Fantoche – Internationales Festival für Animationsfilm 2021
Diverse Orte – Baden
Website: fantoche.ch
Während dem Fantoche Festival durch Baden zu spazieren ist eine vielseitige und bunte Angelegenheit. Nicht nur wird man aus diversen Schaufenstern von den fantasievollen Figuren aus farbigen Klebebändern beobachtet, immer wieder trifft man auf Festivalgänger*innen und rahmensprengende Aktivitäten. Ausstellungen, Vorträge, Bücher und Comics zum Staunen und Kaufen, das frei zugängliche Volksbad oder die Banner, welche Strassen und Plätze zieren.
Mit der 19. Ausgabe der Veranstaltung für den internationalen Animationsfilm wird erneut klar, wie fest in der Stadt das Festival verankert ist, wie normal das globale Flair an diesem Ort geworden ist. So hetzt man nicht von Kinosaal zu Kinosaal, sondern geniesst die Zeitabschnitte zwischen den Projektionen gleichermassen. Dass die Filme durch all diese Aktivitäten nicht gemindert werden, spricht für die Qualität des Materials.
Alle Informationen zum Festival findet ihr unter den folgenden Links:
Programm | Schutzkonzept | Tickets | Online-Streaming
Perfect Blue
Land / Jahr: Japan / 1997
Regie: Satoshi Kon
Website: imdb.com
Oft vergisst man, dass dieser Film 25 Jahre alt ist. Mit seiner ersten Regiearbeit im Bereich der Langfilme hatte Satochi Kon nicht nur das Feld des Anime wachgerüttelt, sondern bewies der gesamten Welt, dass den gezeichneten Bildern auch bei erwachsenen Themen keine Grenzen gesetzt sind. «Perfect Blue» ist eine eindringliche Mischung aus Thriller, Psychodrama und visionärem Weitblick, bis ins letzte Detail durchkomponiert und gleichermassen fesselnd wie verstörend.
Die Geschichte um das Idol Mima der Popgruppe CHAN, die sich neu der Schauspielerei widmet und es dabei mit einem mörderischen Stalker zu tun kriegt, behandelt nicht nur schwierige Aspekte wie die gesellschaftliche Gier nach Berühmtheiten, multiple Persönlichkeiten und sexistische Machenschaften im Filmbusiness, sie lässt sogar mehrere Realitäten parallel ablaufen. «Perfect Blue» ist genial geschrieben, geschnitten, verfügt über unglaubliche Sounds und verdichtet sich mit jeder Minute zu einem Ende, das wie eine Explosion wirkt. Einer der besten Filme der Neunzigerjahre und bis heute ein beeindruckendes Meisterwerk.
Nicht nur hat Kon mit diesem Film Regisseure wie David Lynch («Mulholland Drive») und Darren Aronowsky («Black Swan») inspiriert, er hat die Messlatte gleich unerreichbar hoch gesetzt.
Millennium Actress
Land / Jahr: Japan / 2001
Regie: Satoshi Kon
Website: imdb.com
In der Inszenierung um einiges leichter gehalten als «Perfect Blue», behandelt Satochi Kon mit seinem zweiten Film erneut das Thema der mehrfachen Realität und der Vielschichtigkeit eines Menschen. Man möchte das Gedicht «Song Of Myself» von Walt Whitman als Vergleich herbeiziehen, bei «Millennium Actress» nimmt allerdings Kons Liebe zum japanischen Kino die zentrale Stelle ein.
Als Hommage auf die Schauspielerin Setsuko Hara («Die Tochter des Samurai», «Reise nach Tokyo») angedacht, begleiten wir Chiyoko Fujiwara durch ihr Leben und Wirken, immer auf der Suche nach der grossen Liebe. Man springt mit den Figuren durch die Jahrzehnte und darf dank der genialen Schnittweise (angelehnt an «Slaughterhouse-Five» von George Roy Hill) zwischen Fiktion, Realität und Wunschvorstellung hin und herpendeln. Zwar stellenweise etwas melodramatisch in der Ausführung, dank der leidenschaftlichen Darstellung des Kinos und dem wundervollen, emanzipierten Ende ist «Millennium Actress» mehr als lohnend und sehr berührend.
My Sunny Maad
Land / Jahr: Tschechien / 2021
Regie: Michaela Pavlátová
Website: imdb.com
Aktueller als «My Sunny Maad» konnte ein Film am Fantoche fast nicht sein. Michaela Pavlátová erzählt in ihrem ersten Langfilm die Geschichte der Tschechin Helena, die sich in den Afghanen Nazir verliebt und mit ihm nach Kabul zieht – in der Zeit zwischen dem Sturz und der erneuten Herrschaft der Taliban. Sie leben zusammen mit Nazirs Eltern, seiner Schwester, deren Mann Kaiz und ihren vier Kindern unter einem Dach. Während Nazir und sein Vater progressiv eingestellt sind, ist Kaiz gewalttätig und betrachtet die Frauen als Eigentum, über das er verfügen kann, wie es ihm beliebt. Doch Helena, die sich in Afghanistan Herra nennt, ist überzeugt, dass sie sich in der Fremde nur an einige wenige Regeln halten muss, um ein gutes Leben zu führen.
Dass Herra aber nicht schwanger wird, belastet die ganze Familie. Das Schicksal will es, dass sie stattdessen den Strassenjungen Maad bei sich aufnehmen. Maad ist krank und sieht nicht aus wie die anderen Kinder, weshalb er immer wieder verstossen wurde; doch Herra und er lernen fortan gemeinsam, sich in der patriarchalen Welt Gehör zu verschaffen.
Man wünscht es sich, aber «My Sunny Maad» ist keine Geschichte über Empowerment. Obwohl der Erzählton mitunter humorvoll ist, ist der Film eine schmerzhafte und eindringliche Beobachtung einer Frau, die für ihre Liebe vieles auf sich nimmt, sich aber mit ihren beschränkten Möglichkeiten für die Freiheit anderer einzusetzen versucht. Gerade jetzt, 2021, wirkt das Gezeigte umso alarmierender.
Wolfwalkers
Land / Jahr: Irland, Grossbritannien / 2020
Regie: Tomm Moore, Ross Stewart
Website: imdb.com
Es ist sehr löblich, dass «Wolfwalkers» am Fantoche Festival simultan via Kopfhörer auf Deutsch eingesprochen wurde. Somit erhielten Kinder die Chance, den Film ebenfalls zu geniessen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Eltern danach mit ihren Nachkommen der Geschichte gewidmet und dabei das Thema des Adultismus angesprochen haben.
Wie meist in Animationsfilmen, werden auch hier die jungen Charaktere von den erwachsenen Figuren als minderwertig behandelt und nicht ernst genommen. Das ist nicht das einzige bekannte Element an der Geschichte, die den Konflikt zwischen Siedler und Wolf, zwischen Menschheit und Natur, behandelt. Im Irland des 17. Jahrhundert angesiedelt, begleiten wir Jägerstochter Robyn und Wolfwanderlin Mebh. Zusammen versuchen die Mädchen den brodelnden Konflikt auf friedliche Weise zu lösen.
Gezeichnet in einer ästhetischen Mixtur aus Kinderbuchillustrationen und irischen Holzschnitten damaliger Zeit ist ein optisch bezaubernder Film entstanden, der mit viel Humor und Gefühl fesselt. Die emotionale und schöne Musik (Irish Folk trifft auf Popmusik) trägt das Herz durch den Film und macht die Aspekte der Politik, den Wolfsmythos und Konflikt zwischen England und Irland für alle Altersschichten greifbar.