.
Auch die Stücke der ersten Platte „Zerfall“ kamen nicht zu kurz, vor allem die geniale Trifekta im Zugabenblock, bestehend aus „Leichter“, „Wir Bleiben Hier Stehen“ und „Bleiben“, riss zum Schluss wirklich alles in Grund und Boden. So sehr so, dass sogar eine leicht lebensgefährliche Wall of Death losbrach. Die Leute drehten durch, als wäre Morgen tatsächlich kein Tag mehr. Als die letzten Klänge verklungen waren und sich der Rauch von der Bühne etwas gesetzt hatte, fühlte es sich wie das Erwachen aus einer Trance an. Unglaublich, was wir hier gerade miterleben durften. Kontraire und Kind Kaputt boten ein wahrlich besonderes Konzert, wie man es nicht oft erlebt.
Setlist Kontraire [Quelle: Band]
1. Konstrukt
2. Gedeih
3. Tauziehen
4. Flunkerer
5. Kunststück
6. Dunbekblau
7. Spirale
8. Einicht
9. Urteil
10. Abdank
Setlist Kind Kaputt [Quelle: Band]
1. In Frieden
2. Anfang & Ende
3. Kenntnisstand
4. Gründe
5. Denkmal
6. Vergessen
7. Gegen Dich
8. Alles Erreichen
9. Stolpern
10. Schwertschlucken
11. Glücklich Sein
12. Gut Gemeint
13. Abschied
14. CH20
15. Wartezimmer
16. Wasser
17. Nadel
Zugaben
18. Leichter
19. Wir Bleiben Hier Stehen
20. Bleiben