Staatsakt / VÖ: 7. Oktober 2022 / Folk, Alternative
duesseldorfduesterboys.de
Text: Patricia Leuchtenberger
Dass Blitzerbilder nicht nur zum „Geld abdrücken“ gut sind, traditionelle Latino-Musik im Alternative nicht falsch am Platz ist und Kompositionen aus dem 16. Jahrhundert modern inszeniert werden können, das alles und noch viel mehr stecken in „Duo Duo“ von The Düsseldorf Düsterboys. Mit ihrem Debüt-Follow-Up machen Peter Rubel und Pedro Goncalves Crescenti ihre charakteristische düstere Melancholie durch unaufgeregte Weltenbummelei wieder wett; man könnte sogar so weit gehen, zu beteuern, dass ihre neue Platte es überflüssig sowie unmöglich macht, seinem Alltag zu entfliehen.
The Düsseldorf Düsterboys wurde als Projekt lange vor dem zweiten Projekt der Essener, International Music, gegründet, welches Krautrock mit weiteren Stilrichtungen vermengt und durch den Schlagzeuger Edis Ludwig vervollständigt wird. Mit „Die besten Jahre“ evokativere International Music eines der besten Alben der deutschsprachigen Rockszene der zeitgenössischen 2000er. Zusammen mit Fabian Neubauer an den Keys bilden die Jungs ein Quartett bei Konzerten sowie auch in ihrem Debütalbum „Nenn mich Musik“. Für „Duo Duo“ allerdings zogen sich Rubel und Goncalves Crescenti als Duo zurück, besannen sich auf neue Möglichkeiten und weiteten in Folge die Klangpalette, welche schon zuvor in Folk-Genre außerordentlich divers war, in Richtung Latino aus.
Die Boys machen sich im Songwriting und Gesang den authentischen Charme der zeitlose und zugängliche Folk der 60er, der sich an Pionieren wie The Velvet Underground orientiert, zu eigen, bestechen jedoch auch durch die klangliche Auseinandersetzung mit Latin-Musik und New Wave. Traditionsklängen, unter die fingerfertige Percussion und die Pan-Flöte und Streicher, wird Elektrizität dezent durch E-Gitarren untergemischt, man hört es kaum. Und wenn man denkt, man hätte den Sound der Platte der DüDü’s durchleuchtet, wird man von seinem friedlichen Tagtraum, den „Duo Duo“ musikalisch perfekt untermalt, aus dem hypnotisierenden Sog der Tracks geworfen: „Adieu, Adieu“ leitet ein mit extensiven Conga-Getrommel und vertont eine Komposition des Musikers William Cornish, der vor 500 Jahren auf dem Hof von Heinrich VIII. hausierte. Damit ist es der zweite englischsprachige Song, wobei The Düsseldorf Düsterboys betonen, dass das rein der Praktikabilität zu schulden ist, da der Adressat der Songs deutsch nicht verstehe. Im Allgemeinen erscheinen so manche kreativen Entscheidungen des Duos willkürlich, wie zum Beispiel das Cover, welches auf dem Weg der Beiden in ihre Heimatstadt Essen durch einen Blitzer entstanden ist. Da habe ich es gerade gespoilert: Die Beiden kommen auch nicht aus Düsseldorf, sondern ein Traum veranlasste sie zu dem Bandnamen. Und sie unterlegen ihre analogen Latino-Beats mit folkigen Gitarren a la Sufjan Stevens, im Hintergrund schwebt unnachgiebig ein Nebel aus beinah kirchlichem Chorgesang.
Diese Stimmung, der eine gewisse Naivität zugrunde liegt, ist auch lyrisch bedingt: Das akustische Singer-Songwriter Storytelling wird zwar antastbar durch knarzende Geräusche der Streicher, Hölzer und rauschende Wälder; Naturverliebtheit ist jedoch nicht das einzige Sujet der Platte. Es wird von den einfachsten Gegenständen gesungen, von Blicke, Gefühlen, Bildern („Kleiner Kiesel, wo geht’s lang?“) Entschleunigung ist das mächtige Wort, mit dem sich „Duo Duo“ am besten beschreiben lässt. Ernst und Leichtfüßigkeit wird durch Akustik sowie Latin vertont, der ständige Wechsel zwischen altbacken und modern und behutsames Abwiegeln zwischen Stille und Ekstase ist; genauso wie das sanfte Stimmenverheddere, in dem Pedro und Peter mal zusammen, mal einzeln harmonieren, lässt alle Grenzen des Unmöglichen verwischen. Wie ein zeitgenössisches Kammerspiel treten die beiden Freunde und Musiker in einen intimen Dialog, den sie den Hörern Teil haben lässt. Eine solche Vertrautheit, die jegliche Gefühle der Beiden zu konservieren scheinen, konnte man zuletzt bei Simon & Garfunkel in den 60ern beobachten und lässt einen sprachlos zurück.
Und es gibt einen Plan für alles: „Korn auf Korn“ und „Pegel“ könnte einen Ultra-Fan schon vorher ein Begriff gewesen sein, denn teilweise gehen die Songs zehn Jahre zurück in ihre Diskografie, wurden erst im Jahre 2022 veröffentlicht. Handwerkliches Taktgefühl beweisen The Düsseldorf Düsterboys allemal, doch die meiste Zeit habe ich keine Ahnung, auf was genau sie referieren, auf einander, auf mich, auf jemanden anderen oder um was es geht; wenn Peter und Pedro mir im Einklang erklären, „Ist der Horizont gerade? / Ja, das ist er, ach wie schade / Ich wollt‘ er wär‘ gewellt / Oder vertikal / Ich wollt‘ ich wär die Welt.“ Nein, ich verstehe es nicht, aber ja, ich kann es fühlen.