Warum Musik? Wieso Konzerte? – Folge zwei
Die Wolken waren nur kurz weg, aktuell sieht es sogar düsterer für die Kulturszene aus als zu Beginn des Jahres. Der Lockdown verhinderte im Frühling das kreative und kommerzielle Schaffen, Häuser und Clubs wurden geschlossen, Tourneen abgesagt. Nach einer kurzen Atempause steht die Schweiz wieder an demselben Punkt – die Regeln und Vorschriften verunmöglichen den Alltagsbetrieb.
Aber warum ist Musik denn wichtig für uns Menschen und die Gesellschaft? Wieso ist es falsch auf Kultur verzichten zu wollen? Und was bedeutet es für die Szene Lieder zu hören, zu spielen und Konzerte zu erleben? Wir haben nachgefragt und bieten in der neuen Beitragsreihe einen positiven Rundumblick über unser klingendes Land. Mögen wir nie verstummen, mögen die Lichter wieder scheinen.
Bisherige Folgen: Eins
Gini Jungi
Musikerin | annietaylorband.com
Foto: Hapro
„Musik begleitet mich jeden Tag. Am Morgen höre ich Musik, um aufzuwachen. Am Nachmittag praktiziere ich Musik, um zu relaxen und am Abend lausche ich Musik, um einzuschlafen. Das Musikhören hilft mir in meinem Gefühlschaos Ruhe zu bringen und ist für mich ein Weg in eine andere Welt.
Auch Konzerte sind in meinem Leben nicht wegzudenken: Zuvorderst an der Bühne vor einer Band zustehen und diese live mitzuerleben, löst in mir eine unendliche Ruhe aus und gibt mir Weitsicht. Ursprünglich waren es die Liveshows, die mich zum Musikspielen inspirierten, da mich die Leidenschaft der auftretenden Bands sehr faszinierte und neugierig machte. Selbst auf der Bühne zu stehen gibt mir unglaublich viel und bereitet mir, wie ich es mir anfänglich vorgestellt habe, viel Spass. Die Kombination der Lautstärke, dem Publikum und dem Adrenalin ist jedes Mal von Neuem ein Wow-Effekt, der mich am Ende der Show sprachlos macht. Du spielst eine Show und erlebst mit dem Publikum, ohne viele Worte zu wechseln, emotionale Momente, welche sich in den Gesichtern der Leute widerspiegeln. Musik verbindet und gehört im Leben dazu. Wo es Menschen gibt, gibt es Musik. Sei es an Hochzeiten, Demos, im Restaurant oder eben, zum Einschlafen.“
Piet Alder
CEO Taxi Gauche Records | taxigauche.com
Foto: Jasmin Frei
„Musik ist für mich ein Lebenselixier. Sie weckt in mir Erinnerungen, schöne und traurige. Momente kommen wieder auf, wenn ich unbewusst ein Lied höre, welches mich an eine bestimmte Phase in meinem Leben erinnert. Ich habe – ähnlich wie ein Tagebuch – diese Perioden mit den, zu jener Zeit gehörten Platten geordnet und aufgeschrieben. Ich kann selbst nicht lange ausharren ohne Musik zu hören, merke dann auch, wie ich nervös werde. Oftmals spielt sich in meinem Kopf ein Lied ab und ich muss es dann wieder hören, die Texte verstehen und mich mit der Künstlerin oder dem Künstler auseinandersetzen.
Livemusik ist für mich eine Flucht aus der Realität – bei Konzerten tauche ich in eine Welt ein, welche nur ich selbst zu spüren meine. Oftmals habe ich Platten der spielenden Band im Vorfeld stundenlang gehört und bin gespannt auf deren Live-Umsetzung. Die Vorfreude auf Konzerte ist dementsprechend gross.
Für mich selbst bedeutet es sehr viel, wenn die Bands eine Interpretation ihrer Aufnahmen vorstellen. Ich denke, dass sich genau darin die Live-Musik mit Studioaufnahmen unterscheidet. Ich gerate bei Konzerten in Ekstase und verliere mich in meiner eigenen Welt. Das Tanzen gehört selbstverständlich dazu, ebenso das Treffen von Freunden oder anderen Menschen, die mit mir zusammen einen Live-Act geniessen. Live-Konzerte sind für mich ein Gefühl für sich, die momentane Umsetzung von Streams auf dem Bildschirm können dem nie gerecht werden und ich kann mir nicht vorstellen, darauf verzichten zu müssen.“
Casanora
Musikerin | casanorarte.com
Foto: Laura Gauch
„Musik ist wie dein bester Freund, dein Begleiter für jede Situation. Sie ist in guten wie in schlechten Zeiten stehst an deiner Seite und hat immer den passenden Track bereit. Wo die Worte fehlen, setzt die Musik ein.
Sie kann dich in Nullkommanichts in ein anderes Universum transportieren. Deshalb braucht es Konzerte, um die Möglichkeit nicht zu verlieren, in eine Zeitmaschine zu steigen und sich dorthin transportiert zu lassen, wo man gerade sein möchte. Um an diesem beliebigen Ort seine Energie aufzutanken und wieder bereiter zu sein für den Alltag. Wenn man in einer emotionalen Situation ist, kann ein kollektives Konzerterlebnis das Gemeinschaftsgefühl erheblich erhöhen, ergo Solidarität fördern.
Also, warum sollte man nicht bereit sein, die Macher dieser Zeitmaschine zu unterstützen? Warum sollten in diesen Krisenzeiten alle von der Musik profitieren, um Energie zu tanken, die entsprechenden Künstler gehen dabei aber leer aus? Wie sollen so neue Energiequellen oder Zeitmaschinen entstehen?
Deshalb: ja zur Musik und Kulturförderung! Erst recht in schwierigen Zeiten!“
Manuel Clausen
Musiker | mx3.ch/gody
Ikarus Records / Promo- und Booking-Agent, Koordinator des Kollektivs. | ikarusrecords.ch
Foto: Yvonne Schmid-Frey
„Das eigene Musizieren begleitet mich seit meinem 10. Lebensjahr. Mit 14 Jahren begann ich als Schlagzeuger in Bands zu spielen, habe aber nie wirklich viel geübt und war faul. Durch die Bands habe ich mich aber konstant weiterentwickelt – später kamen Gitarre, Bass und Synthesizer dazu.
Mit der Gründung unseres Labels Ikarus Records stieg ich 2004 in die Welt des Musikgeschäfts ein. Über die Jahre brachte ich mir die Booking- und Promo-Arbeiten und mehr autodidaktisch bei. Musik ist ein grosser Lebensinhalt von mir – es war aber keineswegs immer ein rosiger und schöner Weg.
Das Musikgeschäft ist hart; auch die Führung einer Künstler*innen-Gruppe wie Ikarus Records kann sehr streng sein. So hat mich die Arbeit mit der Musik 2018 in eine persönliche Energiekrise gebracht. Doch die Freude und die tiefe Begeisterung für die Musik haben mir geholfen, diese zu meistern.
Musik zu machen, aufzunehmen, zu hören, an Konzerten zu sehen und zu fühlen: Dies ist alles mit starken Emotionen verbunden und einzigartig. Auch die Zusammenarbeit mit unseren Künstler*innen bereichert mein Sein ungemein.
Ich kann mir ein Leben ohne Musik nicht vorstellen. Der Mensch braucht Musik – ohne Musik würde er verkümmern und eingehen.“
Fabienne Schmuki
CEO – Label Manager, A&R, Promotion Manager Irascible Music | irascible.ch
Foto: Tatjana Ruegsegger
„B.C. (Before Corona) war ich der Meinung, (gute) Musik und (herausragende) Performance seien die wichtigsten Voraussetzungen für einen (gelungenen) Konzertabend. Okay, vielleicht auch das (gutgelaunte) Publikum. Natürlich auch die (passende) Location. Und nicht zuletzt auch das (eine oder andere) alkoholische Getränk.
Seit Corona aber weiss ich, dass das Zur-Musik-Tanzen-bzw.-Mit-dem-Hintern-wackeln fast genauso relevant ist, das Sich-in-die-Quere-kommen, das Sich-über-den*-Grossgewachsenen-in-der-ersten-Reihe-aufregen, das Wo-trifft-man-sich-vor-der-Show-zum-Apéro? und noch viel wichtiger das Wo-wird-der-Abend-nach-der-Show-enden?
Mir fehlen die Nebengeräusche und -gerüche, die feuchten Achselhöhlen, das aneinander reiben von Oberarmen im rappelvollen Konzertsaal, die Schlange vor der Frauen*-Toilette.
Aber am allerallermeisten fehlen mir die freundlichen Gesichter, die unzähligen Konzert- und Musik`biz‘-Bekanntschaften, mit denen ich mich kaum je zu einem Bier verabredet, aber die ich mit Gewissheit ein- bis zweimal pro Monat (oder häufiger) an einschlägigen Orten angetroffen habe. Es war wie Zufall, aber besser.
Corona, du Arsch, hast mich eines wichtigen Teils meiner sozialen Kontakte beraubt.“
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Zusammenstellung: Michael Bohli