Human Rights Film Festival 2021
Kosmos – Zürich
Sonntag, 5. Dezember 2021
Text: Cornelia Hüsser und Michael Bohli
Die gesunde Mischung ist wichtig, in allen Aspekten des Lebens. Das Human Rights Film Festival, welches noch bis am Dienstag, 7. Dezember 2021 im Kosmos Zürich stattfindet, weiss mit dieser Balance gut umzugehen. Spielfilme und Dokumentationen teilen sich die Leinwände, tieftraurige Erzählungen und hoffnungsvolle Momente dürfen erlebt werden. Zwischen den Projektionen gibt es Diskussionen, Ausstellungen und Partizipation, der Geist wird geschärft.
Wir nutzten den Sonntag, um filmische Gedanken und Beobachtungen zum Thema Flucht, Verbrechen und Gerechtigkeit zu erfahren. Ein Unterfangen, das nicht immer einfach war und die Komfortzone aufriss, dafür umso wichtiger für das Verständnis der Welt ist. Beim HRFF steht nicht der Konsum an erster Stelle, sondern die Reflektion und Horizonterweiterung. Das funktioniert mit der siebten Ausgabe grossartig.
Shadow Game
Land / Jahr: Holland / 2021
Regie: Eefje Blankevoort, Els van Driel
Website: shadowgame.eu
Europa zieht die Grenzen hoch – für Flüchtende ist es beinahe unmöglich geworden, hier Asyl zu erhalten. Shadow Game begleitet Teenager auf ihrer Flucht vor Krieg und Perspektivlosigkeit; sie kommen aus Afghanistan, Syrien oder Sudan und hoffen, in Europa eine bessere Zukunft zu haben. Ihre Flucht dokumentieren sie mit dem Handy. Immer wieder sieht man Aufnahmen ihrer „Games“ – der Versuche, eine weitere der innereuropäischen Grenzen zu überwinden, zu Fuss, mit dem Zug oder in einem Laster. Immer wieder werden sie zurückgedrängt, werden Zeugen oder Opfer von Misshandlungen und Folter. Viele von ihnen stecken mehrere Jahre im gleichen Land fest – Nordmazedonien, Serbien, Bosnien-Herzegovina, Italien –, bevor sie es schaffen, eine Grenze näher an ihr Ziel zu kommen.
Der Dokumentarfilm wurde über eine Zeit von drei Jahren gedreht. Er gibt einen unmittelbaren, bitteren Einblick in das Leben von Jugendlichen, die auf der Flucht erwachsen werden müssen. Zum transmedialen Projekt gehören ausserdem eine Webserie, ein Game (das sich noch in Entstehung befindet) sowie eine Fotoserie. Mehr Informationen dazu gibt es unter shadowgame.eu.
Mis hermanos sueñan despiertos
Land / Jahr: Chile / 2021
Regie: Claudia Huaiquimilla
Website: imdb.com
Die Brüder Ángel und Franco stecken seit einem Jahr in einem Jugendgefängnis in Chile, ohne Verhandlung oder Urteil. Ihre Mutter besucht sie nicht mehr, die täglichen Träumereien werden zum letzten Rettungsanker. Bis Rebell Jamie ins Gefängnis versetzt wird und die Jungs zu Fluchtgedanken und Meuterei anstachelt. Das geht nicht gut aus.
Hunderte von Jugendlichen wurden und werden in Chile hart bestraft und gefangen gehalten, Mis hermanos sueñan despiertos von Claudia Huaiquimilla erzählt als Spielfilm keine konkrete Geschichte, sondern eine Möglichkeit, die sich zu oft abgespielt hat. Mit Laiendarsteller:innen inszeniert, feinfühlig und voller warmer Bilder, ist der Film ein emotionaler Standpunkt gegen die Willkür der Justiz und für die Perspektiven der Jugend. Das tieftraurige Ende weckt wenig Mut, aber genau deswegen sind solche Produktionen wichtig, damit wir niemals vergessen, welche Zustände teilweise herrschen und angegangen werden müssen.
Flee
Land / Jahr: Dänemark, Frankreich, Schweden / 2021
Regie: Jonas Poher Rasmussen
Website: imdb.com
Der Animationsfilm kann ein gutes Mittel sein, die Anonymität seiner Protagonisten zu wahren – so auch die von Amin, der als Kind aus dem post-kommunistischen Afghanistan geflohen ist. Noch immer hat er mit dem Fluchttrauma zu kämpfen und kann mit der Vergangenheit nicht abschliessen; nicht zuletzt, weil er nie jemandem die wahre Geschichte erzählen konnte. So wie ihm ergeht es vielen Geflüchteten: Sie müssen den Behörden im Ankunftsland eine möglichst glaubwürdige Geschichte präsentieren, die ihnen das Aufenthaltsrecht garantieren soll. Auch Amin hielt an der Geschichte fest, die der russische Schlepper ihm damals eingebläut hatte: Er sei alleine geflüchtet, seine Eltern und Geschwister nicht mehr am Leben.
Heute lebt Amin in Dänemark und ist ein angesehener Akademiker. Erst jetzt, über zwanzig Jahre nach seiner Flucht, gelingt es ihm, über seine echte Vergangenheit zu sprechen. Trotzdem schwingt noch immer die Angst mit, das hart aufgebaute Leben – für das unter anderem seine Geschwister grosse Opfer brachten – zu zerstören. Das Erzählen fällt ihm schwer, aber die stetige Selbstzensur belastet seine Beziehung und seine Freundschaften; und so öffnet er sich langsam seinem Freund und teilt seine Erinnerungen. Nur sparsam durchbrechen reale Videoaufnahmen die Animationen in Flee, wie um mit Nachdruck zu betonen, dass all die Grausamkeiten tatsächlich passiert sind. Meist aber erzählt Amin aus seiner Perspektive, aus seiner Vergangenheit und der Gegenwart. Das Resultat ist ein sehr intimer, tragischer Film, der berührt und fesselt.