Warum Musik? Wieso Konzerte? – Folge vier
Die Wolken waren nur kurz weg, aktuell sieht es sogar düsterer für die Kulturszene aus als zu Beginn des Jahres. Der Lockdown verhinderte im Frühling das kreative und kommerzielle Schaffen, Häuser und Clubs wurden geschlossen, Tourneen abgesagt. Nach einer kurzen Atempause steht die Schweiz wieder an demselben Punkt – die Regeln und Vorschriften verunmöglichen den Alltagsbetrieb.
Aber warum ist Musik denn wichtig für uns Menschen und die Gesellschaft? Wieso ist es falsch auf Kultur verzichten zu wollen? Und was bedeutet es für die Szene Lieder zu hören, zu spielen und Konzerte zu erleben? Wir haben nachgefragt und bieten in der neuen Beitragsreihe einen positiven Rundumblick über unser klingendes Land. Mögen wir nie verstummen, mögen die Lichter wieder scheinen.
Bisherige Folgen: Eins | Zwei | Drei
Laura Schuler
Musikerin | lauraschuler.net
Foto: Florian Spring
„In alten heidnischen Kulturen waren Musiker*innen gleichbedeutend mit Heiler und Magierinnen, sie besetzten eine sehr wichtige und hoch angesehene Position innerhalb der Gesellschaft. Dies kommt nicht von ungefähr. Ich erfahre jeden Tag, dass der Musik eine transzendierende Kraft innewohnt und grundsätzlich eine heilende Wirkung auf das menschliche Gemüt hat. Wenn Menschen nach einem Konzert zu mir kommen mit der Rückmeldung, dass bei einem der Songs sich in ihrem Inneren etwas bewegt habe, dass sie hätten weinen müssen weil plötzlich sehr starke, schöne oder auch traurige Gefühle, häufig in Verbindung mit Erinnerungen, in ihnen hoch kamen – dies sind für mich Momente in denen mir bewusst wird, wie wichtig Livekonzerte sind. Es sind Momente, in denen sich individuelle Gefühle in Heilung transformieren können.
Auch empfinde ich Konzerte als eine Art gemeinschaftliche Zeremonie des Hinhörens, ein in sich hineinhören und anderen zuhören. Gerade in der momentanen Zeit, die aus verschiedenen Gründen leider zunehmend unpersönlich und entfremdend ist, braucht es dieses Ritual. Durch die Schnelllebigkeit und stetige Zielorientierung nach vorne, haben wir das Zuhören als eine Tätigkeit, die ein hingebungsvolles „Sein im Jetzt“ erfordert, verlernt. Durch die Digitalisierung, die uns einerseits enorme Freiheit und Möglichkeiten bietet, verschwindet zunehmend die Fähigkeit sich analog mit Haut und Haaren auf innere und äussere Vorgänge einzulassen, sich mit etwas im Hier und Jetzt zu verbinden. Ich sehe in der Musik, wie auch in anderen Kunstformen, eine grosse Chance als Menschen lebendig zu bleiben.“
Leonie Schaffner und Andi Hofmann
OXIL Zofingen / Kultur inklusiv / Werkstatt Baden | oxil.ch
Foto: nau.ch
„Musik überträgt Energien und Emotionen, welche sich an Konzerten über Publikum und den Künstler*innen wie eine Wolke ausbreiten und sich dann intensiv entladen.
Wir loten stets die Grenzen in den Musikwolken aus, oder lösen sie am liebsten ganz auf. Sich frei und ungezwungen fühlen und Kultur erleben, schreiben wir auf unser Herz. Alles hat Platz. So setzen wir uns für eine offene, moderne und subversive Kulturszene ein, bei welcher alle aktiviert werden, sich zu beteiligen. Wir wollen Vielfalt der Gesellschaft und der Kulturen widerspiegeln. So unterstützen wir gemeinsam mit «Helvetiarockt» junge Frauen selbstbewusste Wege zu gehen, setzen uns für Diversität mit queeren Veranstaltungen ein oder ermöglichen ein Café Netzwerks Asyl.
Während Covid-19 haben wir zudem gecheckt: Wir müssen Klubmauern abbauen. Es zog uns mit Konzerten und Darbietungen nach draussen, um von Nachbarschaft und Stadt hürdenlos gehört zu werden. Im öffentlichen Raum erreichten wir mehr Publikum und setzen Zeichen, wie belebend Kultur wirkt. Als Karawane zurück auf die Strasse, wo damals der Jazz geboren wurde. Die Not als Chance sehen. So bespielen junge und erfahrene Künstler*innen in Zukunft die Innenhöfe von Institutionen und Seniorenzentren oder stillgelegte Tankstellen und Brachen. Kultur muss sich überall bemerkbar machen, nicht nur auf der Klubbühne.
So WOLLEN WIR ETWAS SAGEN und BEWIRKEN. Und das ETWAS ist sehr bunt. Aber hört nicht auf zu plappern: Wir verstummen nicht. Ob mit oder ohne Covid. Kultur hat immer viel zu sagen.“
Anna Murphy
Musikerin | annamurphy.ch
Foto: Manvarle Photography
„Die Frage „Warum Musik“ ist eine spannende und zwingt mich, mich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Natürlich kenne ich meine Antwort auf diese Frage, tief in mir drin weiss ich sie, aber es ist nicht einfach, diese in Worte zu fassen. „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“, der viel zitierte Satz von Nietzsche. Mir ist klar, dass Musik nicht lebensnotwendig ist wie Luft, Nahrung, Liebe oder Gesundheit. Aber eine Welt ohne Musik ist für mich tatsächlich undenkbar. Und ich glaube, dass viele Menschen sich überhaupt nicht bewusst sind, wie sehr Musik unseren Alltag begleitet, bereichert und vielleicht sogar beeinflusst.
Ich habe nicht bewusst die Entscheidung getroffen, Musikerin zu werden, es ist einfach passiert. Es ist gleichzeitig Berufung und Leidenschaft und bedeutet ein grosses Glück für mich. Musik kann jede Art von Emotion auslösen, inspiriert uns, lässt uns in andere Welten abtauchen oder über unsere eigene Welt reflektieren. Seit es die Menschheit gibt, seit wir Geräusche machen und auf Dinge hauen, ist Musik Bestandteil unseres Lebens. Musik war und ist eine wichtige Form der Kommunikation. In der Musik widerspiegelt sich unsere Geschichte; wir können in ihr lesen wie in einem Buch. Egal ob im Barock oder im Punk der 70er-Jahre, die Musik ist nie nur das Werk von Komponist*innen oder Songwriter*innen, sondern ein Zeitzeuge dafür, was in einer Gesellschaft passierte.
Musik hat die Fähigkeit, Menschen zu verbinden und deshalb sind Konzerte so unglaublich wichtig. Sie sind Orte der Begegnung und egal, ob es ums gemeinsame Schunkeln, Headbangen, einen Gedankenaustausch oder gar um ein politisches Statement geht, sind sie ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Kultur. Ob man mit Musik etwas verändern kann? Beethoven wollte das und glaubte daran. Aber auch John Lennon, Bob Dylan, Patti Smith, Pussy Riot u.v.a. Sie alle glaubten an die Macht der Musik als gesellschaftlich verbindendes Element und an ihre friedensstiftende Kraft. In den grössten Krisen der Menschheitsgeschichte, während Kriegen und Naturkatastrophen, ist die Musik nie verstummt. Lasst sie auch jetzt nicht verstummen. Wir brauchen sie.“
Tobias Rüetschi
Musiker | Obacht Obacht
Vereinspräsident Augeil Records | augeil.ch
Foto: Jana Kohler
„Musik hat für mich nicht nur mit dem Hörbaren zu tun, sondern ist ganz stark mit dem Sozialen und Erfahrbaren verbunden. Dies fängt beim Songwriting und der Produktion an, wo ich Erfahrungen verarbeite und mir Tipps von Mitmenschen hole, und hört beim Konzert auf, das ich zusammen mit anderen erlebe und abfeiere. Klar, ich sperre mich selbst gerne mal ein, zwei Tage im Zimmer ein, um an einem Projekt zu arbeiten. Doch spätestens nach einer Woche sitze ich auf dem Schlauch, wenn ich keine neuen Erfahrungen, Feedbacks von meinen Peers oder einfach Szenenwechsel erlebt habe.
Musik ist für mich so etwas tolles, da es sich durch alle Aspekte des Lebens meiner Mitmenschen und mir zieht, mich mit meinen Freund*innen zusammenbringt und mich immer wieder motiviert, selbst aktiv zu werden. Ohne Konzerte, sei es vor oder auf der Bühne, fehlt mir ein grosses Stück. Ich kann es kaum erwarten, all die tolle Musik, die während dieser merkwürdigen und anstrengenden Zeit von den Musiker*innen aus meinem Umfeld entstanden ist, endlich live zu erleben.“
Claire Braun
Musikerin | therawsoul.ch
Promotion Musikvertrieb | musikvertrieb.ch
Foto: Jart Hartl
„Musik ist die Sprache, die alle verstehen, die alle verbindet und die überall gesprochen wird. Musik ist kein Luxus und die fehlende Musik ist kein Luxusproblem. Im Gegenteil: Musik rettet, sie drückt aus, was nicht in Worte gefasst werden kann, sie bringt Menschen zusammen und gibt dem Leben Farbe. Und Farbe darf selbst in grauen Zeiten niemals fehlen. Kultur und Musik haben uns schon so viel gegeben. Jetzt wird es Zeit, dass wir ihr etwas zurückgeben.“
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Zusammenstellung: Michael Bohli