Fantoche – Internationales Festival für Animationsfilm
Diverse Orte – Baden
Donnerstag, 8. September 2022
Text: Michael Bohli
Seit 27 Jahren existiert das Fantoche, seit 20 Ausgaben wird Baden jedes Jahr zur internationalen Hauptstadt des animierten Filmes. Welch Erfolgsgeschichte, welch Leistung! Unter der neuen Leitung von Programmdirektorin Ivana Kvesić wurde man 2022 nicht müde, sich selbst herauszufordern, mit Inhalten, Themen und Experimenten. Die diesjährige Ausgabe lockt mit dem Fokus Balkan, dem Block «Overcoming Crisis», einer Feier der 20 geleisteten Ausgaben und vielen, neuen Langfilmen.
Auch wir nutzten die Gelegenheit erneut, dem Festival beizuwohnen und aktuelle Produktionen auf der grossen Leinwand zu geniessen. Dieser Tätigkeit gingen nicht wenige Personen nach, was die vollen Kinosäle am Donnerstagabend zeigten.
Alle Informationen zum Festival findet ihr unter den folgenden Links:
Interdit aux chiens et aux Italiens
Land / Jahr: Frankreich, Italien, Schweiz / 2022
Regie: Alain Ughetto
Die Geschichte der eigenen Familie wiederzugeben ist keine einfache Angelegenheit, besonders wenn diese von Armut, Leid und Flucht geprägt wurde. Alain Ughetto wagte sich mit dem Film Interdit aux chiens et aux Italiens an eine Stop-Motion-Erzählung seines Grossvaters Luigi Ughetto, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts Italien auf der Suche nach Arbeit immer wieder verliess.
Kriege, Seuchen, Hungersnöte und Faschismus waren die Hürden, aus den Italienern wurden nach Jahren des Hoffens am Ende eine französische Familie. Eine tragische und nicht einfache Geschichte, die von Ughetto sehr liebevoll und detailreich erzählt wird. Der verspielte Umgang des Regisseurs mit Erinnerungen und Material machen aus dem Film eine gelungene Mischung aus Komödie und Tragik.
Besonders die grossartige Figurengestaltung, die Einbindung von realen Aufnahmen, Spielzeug und unterschiedlichen Bastelmaterial lassen eine Welt auferstehen, die emotional berührt. Gewitzte Animationen und lebendig wirkende Puppen versprühen Magie, die geschickte Aufbereitung der Schrecken lässt alle Altersschichten in die Vergangenheit eintauchen.
Summer Ghost
Land / Jahr: Japan / 2021
Regie: loundraw
Was ich an den letztjährigen Ausgaben des Fantoche nicht für möglich gehalten habe, ist eingetreten: Ein japanischer Animationsfilm war mir zu kurz. Summer Ghost, das Regiedebüt des talentierten Animateurs loundraw ist mit 40 Minuten Laufzeit schnell vorbei und hat fast zu wenig Platz, um all die eingebrachten Themen gebührend zu behandeln. Fragen zum Lebenssinn, zu Suizid und dem Aufgeben werden mit viel emotionaler Intensität angegangen.
An Summer Ghost besticht vor allem die Bildgestaltung und der Umgang mit Licht. Die Herkunft des Regisseurs ist zu spüren, die Zeichnungen sind wundervoll. Zwar wirken einige Einstellungen etwas grob, die frisch gegründete Produktionsfirma Flat Studio hat aber gute Arbeit geleistet. Die Pianomusik von Akira Kosemura ist gleichermassen wirkungsvoll, die Anime-typischen Überzeichnungen etwas weniger stark als sonst.
Leider aber dürfen nicht alle Figuren gleich viel Platz einnehmen und besonders die Rolle der Aoi wird etwas an den Rand gedrängt. Das Herz wird von dem kurzen Film trotzdem getroffen und man darf sich erneut in die Schönheit des Daseins verlieben.
My Year Of Dicks
Land / Jahr: USA / 2022
Regie: Sara Gunnarsdóttir
Geschickt stellte die Fantoche-Leitung dem Anime einen neuen, kurzen Film voran, der sich mit viel Humor und einer beschwingten, weiblichen Perspektive dem Thema der erwachenden Sexualität annahm. My Year Of Dicks von Sara Gunnarsdóttir ist ein herrliches Spiel mit Fantasie, Lust, Konventionen, Emotionen und Darstellung. Echte Erfahrungen von Pamela Ribon werden überzeichnet und universal dargestellt, treffende Aussagen rütteln an den männlichen Gewohnheiten.
Durch die unterschiedlichen Animationsstile (sogar der Anime wird angewandt) und der famosen Einbindung diverser Musikstile kehren die Neunzigerjahre für 25 Minuten auf beste Weise zurück. Noch einmal Teenager möchte man trotzdem nicht sein, bei My Year Of Dicks wieder in diese Phase einzutauchen macht aber viel Freude.