26. März 2021
Sedel – Luzern
Website: 40x.sedel.ch
Ein wichtiges Jubiläum hätte man sich anders vorgestellt, trotzdem ist der 15. April 2021 ein strahlender Tag: Heute wird der Sedel in Luzern 40 Jahre alt. Vier Jahrzehnte voller Kultur, Musik und Veranstaltungen, zentriert um die ehemalige Strafanstalt inmitten grüner Wiesen. Geleitet vom Verein ILM Sedel (Interessengemeinschaft Luzerner Musiker*innen), arbeiten 400 Mitglieder*innen in 55 Proberäumen und Ateliers an zirka 100 Projekten. Unvergleichlich und einzigartig, deswegen bleibt es im Gebäude noch lange nicht still.
Da allerdings eine Pandemie auch vor der Innerschweiz nicht Halt machte, mussten die angedachten Festaktivitäten grösstenteils ins Jahr 2022 verschoben werden. Das ist zwar schade, dafür erhalten nun alle genügend Zeit, sich mit der Lokalität vertraut zu machen. Ein Podcast-Projekt stellt Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft des Zentrums vor, lässt ehemalige und aktive Mitglieder zu Wort kommen – und lässt alle auf eine rasche Wiederaufnahme der kulturellen Veranstaltungen hoffen. Dazu der Verein:
„Die Organisator*innen von #40XSEDEL haben sich anfangs 2021 nach monatelangen Vorbereitungen schweren Herzens entschieden, die geplanten Publikumsveranstaltungen um ein Jahr zu verschieben. Alles andere wäre ein vom Zwangsoptimismus gekröntes Trauerspiel und gegenüber den Gästen, des Personals und den Künstler*innen nicht vertretbar. Doch genug des Jammerns, aus der Not wird eine Tugend.
2021 geht online: Potpourri – der Sedel Podcast, Rückblicke, Hintergründe und Aussichten mit den Macher*innen von 40 Jahren Sedelgeschichte. Ein Jahr lang monatlich eine neue Folge geschmückt mit einer gehörigen Portion Gossip. Weiter werden Livestream Konzerte und im Rahmen der Möglichkeiten durchgeführte kleinere Anlässe entwöhnte Kulturinteressierte durch das Jahr 2021 tragen.“
Wir nutzten das Jubiläum, um mit Personen des aktuellen Teams zu sprechen und mehr über den Sedel zu erfahren, sowie analoge Fotografien des aktuell ziemlich leeren Clubs und Gebäudes zu machen. Mögen die Zellen, Gänge und Treppenhäuser bald wieder mit Gedränge beglückt werden.
Im Gespräch mit: Silvan Weibel (Präsident ILM), Boris Rossi (Clubbetreiber) und Elina Willener (Resort Digital) vom Sedel.
Michael: Gratulation, ein Jubiläum steht an. Freut man sich trotz der schwierigen Situation?
Silvan: Klar, das ist ein Meilenstein, den wir hier erreicht haben.
40 Jahre sind ein Vermächtnis. Wie geht man mit der eigenen Geschichte um?
Boris: Eine Last ist es auf keinen Fall, wir bauen auf 40 Jahren Erfahrung auf. Was funktioniert hat, was nicht, kulturell und inhaltlich – und man verbessert sich dadurch stetig.
Silvan: Wie immer bei einem Jubiläum schaut man zurück, die Geschichte hat einen Stellenwert, auch in den kommenden Jubiläumsaktivitäten. Vor allem aber möchten wir den jetzigen Moment im Haus aufnehmen, die aktuelle Situation und die Zukunft.
Der Film „Rock’n’Roll Kingdom“ ist bereits 10 Jahre alt – wie hat sich das Sedel-Umfeld in dieser Dekade gewandelt?
Silvan: Ein Wandel existiert immer. Seien es Bands, die neu dazu stossen oder das Haus wieder verlassen, oder Fluktuationen im Vorstand. In der Betriebsgruppe herrscht glücklicherweise eine grosse Konstante, wie etwa Boris der seit mehr als zwölf Jahren als Clubbetreiber dabei ist.
Boris: Viel länger sogar, ich begann 2003 hier zu arbeiten, das sind 18 Jahre. (lachen)
Würde die Gemeinschaft heute bei einer Neugründung anders angegangen werden als 1981?
Boris: Der Vorteil des Sedels besteht darin, dass alles vom eigentlichen Gedanken getragen wird, dass Personen und Musiker*innen im Verein als Basisdemokratie funktionieren. Diese Philosophie wurde beibehalten. Sehr wahrscheinlich wäre dies heutzutage anders, eine Gründung hätte bestimmt viel mit Konzepten und Kulturmanagement zu tun. Was oft ein Verlust der Kreativität bedeutet.
Silvan: Oder, dass vieles nur als Zwischennutzung konzipiert wird.
Da ist der Sedel als ehemaliges Gefängnis mit seiner langen Geschichte schon fast ein Unikum.
Boris: Ein Zeichen dafür, dass sich unser Weg bewährt hat. Das System Sedel funktioniert.
Die Gründung fiel in eine Zeit, in der die Jugend an den Gesellschaftsrand gedrängt wurde. Hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten verbessert?
Silvan: Auf jeden Fall hat es sich verändert, für die Jugend wird mehr geleistet. Der Sedel entstand damals, als man im eher konservativen Umfeld Luzerns für mehr Räume gekämpft hat. Da existieren heute mehr Möglichkeiten, trotzdem benötigt man weiterhin die Freiräume.
Boris: Unser Lokal besteht nicht nur aus dem Clubbetrieb, sondern auch aus den Proberäumen. Diese sind komplett ausgebucht, es existiert sogar eine lange Warteliste. Die Nachfrage oder das Bedürfnis für solche Räumlichkeiten ist sehr hoch.
Wie stark unterliegt der Betrieb den politischen Schwankungen Luzerns?
Silvan: Im Sedel funktioniert es so, dass wir der Stadt Luzern Miete bezahlen, dafür ist die Stadt für den Unterhalt des Hauses verantwortlich. Als Club erhalten wir keine zusätzlichen Subventionen, unterliegen dadurch keinem Leistungsauftrag. Somit betrifft die Finanzierung nur den Proberaum- und Atelierbetrieb. Seit Jahrzehnten klappt das sehr gut, somit treffen uns die sonstigen Budgetstreitereien des Kantons oder der Stadt weniger.
Auch die Lage des Sedels ist ungewöhnlich. Macht der Umstand den Betrieb komplizierter?
Elina: Es kann teilweise schon ein Problem werden. Spontan in den Sedel kommt man nicht, eine Laufkundschaft existiert nicht. Man besucht spezifisch eine Veranstaltung.
Silvan: Ich denke, es hat positive wie negative Aspekte. In den Achtzigerjahren war es optimal, dass das Gebäude nicht mitten in der Stadt gelegen ist.
Boris: Was heutzutage immer noch so ist. (lachen)
Silvan: Genau, so mussten beispielsweise die Boa und der Werkhof den Stadtentwicklungen weichen. Das kann uns hier nicht passieren. Für die Erreichbarkeit haben wir vor zehn Jahren den Shuttle-Bus ins Leben gerufen, der Konzertbesucher*innen in der Stadt abholt und zurückbringt. Natürlich fehlt der ÖV, besonders für gewisse Musiker*innen im Haus, da wäre eine Bus-Anbindung optimal. Trotzdem: Leute, die es wirklich interessiert nehmen den Weg auf sich.
Boris: Für die Programmgestaltung bedeutet dies, dass wir viele unbekannte Bands nicht buchen können. Wir setzen eher auf die bewährten Acts, die zu uns passen.
Deswegen weicht ihr aber trotzdem nicht von eurer Schiene ab und bucht kommerziell erfolgreiche Bands.
Elina: Auch in den Subkulturen existieren Acts, die ein bestimmtes Zielpublikum anziehen.
Boris: Wir würden nie eine Band aus rein finanziellen Gründen buchen, es geht bei uns immer um die Qualität und Leidenschaft.
Die ILM Sedel setzt sich aus diversen Interessengemeinschaften zusammen – wie findet man eine konkrete Linie?
Boris: Bei den Proberäumen ist es stark gemischt, vom sechzigjährigen Jazzmusiker bis hin zur blutjungen Metalcore-Gruppe findet sich alles.
Silvan: Es existieren unterschiedliche Ansprüche an den Sedel, im Verein treffen wir in den letzten Jahren die gemeinsame Gestaltung ziemlich gut. Der Konsens wird in der jährlichen Mitgliederversammlung gesucht, anhand der Vorschläge und Diskussionen.
Boris: Die Musiker*innen in den Proberäumen sind sich dies bewusst. Man kennt uns und die Geschichte des Hauses ja.
Silvan: Damals mit meiner ersten Band wollte ich unbedingt hier im Sedel einen Raum – und wir waren dann zwei Jahre auf der Warteliste. Plötzlich waren wir Untermieter, das war sehr cool. Hier kreativ tätig zu sein ist grossartig, auch da die Preise für die Zellen tief gehalten werden und ein grosser Austausch stattfindet.
Elina: Die Begegnungen hier in den Gängen sind sehr wichtig und toll. Aber da hatten wir Glück, mit Carson mussten wir damals nicht so lange auf eine Zusage warten. (lachen)
Gibt es unvergessliche Momente oder gar Mythen, die sich um den Sedel ranken?
Boris: Viele denken, das Haus war früher ein Frauengefängnis – das war aber nicht so.
Elina: Das Festival zum 35. Jubiläum war ein gigantischer Anlass.
Silvan: Für mich war es ebenfalls ein sehr spezieller Moment, alles gemeinsam aus dem Boden zu stampfen und die Sedel-Familie zu spüren. Persönlich war der 30. Geburtstag wie der Startschuss, da wir mit der Band damals in der Stadt auftreten konnten und ich dann dem Vorstand beigetreten bin. Da spürte ich die Leidenschaft.
Wobei man in einem solchen Konglomerat die Leidenschaft eh stärker wahrnimmt als in einem isolierten Club.
Silvan: Es ist viel Leidenschaft nötig, vom Verein, der Betriebsgruppe und Einzelpersonen. Das Engagement muss vorhanden sein, damit das Haus weiterhin funktionieren und existieren kann.
Was bei 40 Jahren Betrieb nicht fehlen darf: Welche Wunschprojekte und Träumereien möchten noch wahr gemacht werden?
Silvan: Kurz- oder mittelfristig überhaupt endlich wieder Konzerte veranstalten zu können und dann unsere Jubiläumsaktivitäten. Die Marke „Sedel„, als Label für Bands, könnte man meiner Meinung nach stärker fördern. All diese Musik und Kultur, welche hier passiert, sollen besser wahrgenommen werden. Wir planen eine Sedel-Tour anfangs 2022, um den Hausbands eine Möglichkeit zu bieten, an diversen Orten in der Schweiz einen Auftritt zu spielen.
An diesen Abenden wird bestimmt nicht nur eine Stilrichtung gespielt.
Silvan: Drei Touren sind geplant, ein Wochenende mit brutaler Musik, Punk und Hardcore, eines im Bereich Indie und ein letztes im Gebiet des Rock’n’Rolls.
Boris: Um den Sedel in die Stadt zu bringen ist zusätzlich noch die Sedel-Parade geplant, welche durch Luzern ziehen wird.
Warum sollte man den digitalen Podcast-Festlichkeiten zu #40XSEDEL keinesfalls fernbleiben?
Silvan: 40 Jahre Sedel mit Persönlichkeiten aus all den Jahrzehnten, somit auch der Blick zurück – da erfährt man viel zum Haus. Der erste Hauswart wird zu Wort kommen, zugleich Bands, die heute in den Räumen tätig sind, wie aktuelle Aktivist*innen, die den Sedel heute prägen. Eine Möglichkeit, querbeet etwas zu unserem Kulturlokal zu erfahren.
Wie kann man den Sedel aktuell unterstützen?
Silvan: Der Kauf von Merchandise über unsere Homepage unterstützt uns direkt, Spendenaktionen sind diesbezüglich keine geplant. Es greifen aktuell bei uns die Ausfallsentschädigungen, Kurzarbeiten und dergleichen – wir stehen auf sicheren Beinen. Was die Zukunft bringen wird, weiss aber niemand.
Elina: Abgesehen von diesen Unsicherheiten benötigt man trotzdem ein paar Shows in Planung. Falls es wieder weitergeht.
Boris: Veranstaltungen, welche die ARTNOIR-Leserschaft dann besuchen soll. (lachen)
Wird das Publikum schnell wieder zurückkehren oder bleiben die Ängste und Hemmungen lange bestehen?
Elina: In meinem Umfeld würden wirklich fast alle sofort wieder an Konzerte gehen, das fehlt extrem.
Boris: Zu Beginn werden wir mehr Gewicht auf den Garten setzen, um den Club zu erweitern oder kleine Veranstaltungen gleich draussen stattfinden zu lassen.
Von welchen Events in 2022 dürfen wir heute schon träumen?
Silvan: Das grosse Jubliäumsprogramm darf bereits heute unter 40xSedel.ch betrachtet werden, wir haben vieles geplant. Vom Punk-Festival im Januar, dem Metal-Festival im Sommer, über den Tag der offenen Tür bis hin zu Leech, welche ein Openair-Konzert geben werden. Für Abwechslung ist gesorgt.
Vielen Dank für eure Zeit und euer Engagement.
Text und Interview: Michael Bohli
Bilder: Alain Schenk