Fantoche – Internationales Festival für Animationsfilm 2021
Diverse Orte – Baden
Website: fantoche.ch
Etwas wehmütig und gleichzeitig glücklich bewegt man sich durch den letzten Tag am Fantoche Festival. Traurig darüber, dass der Animationsfilmreigen bereits sein Ende gefunden hat, zufrieden, weil man sich an der 19. Ausgabe von Neuem begeistern konnte. Fantastische Langfilme, überraschende Kurzproduktionen, eine liebevolle Gestaltung des Rahmenprogramms und die bekannte und entspannte Atmosphäre. Ein Aufeinandertreffen von Liebhaber*innen und neugierigen Zeitgenoss*innen.
Ein letztes Mal flimmerten die Sponsorenspots auf der Leinwand, die Ansagen wurden gehalten, der Kinosnack raschelte zwischen den Händen. Saallicht aus, Projektion an, die Wunderwelt Animationsfilm wurde in Baden zelebriert. Bunt, vielseitig, mit Rückschauen, ernsten Gedanken, verrückten Perspektiven und der Aussicht in die weite Zukunft. Fakt ist, 2022 wird das Fantoche Festival wieder stattfinden und wir werden mit dabei sein.
Alle Informationen zum Festival findet ihr unter den folgenden Links:
Programm | Schutzkonzept | Tickets | Online-Streaming
A Silent Voice
Land / Jahr: Japan / 2016
Regie: Naoko Yamada
Website: imdb.com
Aktuelle Anime-Produktionen tragen die Melodramatik offen auf der Brust. Das wurde nicht erst mit Makoto Shinkai (siehe unser Bericht zu «Weathering With You») zum weltweiten Massenphänomen, sondern hat die Wurzeln in den Manga-Vorlagen. Auf einer gezeichneten Geschichte basiert auch «A Silent Voice» von Regisseurin Naoko Yamada, ein Film, der 2016 nicht nur das Publikum, sondern auch die Kritiker und Award-Jurys begeisterte.
Die Geschichte um Mobbing, körperliche Defizite und familiäre Probleme bei Teenager versucht viele Knackpunkte der Schulzeit aufzugreifen und weiss dank der sanften und bedächtigen Erzählweise zu gefallen, wirkt zugleich aber unentschieden und überladen. Mit 130 Minuten Laufzeit ist der Film, trotz seines eigentlichen Gewichtes, zu lange und dreht sich besonders im letzten Drittel immer wieder im Kreis, ohne psychologisch tief die angesprochenen Punkte anzugehen. An Animation, Musik und Design gibt es bei «A Silent Voice» nichts zu meckern, hübsch und emotional geht es in jeder Szene zu und her. Eine wirkliche Identifikation oder gar ein Lernprozess bleibt leider aus.
La Traversée
Land / Jahr: Frankreich, Tschechien, Deutschland / 2021
Regie: Florence Miailhe
Website: imdb.com
Nachdem ihr Dorf geplündert und niedergebrannt wurde, flüchtet Kyona mit ihren Eltern und Geschwistern Richtung Westen. Auf der Flucht wird die Familie jedoch auseinandergerissen; ab da sind sie und ihr Bruder Adriel auf sich alleine gestellt. Sie begegnen verschiedenen Menschen Iskender, der mit zwielichtigen Gestalten Handel treibt, oder der Schauspielerin Florabelle, an die sie verkauft werden und die sie zu ihren eigenen Kindern umerziehen will.
Kyona dokumentiert ihre Flucht in ihrem Zeichenbuch und porträtiert die Personen, mit denen sie Bekanntschaft schliesst. Die Regisseurin Florence Miailhe lässt den Zuschauer bei «La Traversée» im Unklaren darüber, in welchen Ländern die Geschichte spielt; Orte, Ethnien und Namen sind verfremdet. Auf diese Art steht die Flucht der beiden Kinder stellvertretend für alle Geflüchteten und lenkt den Blick auf die persönlichen Schicksale.
Zusätzlich entsteht durch die Machart – Ölmalereien auf Glasplatten – eine ureigene Wirkung, emotional und bewegungsreich. Die Bilder unterliegen einem Fluss, der je nach Situation zu einem Sog wird und die Zuschauer*innen tief in die Details und Flächen der Malereien und Zeichnungen mitnimmt.
Best Of Fantoche 2021
Die Sieger*innenfilme des diesjährigen Wettbewerbs
BEST FILM: THE FOURTH WALL, Mahboobeh Kalaee, IR 2021
HIGH RISK: Just a Guy, Shoko Hara, DE 2020
NEW TALENT: Ten, Twenty, Thirty, Forty, Fifty Miles a Day, Mathieu Georis, BE 2020
BEST SOUND: Anxious Body, Yoriko Mizushiri, FR 2021
SPECIAL MENTION INTERNATIONALE JURY: Ce qui résonne dans le silence, Marine Blin, FR 2020
INTERNATIONALER PUBLIKUMSPREIS: Affairs of the Art, Joanna Quinn, UK/CA 2020
BEST SWISS und PUBLIKUMSPREIS SCHWEIZER WETTBEWERB: Écorce, Samuel Patthey, Silvain Monney, CH 2020
HIGH SWISS RISK: Jeroboam, Bianca Caderas, DE 2020
NEW SWISS TALENT: SAUNA, Anna Lena Spring, Lara Perren, CH 2021
FANTASTIC SWISS: Mr. Pete & the Iron Horse, Kilian Vilim, CH 2020
SPECIAL MENTION SCHWEIZER JURY und SWISS YOUTH AWARD: To the Last Drop, Simon Schnellmann, DE 2021
2021 besuchten wir gegenüber den letztjährigen Festivals wenig Wettbewerbe, was bei der Best-Of-Präsentation für mehr Überraschungen sorgte, einige der gekrönten Filme waren uns bis zum Abschlussscreening unbekannt. Aus über 2400 Einsendungen durfte (oder musste) die Jury bestimmen, welche Filme für die Wettbewerbe zugelassen würden – und welche wenige die Pokale erhalten würden. Zwar ging in der Schweizer Auswahl der knuffige «Do Not Feed The Pigeons» leer aus, die Gewinner*innen sind klar gerechtfertigt.
Gleich zwei Preise durften «Écorce» und «To The Last Drop» mit nach Hause nehmen, erster ein feinfühliger Blick in den Alltag eines Pflegeheims – Handskizzen und leichte Bewegungen auf Papier. Zweiter eine humoristisch-böse Abrechnung mit dem Aufenthalt in der Chemotherapie, dargestellt als kontrastreicher Zweikampf, bei dem der Tod leer ausgeht.
Unangenehm und faszinierend zugleich die Motive und Sounds von «Anxious Body», abgefahren und eventuell nicht ohne Drogeneinfluss entstanden der risikoreiche Film «Jeroboam». Und dann der beste Film 2021, «The Fourth Wall», ein Stop-Motion-Projekt über eine dysfunktionale Ehe – dargestellt aus der Perspektive des Kindes und in atemberaubenden Bildern festgehalten. Was für ein Trip, was für eine Zusammenstellung, was für ein Festival.