Solothurner Filmtage 2021
Tiefer in das wahre Leben hineinblicken, neue Facetten und Bestandteile entdecken, andere Perspektiven einnehmen zu können: Die Dokumentarfilme sind ein sehr wichtiger Bestandteil der 56. Solothurner Filmtage und allgemein des Kreativschaffens im Bereich der bewegten Bilder. Nicht selten lernt man in den erzählten Geschichten und Fakten etwas über die eigene Person, das eigene Verhalten. Eine Reflektion findet immer statt, sei es beim Thema Migration, Steuerflucht oder moderne Heldinnen des Alltags.
Für den fünften Teil unserer Berichterstattung haben wir uns deswegen von drei Regisseurinnen jeweils ein Aspekt unseres unendlich vielfältigen Daseins naherbringen lassen. Einfach ist das nicht immer, lohnenswert umso mehr.
Praktische Informationen:
Die Filmplattform ist online und der Festivaldesk eröffnet: Für sämtliche Online-Filmvorführungen können auf unserer Website ab sofort Tickets gekauft und die Filme reserviert werde. Die Filme sind ab dem Eröffnungsabend am 20. Januar 2021 gemäss ihrem jeweiligen Starttag verfügbar.
Alle Filme starten während des Online-Festivals täglich um 12 Uhr und am Eröffnungsabend um 22 Uhr. Die Filme bleiben nach dem Filmstart während 72 Stunden online verfügbar. Einmal gestartet, bleiben Ihnen 36 Stunden Zeit, um den Film / das Filmprogramm fertig zu schauen.
Das Programm ist aus rechtlichen Gründen nur in der Schweiz verfügbar.
Réveil sur Mars
Land / Jahr: Schweiz, Frankreich / 2019
Regie: Dea Gjinovci
Website: alvafilm.ch
Schweden liegt nicht so weit vom Kosovo entfernt, wie die Erde vom Mars. Trotzdem kann einem die nördliche Umgebung fremd und unwirtlich vorkommen, besonders, wenn man als Familie darauf hofft, endlich ein neues Leben beginnen zu dürfen. Doch für Furkan und seine Verwandten steht der Aufenthaltsbescheid der Behörden immer noch aus. Und seine Schwestern sind seit Jahren nicht aus dem merkwürdigen Koma erwacht.
In den ersten Minuten von Réveil sur Mars wollte ich zuerst nicht wahrhaben, dass dieses medizinische Rätsel der plötzlichen und totalen Apathie wirklich existiert. Zu absurd erscheint die Tatsache, dass dieses Koma bei Flüchtlingskindern in grossen Stresssituationen auftaucht. Wie Furkan im Film von Dea Gjinovci, würde man in solchen Situationen gerne eine Rakete bauen und in die sichere Ferne des Mars abzischen. Was in der Fantasie des Jungen gut funktioniert, das ist in der Realität von Flucht und Migration ein täglicher Kampf voller Hoffnungen und Sorgen. Die Dokumentation bringt die beiden Ebenen feinfühlig zusammen und zeigt durch die kindliche Perspektive die Absurdität der Flüchtlingspolitik auf.
Réveil sur Mars läuft vom 25. bis 28. Januar.
Der Ast, auf dem ich sitze
Land / Jahr: Schweiz, Deutschland / 2020
Regie: Luzia Schmid
Website: dvfilm.ch
In Zug, da lässt es sich gut Leben und reichlich Steuern sparen. Vorausgesetzt, man gehört zur wohlhabenden Schicht. Denn die ewigen Umbauten am Finanzsystem haben aus dem Ort eine Steueroase gemacht, für Mensch und Gesamtheit aber wenig Verbesserung eingebracht. Wie zufrieden sind denn die Leute, welche sich inmitten dieser Verhältnisse befinden? Luzia Schmid geht mit Der Ast, auf dem ich sitze den Fragen und Umständen nach.
Keinesfalls bezieht die Regisseurin in ihrer Dokumentation eine links-soziale Position, dafür ist ihre persönliche Einstellung zu liberal (siehe Filmtitel). Das verhindert aber weder einen klaren Blick auf Situation und Probleme noch beissende Fragen für ihre Interviewpartner*innen. Sei es die eigene Familie, wichtige Namen in der Lokalpolitik oder Menschen, die sich im Ausland gegen die Auswirkungen der Schweizer Politik zur Wehr setzen. Es schmerzt auf jeden Fall, diese Bilder nach Nein für die Konzernverantwortungsinitiative anzusehen, denn erneut wird einem bewusst gemacht, wie viel Leid und Ungleichheit wir mit unserer kapitalistischen Wirtschaft verursachen. Ein Umdenken muss her, schnell.
Der Ast, auf dem ich sitze läuft vom 25. bis 28. Januar.
Amazonen einer Grossstadt
Land / Jahr: Schweiz, Deutschland / 2020
Regie: Thaïs Odermatt
Website: maximage.ch
Amazonen, wo gibt es denn diese unerschrockenen Frauen? Muss man bis nach Hollywood reisen, in die Welt der überzeichneten Superheldinnen, um eine solche Person zu finden? Mitnichten, wie uns Thaïs Odermatt mit ihrer filmischen Dokumentation Amazonen einer Grossstadt beweist. In Berlin trifft sie mehrere Frauen, die keinesfalls ein einfaches und schönes Leben hatten oder haben, trotzdem immer mutig und voller Energie weitergemacht haben.
Ob Kampfsportlerin, Musikproduzentin, Rentnerin oder ehemalige Kämpferin des kurdischen Widerstands – alle Frauen in diesem Film wissen über Verluste und Ungerechtigkeit Bescheid. Und genau deswegen stehen sie für ein humanitäres und gleichberechtigtes Leben ein. Drei Schicksale werden von Odermatt genauer beleuchtet, aktuelle Aufnahmen der Personen mit Archivaufnahmen zusammengeführt. Besonders diese Collagen entfalten im kurz gehaltenen Film gemeinsam mit dem Off-Kommentar eine mitreissende Wirkung und verleihen den Geschichten mehr Weite.
Amazonen einer Grossstadt läuft vom 25. bis 28. Januar.
Text: Michael Bohli