Datum: 10. Dezember 2011
Ort: NeedfulthinxX Freiburg
Geschrieben von: Gastredakteurin Lisa Esterle und Wiebke Kronsbein
Im Gespräch mit: Oswald Henke
Im gemütlichen Ambiente des Gothik-Ladens NeedfulthinxX in Freiburg, sprachen wir bei Glühwein und Adventsdeko mit Oswald Henke (ehemals Goethes Erben), der neben seinen musikalischen Tätigkeiten bei seiner Band Henke an seinem 4. Buch arbeitet und am heutigen Abend zu einer Lesung geladen hat.
Art-Noir: Gleich zu Anfang mal etwas zu Deinem neuen Buch. Im Frühjahr 2011 sollte es eigentlich erscheinen…
Henke: Ja, das wird jetzt 2012. Es geht jetzt in die Phase, wo es revidiert wird, und die ganzen Fotos kommen noch dazu, aber es soll im 2. oder 3. Quartal 2012 rauskommen.
Art-Noir: Kommt es dann als Buch raus, oder planst Du auch wieder ein Hörbuch?
Henke: Letztes Mal gab es das „Seelenkonzil“ auch als Hörbuch, aber das hier wird jetzt ein reines Buch mit vielen Fotos. Etwas stärker als „Ich habe mir die Liebe abgewöhnt“, aber auch als Hardcover.
Art-Noir: Da freuen wir uns schon drauf. Sind es im Buch dann alles neue Sachen, oder auch z.B. alte Kolumnen wie in den vorhergehenden Büchern?
Henke: In dem Buch gibt es viele Sachen, die noch nicht abgedruckt waren, aber eben bei „Henke“ oder „Fetisch:Mensch“ vorher schon aufgetaucht sind. (Anmerkung: bei „Henke“ und „Fetisch:Mensch“ handelt es sich um zwei Musikprojekte rund um Oswald Henke). Es sind auch einige neue Texte dabei, die erst viel später bei „Henke“ verarbeitet werden, und natürlich auch viele Texte, die einfach nur in diesem Buch auftauchen werden. Bei den Kolumnen bin ich etwas hin und hergerissen. Die meisten Kolumnen haben eine relativ geringe Halbwertszeit, weil sie sehr auf aktuelle Themen bezogen sind. Aber die letzte Kolumne, die ich jetzt veröffentlich habe, die passt glaube ich auch für die nächsten 2-3 Jahre noch, vielleicht kommt die mit rein.
Art-Noir: Und was war jetzt der Antrieb oder die Inspiration zu Deinem 4. Buch?
Henke: Ja, ich hab ja keine Bücher mehr (lacht). Die anderen 3 Bücher sind offiziell ausverkauft. Ich habe von „FSK 18“ und „Ich habe mir die Liebe abgewöhnt“ noch die letzten vom Verlag aufgekauft, und wenn die weg sind, gibt es eben keine mehr. Der Verlag hat lange überlegt, ob er als Verlag weitermacht. Der Branche geht’s halt nicht so gut, und die Verlage haben generell große Probleme. Und Bücher sind bei dem was ich mache, als keine Romane oder Kurzgeschichten, sondern Lyrik, einfach auch schwerer verkäuflich.
Art-Noir: Gibt’s irgendwelche großen Unterschiede zwischen dem neuen und den 3 vorigen Büchern?
Henke: Ich denke, dass sich der Themenkreis von dem neuen Buch schon von den anderen unterscheidet. „Ich habe mir die Liebe abgewöhnt“ hatte ja die Liebe im Zentrum gehabt, das neue wird eher politischer.
Art-Noir: Dann kommen wir mal zur Band „Henke“. Da gibt es ja auch Neuigkeiten. Danke Deines Blogs kann man ja auch gut verfolgen, an was gerade gebastelt wird. Mit was können die Fans bei „Maskenball der Nackten“ rechnen?
Henke: Mit vielen Überraschungen! Wir haben bislang 20 Stücke geschrieben, ich denke, bis August, wenn wir es letztendlich aufnehmen werden, werden noch einige dazu kommen. Momentan sind wir in der Phase, wo wir entscheiden, welche Lieder wir erst mal für die Liveauftritte im April einstudieren werden. Es ist auf jeden Fall ein sehr spannender Prozess, den wir schon hinter uns haben. Rübeland war da sehr ereignisreich und sehr inspirierend für die Band als Band. Es wird neu und anderes klingen. (Anmerkung: Rübeland ist eine kleine Ortschaft im Harz/ Deutschland. Hier nahm sich die Band eine einwöchige Auszeit, um gemeinsam neue Lieder zu schreiben und zu komponieren.)
Art-Noir: Inwiefern klingt es denn anders als das Henke Debütalbum „Seelenfütterung“?
Henke: Die Band klingt jetzt geschlossener. Beim ersten Album kamen doch sehr unterschiedliche Typen von Menschen zusammen, und wir haben uns auch nicht so viel Zeit beim Album gelassen, sowohl beim Schreiben als auch dem Prozess des Entstehens. Diesmal lassen wir uns die Zeit, die Band inspiriert sich da gegenseitig. Die Band wird geschlossener, erwachsener sozusagen.
Art-Noir: Wie läuft es dann ab, wenn Ihr die Songs schreibt? Schreibst Du sie, schreibt Ihr sie gemeinsam…
Henke: Das ist sehr unterschiedlich. Jetzt direkt in Rübeland sind drei Stücke einfach aus der Stimmung raus entstanden. Einer hat eine Idee, fängt an zu spielen, und dann spielt man mit der Stimmung, und daraus entsteht dann irgendwann ein Stück. Da haben wir zum Beispiel „Midea“, „Ein Jahr, ein Tag“ und „Rote Irrlichter“. Zwei Texte hatten wir vorher schon, da entstand in Rübeland die Musik, und das andere ist sowohl vom Text als auch von der Melodie her dort entstanden.
Art-Noir: Schreibt Ihr dann erst die Musik oder erst den Text?
Henke: Die meisten Texte gibt es vorher schon. Ich sehe mich dann wie ein Regisseur. Ich erkläre der Band, worum es in den Texten geht, und dann beginnt man zusammen, dieses Thema musikalisch umzusetzen. In welche Richtung das nachher geht, weiß man nicht so genau. Jeder bringt seine Ideen rein.
Wenn ich was höre oder betrachte, dann fällt mir etwas dazu ein, und dann weiß ich meist schon relativ genau, in welche Richtung es gehen könnte. Und dann habe ich aus meinem Fundus der unzähligen Texte auch meist gleich den richtigen Text parat. Und dann erarbeitet man mit dem Text eine Dramaturgie, die dem Stück dienlich ist.
Art-Noir: Hana, weibliche Stimme von „Henke“, ist ja jetztausgestiegen. Gibt’s da jetzt weiblichen Ersatz?
Henke: Auf der nächsten Tour werden wir mit Coma Diwine zusammen touren. Sie wird auf jeden Fall „Helden“ als Duett mit mir singen. Ansonsten ist die Frauenstimme live bei Henke nicht so wichtig. Wir spielen bestimmte Stücke nicht mehr, zum Beispiel „Liebling der Götter“, weil das Repertoire an „Henke“ Stücken mittlerweile so groß ist, dass wir die Anzahl älterer Stücke deutlich reduzieren. (Anmerkung: „Liebling der Götter“ ist ein älteres Lied aus Henkes Projekt „Artwork) Wir haben nur noch einige wenige Erben- Lieder im Programm und in den Zugaben, aber der Schwerpunkt liegt in den neuen Kompositionen. Wir sind natürlich neugierig zu erfahren, wie die neuen Stücke ankommen, sie sind zur Tour im April hin ja noch gar nicht aufgenommen.
Es wird eine sehr überraschende Tour. Man wird viele Sachen zum ersten Mal hören, wie ich es auch früher bei Goethes Erben gemacht habe. Wir gingen dort mit einem neuen Album auf Tour, von dem niemand auch nur ein Stück kannte, und haben das dann sehr konsequent umgesetzt. Erst in den Zugaben kamen dann die Erinnerungsstücke.
Art-Noir: Die Konzerte der meisten Bands sind ja auf Party- Mitsingen ausgelegt, dafür muss man die Stücke natürlich kennen. Das ist bei Euren Konzerten ja anders. Eure Konzerte sind ja nicht auf Party- Feiern ausgelegt, sondern mehr zum nachdenken…
Henke: Genau. Ich denke, dass die Leute, die ein „Henke“ Konzert besuchen, sich anders mit der Musik auseinandersetzen. Das wird auch heute bei der Lesung so sein. Es geht mir eher um Stimmungen als um Party-Feiern. Natürlich hat „Henke“ Aspekte, bei denen man eher mitgehen und mit-ausflippen kann, und der Humor soll da auch nicht zu kurz kommen, aber das Konzept ist ein anderes. Wir sind halt keine Rock-Pop Band im üblichen Sinne. Wir sind halt „Henke“.
Art-Noir: Was ist denn „Henke“?
Henke: „Henke“ ist „Henke“. Eine Band. Ohne Schublade. Wir lassen uns da auch nicht limitieren. Ich bin auch gerade dabei, das meinen Mitmusikern bei „Henke“zu erklären, die ja teilweise noch sehr jung sind. Wir müssen uns da gar keine Grenzen setzen müssen. „Herz“ ist ein reines Klavierstück, und andere Titel sind wieder elektronischer, auch auf dem neuen Album, aber natürlich sind wir eine Band mit Schlagzeug, Bass und Gitarre, also kommt auch diese Fraktion zur Geltung. Und heute Abend nach der Lesung haben auch wieder zwei Gäste die Möglichkeit, in zwei Demoaufnahmen für das neue Album reinzuhören. Man muss zu Beginn der Lesung seinen Namen auf einem Zettel abgeben, und wird dann vielleicht ausgewählt.
Art-Noir: Das ist dann ganz exklusiv!
Henke: Ja, ganz exklusiv!
Art-Noir: Wie kamt Ihr auf die Idee, einige Leute schon vorher in die Demotapes reinhören zu lassen, und was versprecht Ihr Euch davon?
Henke: Die Idee kam von mir, aber als ich sie meinen Bandkollegen vorgestellt habe, fanden es alle auf Anhieb gut. Wir haben ja sehr unterschiedliche Strömungen in der Band, keiner kommt aus der eigentlichen Gothik- Szene. Einer kommt aus dem Alternative- Bereich, mein Keyboarder ist ein Alt-Emo, der eine Metal- Vergangenheit hat… wir haben so alle unsere eigenen Favoriten. Aber bei drei Liedern waren wir uns alle einig. Das sind übrigens genau die drei Lieder, die wir in Rübeland gemeinsam geschrieben haben. Einige Lieder davor haben wir in Fraktionen geschrieben, weil es schwer ist, alle Leute immer an einen Tisch zu bekommen. Daher kam dann ja auch die Idee, sich eine Woche lang in Rübeland zu treffen und gemeinsam ohne Ablenkung an den Liedern zu arbeiten. Es hat uns sehr viel gebracht, das Projekt wirklich gemeinsam anzugehen, deshalb werden wir es nächstes Jahr im August auch bei den Aufnahmen wieder so machen. Wir haben von einem Fan aus Ostfriesland ein Angebot bekommen. Er hat den Hof seiner Eltern überschrieben bekommen, inklusive Ferienwohnungen und Scheunen. 200 m um den Hof herum ist niemand, deshalb können wir auch Lärm machen und proben. Das ist vielleicht nicht 100%ig ideal, weil es keine akustischen Räume sind. Aber wir haben einen Ort, an dem wir zwei Wochen lang gemeinsam am Stück arbeiten und kreativ sein können.
Art-Noir: Henke macht sehr viel online, den Blog, Facebook… diese ganzen neuen Medien und soziale Netzwerke: Fluch oder Segen für einen Künstler wie Dich?
Henke: Es ist eher gut, weil man unabhängiger wird von den eingefahrenen Strukturen des Markts. Früher war man abhängig von den großen Printmagazinen, Fernsehen wie MTV, Viva. Deren Arroganz hat mich früher furchtbar aufgeregt, aber mittlerweile ist die Arroganz einfach zerbrochen. Auch viele Printmedien haben sich mittlerweile überlebt oder überleben nur noch dadurch, dass sie ihre „akustischen Bildschirmschoner“ mitliefern, also diese unsäglichen CD- Compilations von Bands, die sie aus dem Internet filtern und zu ihnen sagen „Zahlt uns was, und Ihr kommt auf unsere CD und wir berichten ein wenig über Euch!“… ich glaube, das ist der Todesstoss für ein Magazin, wenn die Substanz verloren geht… aber gut. Ich bin ganz froh, dass man im Zeitalter der sozialen Netzwerke nicht mehr so abhängig ist.
Art-Noir: Also eine gute Sache, die sozialen Netzwerke, auch bei der Kommunikation mit den Fans?
Henke: Ja. Man ist schneller, man ist direkter, es ist spannender. Unser Blog beispielsweise ist das Tagebuch der Entstehungsgeschichte unseres zweiten Albums. Die Leute, die den Blog lesen, werden einfach ein Teil davon, können mitfiebern und bekommen natürlich auch die ganzen Katastrophen mit, die da so passieren. Und wir wollten halt auch mal zeigen, wie lange es dauert und was für ein Aufwand es ist, ein Album von der Idee bis zur Veröffentlichung aufzunehmen.
Art-Noir: Katastrophen….?
Henke: Das unangenehmste war, dass unser Schlagzeuger zusammen mit unserem Bassisten einen Verkehrsunfall hatte, als wir uns in Rübeland für eine Woche zum Proben trafen. Zum Glück ist den beiden nichts passiert, aber es hat uns halt einen ganzen Tag gekostet, und hat an diesem Tag dann auch die Stimmung gedrückt. Aber letztendlich über die Woche gesehen haben wir auch genau die Stimmung gebraucht, und hat sich auf die gesamten Stücke ausgebreitet. Dadurch klingt es in sich geschlossener. Aber den ganzen Ärger drum herum hätte man sich wirklich sparen können.
Art-Noir: Du hast vorhin schon etwas über Veränderungen in Bezug auf soziale Netzwerke gesprochen. Du bist jetzt seit über zwei Jahrzehnten Künstler in der schwarzen Szene. Wie hat sich für Dich die Szene für Dich in der Zeit verändert? Hat vielleicht das World Wide Web auch hier für Veränderungen gesorgt?
Henke: Das ist eine schwierige Frage. Das größte Problem der Szene ist, dass sie aufgedunsen ist wie ein Wasserkopf, aber in sich nicht geschlossen. Als ich angefangen habe, die Musik zu hören, da waren da Rockabilies, Punks, New Waver, Gothics, EBMler, alle in einem Club, und da habe ich mich gleich zuhause gefühlt. Es war EINE Szene, zu der alle Subkulturen dazugehörten, und EINE Tanzfläche, und es wurde von allen zu allem getanzt. Dieser Fraktionszwang war nicht da. Es gibt ja heutzutage Clubs, die 4 oder 5 Tanzflächen haben, um ja alle ihre Grüppchen zu befriedigen. Aber dadurch führt man nicht eine Szene zusammen, man fraktioniert sie in Untergruppen. Das ist glaube ich das größte Problem der Szene. Sie verliert dadurch an Toleranz. Und darum ging es ja ursprünglich, und auch in der Musik steht das nicht mehr im Vordergrund. Manche Musik erinnert mich heutzutage mehr an schwarzen Schlager, als dass es vom Background oder Intellekt noch etwas mit dem Ursprung der Szene zu tun hat.
Art-Noir: Geht der Anspruch an die Musik verloren?
Henke: Die Grenzen fransen aus, man kann sich ja gar nicht mehr abgrenzen, wenn der an der Kasse vom Supermarkt ein Lied genauso toll findet. Das ist dann Pop und keine Szenemusik mehr.
Art-Noir: Heute ist ja die letzte Lesung von Deiner Tour. Wie hast Du die Lesungen bislang empfunden? Gab es Highlights?
Henke: Die Lesungen laufen immer unterschiedlich ab. Die Lesung von gestern ist auch wieder anders als die heute, weil es ja auch Leute gibt, die gestern und heute kommen. Manche Lesungen sind eher humorvoll, manche eher ernst. Ich lasse sich das immer entwickeln, je nachdem, wie die Stimmung ist.
Art-Noir: Letzte Frage, auf was dürfen wir uns denn heute Abend freuen?
Henke: Ich denke, heute Abend werden wir Hostien bauen, und es wird einen kleinen Henke-Kochkurs geben.
Art-Noir: Wir sind gespannt und freuen uns drauf! Vielen Dank für das Interview!