18. November 2020
Im Gespräch mit: Shawna Potter (Gesang) von War On Women.
Termingerecht zu der geschichtsträchtigen Präsidentschaftswahl in den USA haben die feministischen Co-Ed Hardcore-Helden*innen von War On Women aus Baltimore mit „Wonderful Hell“ ihr drittes Album auf uns losgelassen. Sängerin Shawna Potter hat sich Zeit genommen, um mit uns per Skype über das neue Werk, den neuen Präsidenten und die alten Probleme zu plaudern.
David: Hi Shawna, ich hoffe, dir geht’s gut? Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Album. Wie fühlst du dich, nachdem es ein paar Wochen raus ist?
Shawna Potter: Danke dir! Es ist einfach merkwürdig, dass ich diese Songs nicht live spielen darf. Aber wir sind dankbar, dass es den Leuten zu gefallen scheint und sie das Album feiern, auch ohne Konzerte.
Habt ihr bei den Aufnahmen gegenüber früher etwas geändert?
Der grösste Unterschied war wohl, dass wir uns bewusst entschieden hatten, uns mehr auf die Vorproduktion zu konzentrieren und genügend Zeit dafür zu nehmen. Das letzte Album, „Capture The Flag“, fühlte sich etwas überhetzt an, darum wollten wir dieses Mal wirklich im Detail an den Songs arbeiten. Ich denke, man kann den Unterschied hören.
Auf jeden Fall, „Wonderful Hell“ fühlt sich organischer an und es scheint etwas leichter zu sein. Nicht, was den Inhalt anbelangt, aber der Sound ist weniger harsch als zuvor.
Ja, wir wollten bewusst unsere Botschaft etwas leichter verdaulich zu machen. (lacht)
War es ein bewusster Entschied, als Band etwas lockerer aufzutreten? Zum Beispiel mit diesem sehr lustigen „Official 2020 Campagin“-Werbespot. Kannst du uns darüber mehr erzählen?
Es freut mich, dass dir das gefiel. Wir wissen, dass all diese schwierigen Themen wichtig sind und, dass wir gemeinsam einen Weg finden können, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Aber wir müssen ab und zu lachen können und uns freuen. Ob du’s glaubst oder nicht, wir sind eigentlich total lustige Menschen, wir sind nicht immer nur todernst. Dieser Spot war somit eine andere Seite dieser Band.
Diesen Eindruck hatte ich auch, als ich euch letztes Jahr in Zürich sah. Ich erwartete eine brutale Hardcore-Show, aber eigentlich war es ein tolles Rock’n’Roll-Fest mit euch.
Wahrscheinlich ist es so, dass danach kein Hahn krähen würde, wenn wir in der Band allesamt Cis-Männer wären. Tatsache ist: die sexistische Vorstellung, dass Feministinnen oder Kämpferinnen für Gleichberechtigung keinen Sinn für Humor haben, existiert immer noch. Da wird man automatisch zur Lesbe abgestempelt, oder man ist hässlich und weiss nicht, wie man Spass hat. Darum ist uns wichtig aufzuzeigen, was für facettenreiche und vielfältige Menschen wir alle sind. Wir sind nicht nur wütend, sondern lustig, ernst, locker, sexy, echt.
Wie ist denn die Stimmung derzeit zu Hause, ein paar Wochen nach der Präsidentschaftswahl?
Echt merkwürdig. Ich lebe in einem sehr demokratischen Ort. Wenn ich einkaufen gehe, sehe ich keine Die-Hard Trump-Fans. Darum weiss ich eigentlich nicht, wie es sich anfühlt, in einem ultra-konservativen Ort zu leben, in dem die Leute allen Ernstes glauben, dass Trump gewonnen hat. Dazu kommt das ganze Geplapper von wegen Wahlbetrug, auch wenn der einzig belegte Betrug bisher von Republikanern begangen wurde. Und natürlich die ewige Diskussion über das Electoral College. Zudem findet all das während einer globalen Pandemie statt. Ich fühle mich richtig entfremdet, ich habe keine Ahnung mehr, was abgeht oder wie sich die Leute um mich herum fühlen. Es ist so oder so viel zu verdauen, die Isalation hilft überhaupt nicht.
Aber hast du das Gefühl, dass sich die Dinge mit dem neuen Präsidenten wieder etwas zum Besseren wenden werden?
Themen wie weisser Nationalismus oder die Gewaltbereitschaft der Konservativen bereiten mir nach wie vor enorme Sorgen. Ich glaube nicht, dass dies durch Zauberhand vorübergehen wird. Joe Biden wird sein erstes Amtsjahr wohl damit verwenden müssen, all den Scheiss, den Trump versursacht hat, aufzuräumen. Ich glaube, das kann er durchaus schaffen, aber als Land sind wir bei Themen wie dem Gesundheitswesen, der Umwelt oder der Gleichberechtigung noch lange nicht da, wo wir sein müssten. Drück uns die Daumen.
Worum ging es eigentlich bei der Kontroverse um die neue Bundesrichterin des obersten Gerichtshofes, Amy Coney Barrett, der Nachfolgerin von Ruth Bader Ginsburg?
Traditionellerweise hat der oberste Gerichtshof immer neun Richterinnen und Richter. Diese werden nicht vom Volk gewählt, sondern vom Präsidenten nominiert. Trumps Regierung hatte von Beginn an dafür gesorgt, dass auf Lokal- und Staatsebene überall republikanische Richter im Amt sind, so hatte er leichtes Spiel, die Nachfolge von Bader Ginsburg aus den eigenen Reihen zu picken. Coney Barrett ist extrem konservativ, sie wird die Verfassung so interpretieren, wie Trump es möchte, selbst wenn Trump nicht mehr im Amt ist. Das schlimmste dabei ist, dass sie keine Erfahrung als Richterin hat. Für anderssexuelle Menschen oder beim Thema Fortpflanzungsrechte ist sie erzkonservativ.
Kommen wir doch zurück zur Musik. Gibt es auf dem neuen Album Songs, über die du gerne sprechen würdest?
Was ich bisher noch zu wenig in Interviews erwähnt hatte: auf dem letzten Song des Albums, „Demon“, haben wir eine Gastsängerin. Janet Morgan, die Bassistin von Channels, singt mit mir zusammen die Chöre. Ich hatte sie angefragt, weil sie diese hohen Parts viel besser singt als ich. (lacht)
Ich fand, der Gesang ist auf „Wonderful Hell“ viel abwechslungsreicher geworden als früher.
Ich habe mir während den Aufnahmen immer die Frage gestellt, ob ich das alles live so bringen kann. Das war mir auf den ersten beiden Alben eher egal, was mich jetzt ab und zu einholt. Ich denk mir bei Konzerten manchmal: „Wow, dieser Teil ist echt hart!“ Aber dieses Mal habe ich darauf geachtet, dass ich ein 40-minütiges Set genauso wie auf dem Album singen kann und alle Töne richtig treffe. Weisst du, das Singen habe ich ja nicht erst gestern gelernt, aber ich hab mich tatsächlich jetzt bewusster entschieden, meine sanftere Stimme zur Schau zu bringen.
Die Songs wurden nicht erst im Studio geschrieben, sondern über längere Zeit hinweg, nicht wahr?
Genau. Ich schreibe sowieso immer Texte. Und Brooks [Harlan, Gitarrist] kommt dann daher und sagt: „Schau mal, ich hab 50 neue Riffs.“ Da picke ich mir etwas davon raus, Ideen gibt es immer! Normalerweise brauchen wir etwas Pause, nachdem wir ein Album fertiggestellt haben. Das war nach „Capture The Flag“ so. Irgendwann geht’s dann wieder los und wenn ein Riff herkommt, dann arbeiten wir daran. Wir haben uns dieses Mal viel mehr Zeit genommen, um die Songs wirklich auszuarbeiten, bevor es ins Studio ging.
Hattet ihr auf Grund der Pandemie noch kurzfristig Dinge geändert?
Der Plan war, die Grundspuren allesamt aufzunehmen, bevor wir mit Bad Religion auf Tour gehen wollten und den Gesang nach der Tour fertig machen. Nun wurde die Tour nur eine Woche, bevor es losging, abgesagt und dann hatte ich plötzlich viel mehr Zeit für das Einsingen. Das war schon komisch, ich stand plötzlich da und dachte: „Scheisse, bin ich überhaupt ready? Hab ich alles geschrieben, was ich schreiben wollte?“ Das einzige Stück, das aber tatsächlich einen Corona-Bezug im Text hat, ist „Seeds“. Das wurde erst im Studio fertig geschrieben.
Wegen der Pandemie musste unsere in Florida lebende Gitarristin Jennifer Vito ihren Background-Gesang von zu Hause aus einsingen. Sie hatte uns ein paar Takes geschickt und hoffte auf das Beste. Ich schickte ihr kleine Notizen mit Hinweisen. Dank der heutigen Technologie war es kein Problem.
Habt ihr Pläne für nächstes Jahr, mit Konzerten wird es wohl immer noch schwierig bleiben?
Ich persönlich starte in erster Linie meinen Podcast „But Her Lyrics…“, in welchem ich all die Songs auf „Wonderful Hell“ im Detail analysieren werde und dann Experten*innen einladen will, die sich mit den besungenen Themen auskennen. Der Titel spielt damit, dass eine Frau in einer Führungsposition ohnehin nie gut genug ist. Immer kommt das Aber. Damit werde ich sicher ein paar Monate beschäftigt sein. Ich will momentan keine Konzerte spielen, das Risiko ist zu gross, für uns und für das Publikum. Für meinen Podcast habe ich eine Patreon-Kampagne, um die Unkosten etwas zu decken.
Sehr cool, da bin ich sehr gespannt darauf. Wirst du nur die Lieder auf „Wonderful Hell“ behandeln oder auch ältere Stücke?
Nach der ersten Staffel werden wir sehen, ob es den Leuten gefällt. Irgendwann würde ich zudem gerne andere Musikerinnen zu deren Songs interviewen. Ich hoffe, dass wir all diese Problemthemen beleuchten und den Zuhörer*innen schlussendlich etwas Hoffnung geben können, oder wenigstens eine Vorstellung, wie man selbst gegen Missstände ankämpfen kann. Der Podcast soll für Leute interessant sein, die vielleicht nicht zwingend Fan von War On Women sind, da nicht die Musik im Vodergrund steht. Im Dezember geht es los.
Welche Musik hörst du denn zurzeit?
Um ehrlich zu sein, habe ich in letzter Zeit vor allem Podcasts gehört, um mich vorzubereiten. Und ich habe den Shuffle-Modus wiederentdeckt. Ich wollte die Musik, die ich schon besitze, neu entdecken und habe querbeet alles durcheinander gehört. Fela Kuti, Helms Alee, Petrol Girls, Refused, Dionne Warwick, Janet Jackson, alles Mögliche.
Hat sich, deinem Empfinden nach, die Situation für Frauen, People of Colour oder Anderssexuelle in der Musikwelt verbessert?
Auf ganz kleine Art und Weise vielleicht. Nur leider geht mit jedem Fortschritt für soziale Belangen immer auch einher, dass vieles nur der Äusserlichkeit wegen gemacht wird. Wir sind noch weit von tatsächlicher, struktureller Veränderung entfernt.
Ich sehe vermehrt Frauen auf Tour, auf und neben der Bühne, das finde ich durchaus beruhigend. Und klar, es ist besser, hat ein Festival jetzt zwei Bands mit weiblichen Mitgliedern als gar keine, wie noch vor kurzem. Das Problem ist, dass die Entscheidungsträger an der Spitze meist nur weisse Männer sind. Wir brauchen da zwingend mehr Frauen. Zudem brauchen wir vermehrt sichere Orte und wir brauchen Leute, die kleinen Bands mit Musiker*innen aus marginalisierten Kreisen, eine Möglichkeit geben, überhaupt auftreten zu können.
Was können Musikhörer*innen und Musikmagazine tun, um mitzuhelfen?
Macht Interviews, Features und Reviews von Bands, die nicht nur weisse Männer sind. Folgt den sozialen Medien von Leuten, die nicht nur weisse Männer sind, schaut, dass eure Twitter- und Facebook-Timelines divers sind. Schaut euch Filme über Schwarze mit Schwarzen Schauspielern*innen an – und zwar nicht nur über ihr Leid, nicht nur zum Thema Sklaverei. Das alleine definiert die Schwarze Kultur nämlich nicht. Unterstützt ihre Kunst, damit sie auch weiterhin tolle Stories erzählen und kreieren können.
Bezahlt die Leute für Kunst, verdammt nochmal! Kauft euch Musik von unabhängigen Künstlern*innen, oder spendet was, wenn ihr eure Musik lieber streamt. Seid euch bewusst, dass wir unsere Rechnungen nicht davon zahlen können, wenn ihr unsere Musik nur auf Spotify hört.
Gerade jetzt, da Konzerte fast nicht mehr möglich sind.
Genau! Ich habe echt keinen Bock drauf, eine Livestream-Show zu spielen. Ohne Publikum, welches ich fühlen und hören kann. Da weiss ich nicht, ob das den Leuten gefällt. Für mich gibt es nichts schöneres, als eine echte Liveshow zu spielen. So aber können wir derzeit auch kein Merch verkaufen.
Gibt es noch etwas, das du den Fans in der Schweiz sagen möchtet?
Ich wünschte mir, dass ich jetzt bei euch sein könnte. Es gäbe nichts, was ich lieber tun würde, als jetzt in der Schweiz ein Konzert zu spielen. Aber ich bin sicher, wir werden zurück zu euch kommen, wenn es wieder sicher genug dafür ist. Und dann werde ich von jedem und jeder einzelnen von euch High-Fives verlangen, alles klar? (lacht)
Versprochen. Ich wünsche euch nur das Beste, kämpft stets weiter, kommt bald wieder zu uns und dir vor allem viel Glück mit „But Her Lyrics…“.
Interview: David Spring
Foto: Julia Schwendner