6. März 2021
Im Gespräch mit Yaël Weissmann, Kommunikationsverantwortliche im Gaswerk Kulturzentrum in Winterthur.
Ergänzend zur Reportage über das leere Gaswerk, durften wir mit Yaël über ihre Liebe zu Glam Metal und dem Kulturlokal sprechen.
Christian: Herzlichen Dank, dass wir Räumlichkeiten sehen und fotografieren durften, die das Publikum sonst nicht zu sehen bekommt. Wie kam es, dass du Teil des Gaswerk-Teams geworden bist?
Yaël: Vor etwa fünf Jahren hat ein Freund von mir auf Facebook die Stellenbeschreibung zur Funktion Kommunikation im Gaswerk geteilt. Ich habe das gelesen und mir war sofort klar: „Die suchen mich!“ Die Möglichkeit, die Kulturlandschaft in Winterthur mitgestalten zu dürfen, hat mich sehr angesprochen.
Wie wurde deine Leidenschaft zur Musik geweckt?
Als ich mit dem Achtzigerjahre-Glam-Metal in Berührung gekommen bin. Das war auf einem Campingtrip in meiner frühen Jugend. Vorher hatte ich Musik eher passiv konsumiert, als ich aber diesen Sound hörte hat’s mich gepackt! Das war meine Musikrichtung. Ein mir bis dahin unbekannter Metalhead stellte mir freundlicherweise eine ausführliche Playlist zusammen, wodurch ich innert Kürze all die Legenden kennen und lieben gelernt habe. Von diesem Moment an habe ich mich intensiver mit Musik auseinandergesetzt, habe Fernsehdokus über das Genre und die Musiker*innen geschaut und bin so oft ich konnte an Konzerte gegangen.
Hast du eine Lieblingsband?
Das ist eine schwierige Frage, ich kann mich da schwer auf nur eine Band festlegen. Eine Band, die mich unheimlich geprägt hat, ist D-A-D. Ihr Konzert war übrigens mein erstes und einziges, für welches ich mich von zuhause weggeschlichen habe. Tom Waits ist einer meiner Favoriten, egal welche Phase seiner Musik. Loyle Carner begeistert mich immer wieder aufs Neue. Auch Fatoni, Edgar Wasser, KISS und Def Leppard – je mehr ich darüber nachdenke, desto länger wird die Liste. Generell liebe ich kleine Clubshows, bei der Musiker*innen und Fans zusammenfinden und am Schluss ein grossartiges Gesamterlebnis daraus wird. Das führt dazu, dass ich oftmals ohne Erwartungen ein Konzert besuche und ganz fasziniert das Lokal verlasse. So ist es mir letztes Jahr an den Musikfestwochen mit Lee Fields and the Expressions ergangen. Seither gehört er zu meinen Lieblingen.
Welches Konzert im Gaswerk war das letzte grosse Highlight für dich?
Da gibt es mehrere ganz spezielle Konzerte, an die ich mich erinnern kann. Twin Temple war das vorletzte Konzert vor dem Lockdown. Es war eine tolle Show mit diversen obskuren „satanischen“ Ritualen – unheimlich faszinierend. Das erste Konzert, welches ich nach meinem Stellenantritt im Gaswerk erleben durfte war Spidergawd. Das erste Mal einen Auftritt sozusagen „in meinem Club“ sehen zu dürfen, war ein ganz besonderes Gefühl. Nicht unerwähnt bleiben, darf ausserdem das Konzert der Backyard Babies 2019.
Was ist es für ein Gefühl, hier in der Kinonische zu sitzen und nicht zu wissen, wie es weitergehen wird?
Trist fühlt es sich an! Wir hatten vor kurzem ein Fotoshooting hier, die Konzertbeleuchtung und die Rauchmaschine liefen, es war ein emotional trauriger Moment. Wir arbeiten alle ehrenamtlich, wir geben so viel für die Musik und diesen Ort. Dass seit einem Jahr nichts mehr stattfinden kann, ist wirklich deprimierend. Umso mehr freue ich mich, wenn es wieder losgeht. Ich habe erneut schätzen gelernt, was mir Konzerte bedeuten.
Als der Bundesrat letztes Jahr die ausserordentliche Lage beschlossen hatte, war die schwedische Stoner-Rock-Band Truckfighters bereits in Winterthur und das Konzert musste sehr kurzfristig absagen werden. Wie hast du diesen Moment erlebt?
Wir hatten bereits die Tage zuvor gezittert, ob der Event wohl stattfinden kann. An dem Nachmittag sind wir alle zusammen im Club vor dem Laptop gesessen und haben die Pressekonferenz des Bundesrats verfolgt. Schweren Herzens mussten wir die Show leider absagen. Die Vorband Marant hat aber spontan für die bereits anwesenden Helfer*innen ein kleines Konzert gegeben, die Bandmitglieder von den Truckfighters haben sich dann bei der anschliessenden Jam-Session ebenfalls auf der Bühne eingefunden. So wurde der Abend zu einem ganz speziellen Moment, insbesondere deshalb, weil wir alle wussten, es würde für unbestimmte Zeit das letzte Mal sein.
Der Unterbruch kam für euch in gewisser Weise nicht ungelegen, da ihr die geplante Renovation im Gaswerk durchführen konntet. Für wen war diese Notbremse besonders schwierig?
Für viele der Helfer*innen war und ist die Gemeinschaft innerhalb des Teams besonders wichtig. Viele haben im Gaswerk eine Art zweite Familie gefunden. Wenn das auf einmal wegfällt, ist das nicht immer einfach zu verkraften. Besonders brutal war die Situation aber auch für unsere Ton- und Lichttechniker. Viele von ihnen arbeiten selbstständig und der Wegfall der Vergütungen ihrer Arbeit hat sie hart getroffen. Bis dahin musste sich ein guter Techniker nie wirklich um seinen Job sorgen, jetzt lief plötzlich überhaupt nichts mehr.
Gemeinsam mit dem Albani, Kraftfeld und dem Salzhaus habt ihr einen regen Austausch und seid über den „Onthur Verein“, der von der Stadt Winterthur subventioniert wird, verbunden. Wie hat sich der Lockdown und der lange Unterbruch auf eure Zusammenarbeit ausgewirkt?
Es hat uns noch mehr zusammengeschweisst. Wir alle spüren die Solidarität gegenseitig und versuchen uns überall möglich zu unterstützen.
Was macht das Gaswerk! denn so besonders? Wie würdest du jemandem, der noch nie da war, einen Besuch schmackhaft machen?
Wir haben eine sehr sorgfältige Bandauswahl, unsere „Programmboys“ kennen sich unglaublich gut aus. Ich finde das Programm im Gaswerk unheimlich vielseitig und spannend. Für alle, die gerne neue Musik entdecken, ist es der perfekte Ort, sich auf Bands einzulassen, von denen man vorher noch nie etwas gehört hat. Unsere Strukturen erlauben es uns, nicht in erster Linie kommerziell denken zu müssen und so auch kleinere, weniger bekannte Musiker*innen fördern zu können. Was ein unheimliches Privileg, nicht nur fürs uns, sondern auch für das Publikum ist. Unser Haus ist nicht „gekünstelt“, sondern ehrlich und echt. Dazu tragen insbesondere unsere Helfer*innen bei. Ich glaube, man kann spüren, dass diese Menschen ihren Job mit unheimlich viel Freude und Herzblut machen.
Wie kam es dazu, dass AnnenMayKantereit bei euch aufgetreten sind?
Damals war ich noch nicht Teil des Teams, hab mich aber ein wenig schlau gemacht: Es war vor allem die Hartnäckigkeit der damaligen Programmgestalterin. Sie hat nicht lockergelassen und irgendwann hat es geklappt.
Mir ist aufgefallen, dass einige Bands regelmässig im Gaswerk auftreten.
Es gibt eine gewisse Wechselwirkung. Wenn wir sehen, dass eine Band extrem gut ankommt, dann versuchen wir natürlich, sie wieder zu uns zu holen. Umgekehrt gibt es Bands, die sich bei uns sehr wohlgefühlt haben und gerne wiederkommen möchten. Das ist natürlich auch für uns immer wieder ein schönes Kompliment.
Gibt es eine verrückte Geschichte, an die du dich erinnerst?
Die besonders verrückten Sachen behalte ich lieber für mich! Ganz speziell war der Auftritt von „The Jancee Pornick Casino“. Sie hatten live ein Stück nicht gespielt, auf das ich mich richtig gefreut hatte. Zu später Stunde im Backstage aber haben sie den Song in einer akustischen Version Backstage nur für mich gespielt.
Glaubst du, dass die lokalen Künstler*innen in Zukunft mehr Aufmerksamkeit erhalten und das Publikum vermehrt an solche Konzerte gehen wird?
Ich würde es mir wünschen. Allerdings nicht um der Solidarität willen, sondern einfach, weil es so viele unglaublich tolle Bands in unserem Land gibt, die es sich anzuhören und anzusehen lohnt. Und ich habe das Gefühl, dass das langsam auch die breite Masse realisiert.
Was würdest du organisieren wollen, wenn es morgen wieder mit Veranstaltungen losgehen würde?
Am liebsten einen ausgelassenen Konzertabend, welcher alle unsere Helfer*innen begeistert. Es wäre schön, wenn wir auf diese Weise ein Wiedersehen feiern dürfen und das Haus nach dem Umbau gebührend einweihen könnten. In der Realität wären wir von dieser Möglichkeit, von heute auf morgen eine Show auf die Beine zu stellen, wohl eher überfordert. Möglicherweise müssen wir erst alle wieder aus dem „Livemusic-Winterschlaf” erwachen, unsere Abläufe wieder in Gang bringen und das Getränkelager auffüllen. Aktuell machen mich solche Gedankenspiele allerdings vor allem eins: Nostalgisch!
Ganz lieben Dank für deine Zeit.
Interview: Christian Wölbitsch