Ponyphone Records / VÖ: 30. Mai 2025 / Progressive Rock
welcome-inside-the-brain.com
Text: David Spring
Bands friemeln ja bekanntlich gerne mit eigenen Genrebezeichnungen und versuchen, ihr Schaffen in ein, zwei schlagkräftigen Begriffen zusammenzufassen. Das gelingt selten, sind doch die bekannten Begriffe meist zu eng und neue Kreationen bestenfalls verwirrend, schlimmstenfalls prätentiös. Welcome Inside The Brain aus Leipzig drehen den Spiess um, machen sich über derartige Kategorisierungsversuche lustig und nennen ihren Sound schlicht Jam.
Tatsächlich passt das gar nicht schlecht, denn wer schon mal einer Jamsession talentierter Musiker:innen beigewohnt hat, weiss, wie sehr sowas ausufern kann. Auf ihrem neusten Werk «Re:Creation» beginnt das gleich mit dem neunminütigen «Greedy Critter». Eine sanft knarrende Gitarre öffnet uns die Tür und die angenehm einzigartige Stimme zieht uns unweigerlich in ihren Bann. Welcome Inside The Brain verstehen es, sich Zeit zu lassen und den Spannungsbogen kontinuierlich zu dehnen. Der erste Teil beginnt relativ geradlinig und erinnert an das eingängige Melodieverständnis von The Who. Dann aber wird es sphärisch und gar bedrohlich, bevor uns der Refrain entgegen aller Erwartungen wieder fröhlich um die Nase tänzelt. Grosses Kino! Mit «Uncle Timothy» werden rockigere Klänge aufgefahren, mit Hammond-Orgel und Bottleneck-Gitarren. Und natürlich werden Erwartungen gebrochen und zerrüttet, dass es eine Freude ist.
Wenn du deine Musik gerne schön vorausschaubar auf dem Silbertablett serviert bekommst, sind Welcome Inside The Brain nicht das Richtige für dich. Sie machen Musik, die nie bloss nebenbei gehört werden sollte, dafür gibt es viel zu viel zu entdecken. «Murderous Mary» zieht mit vertracktem, nervösem Beat nach vorne und lässt dich hibbelig und angespannt zurück. Vom bizarren Spoken-Word-Intro über unbequeme Strophen bis zum epischen Ende kommt der Song nie zur Ruhe. «Leviathan» ruft Erinnerungen an Dream Theater wach, als diese noch auf verspielte, theatralische Elemente setzten. Mit der Mischung aus Zirkusmusik und bombastischer Rockoper stellt der Track die vergleichsweise leicht verdauliche Mitte dieser an Ideen und musikalischen Spielereien schier überquellenden Platte dar. Gleich mit «Colours On Earth» geht es in vorzüglich progressiver Manier weiter: rastlos, verspielt, unvorhersehbar – und irgendwie trotzdem eingängig. Der Bandname passt perfekt: verkopft und komplex, aber eben auch einladend und empfänglich.
Auch inhaltlich bleiben Welcome Inside The Brain vielseitig. Die traurige Geschichte einer Zirkuselefantin, die gehängt wurde, nachdem sie ihren Wärter aufspiesste? Eine wütende Warnung vor der prekären Lage des globalen Klimas? Oder lieber eine verwirrende Metapher über ein Loch in der Hosentasche und die Nichtigkeit des Seins im kosmischen Kontext? Vielleicht etwas dystopische Systemkritik? Oder einfach der ideale Soundtrack zum Tanz am Abgrund? Egal, was du suchst: wer nicht mit leerem Kopf völlig verballert durch den Alltag taumelt, wird hier fündig.
«Re:Creation» endet mit einem wuchtigen Statement: «The Vacancy» vereint auf achteinhalb Minuten alles, was die Band ausmacht. Der Track ist episch, theatralisch und kompromisslos. Ein würdiger Abschluss für ein Album, das spielerisch durch Stile, Stimmungen und Konzepte tanzt, ohne je den roten Faden zu verlieren. Welcome Inside The Brain zeigen, wie aufregend moderner Prog Rock klingen kann und dass Musik am besten ist, wenn sie Grenzen sprengt und Restriktionen hinter sich lässt. Fast ein wenig wie das Leben selbst, möchte man meinen.
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