Freitag, 6. Oktober 2023
Sibbi (Gesang + Gitarre)
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Gespräch: David Spring
Vor einigen Tagen beehrten uns die sympathischen Herren von Itchy mit einem Konzert der Spitzenklasse im Dachstock in Bern. Und obwohl es der Auftakt und somit das allererste Konzert der Tour zu ihrem aktuellen, fantastischen Album «Dive» war, nahm sich Sänger und Gitarrist Sibbi die Zeit, um kurz mit uns zu plaudern. Da die neue Platte aber schon in ausführlichstem Detail im Band-eigenen Podcast «Deep Dive» besprochen wurde, sprachen wir lieber über das aussergewöhnlich gute Verhältnis, das Itchy zur Schweiz pflegen, über Vorgruppen, Konzert-Tourneen, die Musikszene und die Welt. Aber lest selbst!
David: Hi! Vielen Dank, nimmst du dir die Zeit für mich so kurz vor der ersten Show. Wie geht’s dir? Bist du aufgeregt?
Sibbi: Tatsächlich aufgeregt! Uns geht’s gut, aber wir haben heute Tour-Auftakt und da ist man immer total neben der Spur. Also im Positiven, aber halt auch im völligen Wahn, denn man hat eine neue Setlist und neue Specials, die man für die Show macht. Da muss man während der Show ja dran denken. Heute beim Soundcheck haben wir gemerkt, dass wir ein paar Sachen von unserem Equipment zu Hause vergessen haben und andere Sachen waren kaputt. Also das läuft schon wieder richtig super. Aber sonst wird’s geil. Wir freuen uns. Es wird mit Abstand die grösste Bern-Show, die wir jemals gespielt haben. Wir sind einfach nur happy, dass es jetzt losgeht.
Es ist eh geil, spielt ihr mal in Bern und nicht immer nur in Zürich.
Wir waren ja seit Beginn unserer Karriere schon überall in der Schweiz, nicht nur in Zürich. Wir waren in Bern, Basel, Luzern, Solothurn, Chur und überall sonst. Wir lieben halt die Schweiz. Die Schweiz scheint uns auch zu mögen, das ist immer der Wahnsinn.
Wir kommen gleich noch zu eurem Verhältnis zu der Schweiz. Weil es aber echt schwierig ist, sich als Journalist noch gute Fragen für euch auszudenken, weil ihr in zwei Büchern, tausenden von Konzertberichten und nun einem Podcast einfach schon alles von euch erzählt habt: Gibt es eine Frage, die ihr noch nie gefragt wurdet?
[überlegt] Wir wurden in der Schweiz noch nie gefragt, warum wir eigentlich noch nicht eingebürgert wurden. Und die Frage stellen wir uns auch. Ich würde so gerne in der Schweiz eingebürgert werden. Dann müssten wir nicht mehr raus und reinfahren, sondern könnten einfach hierbleiben.
Endlich keine Probleme mit dem Zoll mehr! Worauf dürfen wir uns denn heute beim Tour-Auftakt freuen?
Natürlich haben wir neue Songs von «Dive» am Start. Wir haben aber auch Songs auf die Setlist gepackt, die wir noch nie oder schon ewig nicht mehr gespielt haben. Die Tour letztes Jahr musste wegen Corona zweieinhalb Jahre verschoben werden, die ist noch nicht lange her, darum wollen wir jetzt etwas komplett Neues bieten. Die Hälfte des Sets ist sicher neu und anders als zuvor. Wir haben total Bock und mit Malewicz und NOFNOG zwei coole Vorbands dabei. Und zum ersten Mal hier im Dachstock. Wir freuen uns!
Dürfen sich die Vorbands auf eure berüchtigten Tour-Scherze gefasst machen?
[lacht] Das wäre ja schlimm, wenn wir das bei jeder Vorgruppe machen würden. Normalerweise macht man so Scherze am Ende einer Tour. Aber die Bands haben wir zum Teil nur bei einer Show dabei, das heisst, wir könnten dann eigentlich direkt etwas machen, ist ja dann auch gleich schon das letzte Konzert für die. Aber nein, wir machen das nur, wenn eine Band die ganze Zeit dabei ist, das wäre sonst ein bisschen fies. Dafür geht’s dann aber auch richtig ab.
Wie wählt ihr die Vorgruppen aus? Heute habt ihr ja gleich zwei Schweizer Bands am Start.
Also NOFNOG kennen wir als Band schon länger, das bot sich an. Und Malewicz hat uns unser Schweizer Booker vorgeschlagen. Da haben wir reingehört und fanden es cool. Und sonst nehmen wir am liebsten Freunde von uns mit auf Tour, oder Bands, die uns dann im Gegenzug im Ausland mitnehmen können. So waren wir schon in Schweden oder Grossbritannien auf Tour. Wir schauen, dass man sich da etwas austauschen kann. Und es sollen halt Bands sein, die wir selbst gut finden. Das ist ja auch eine schöne Freiheit, die man hat: wir können mitnehmen, wen wir wollen. Wir haben auf dieser Tour ein paar echt richtig coole Support-Acts wie die Alex Mofa Gang, Van Holzen, Blackout Problems oder Get Jealous dabei, also viele Freunde und viele gute Bands.
Ich finde es sehr cool, dass ihr auch ein bisschen drauf achtet, dass lokale und kleine Bands mit dabei sind.
Wir wissen ja selbst, wie es früher war. Und es ist immer noch so, wir sind auch gerne Support von grösseren Bands. Es ist immer für die jeweils kleinere Band eine Riesenchance, vor einem neuen Publikum zu spielen. Wir waren diesen Sommer für ein paar Shows mit den Dropkick Murphys unterwegs, oder zum Beispiel mit Billy Talent spielen wir immer mal wieder, das ist natürlich ein Wahnsinn. Ich liebe das, weil es sind oft Bands, die man selbst hört und gut findet, das ist schon immer cool.
Ihr macht sehr vieles alleine, so richtig DIY. Wie viele Leute sind normalerweise mit euch auf Tour unterwegs?
Meistens sind wir so zu siebt oder zu acht, heute aber sogar, glaube ich, zu neunt. Da gibt es einen Tontechniker, einen Lichttechniker und eine Merchandise-Verkäuferin. Dieses Mal haben wir zwei Backliner dabei und noch einen Fotografen. Genau, wir sind zu dritt und haben meistens so vier, fünf Leute in der Crew dabei.
Also eigentlich immer noch relativ überschaubar. Wie kommt es dazu, dass ihr als deutsche Band so ein gutes Verhältnis zur Schweiz habt und auch verhältnismässig oft hier spielt?
Ja, das ist echt eine gute Frage. Uns gibt’s jetzt seit 22 Jahren und ich glaube, wir haben im ersten oder zweiten Jahr direkt schon in der Schweiz gespielt, mit kleinen, lokalen Bands. Wir waren bereits früh hier auf den ersten Festivals. Ich glaube 2007 spielten wir schon am Greenfield. Zu der Zeit waren wir halt auch viel auf MTV im Fernsehen und ich weiss noch, wie wir komplett ohne Erwartungen dahinfuhren und dachten, geil, dass wir mal ein grosses Schweizer Festival spielen können. Wir spielten am Nachmittag auf der kleinen Bühne, damals noch im Zelt, da passten so 5000 – 7000 Leute rein und es war gerappelt voll. Das konnten wir kaum fassen, das war ein völliges Highlight, völlig unerwartet.
Ja und so haben wir uns früh schön eine ziemlich gute Fangemeinde erspielt und schönerweise werden wir immer wieder auf die grossen Festivals eingeladen. Wir lieben die Schweiz total und wir fühlen auch, dass das zurückkommt. Die Shows werden immer grösser hier und das macht richtig Bock. Und dann muss man auch sagen, dass die Schweizer:innen halt schon noch ein bisschen verrückter sind, als der Rest. Auf positive Art und Weise natürlich, in der Schweiz geht es immer noch ein kleines Quäntchen durchgedrehter zu, das ist wahnsinnig.
Da merkt ihr auch Unterschiede zu den Shows in Deutschland?
Also vielleicht rede ich mir das auch nur ein. Was mir hier zum Beispiel auffällt ist, dass das Publikum manchmal auch eine Gitarrenmelodie mitsingt, das kennen wir in Deutschland so nicht. In Spanien oder vor allem in Südamerika ist das wohl auch gang und gäbe. Da waren wir jetzt zwar noch nie, aber in der Schweiz fällt uns das halt auf, das gibt’s in Deutschland nicht. Echt krass.
Gibt es irgendwas, abgesehen vom Zoll, was ihr hier in der Schweiz gar nicht ausstehen könnt oder schwierig findet?
Was ich gar nicht ausstehen kann, sind die Preise. [lacht] Ich geh tagsüber so oft es geht in der Stadt spazieren und spiele ein bisschen Tourist für ein, zwei Stunden nach dem Soundcheck. Und da hab ich mir vorhin hier in Bern zwei Espresso für, glaube ich, 9.50 Franken gekauft. In Deutschland kostet das vier oder fünf Euro. Und in Italien zwei. Das Preisniveau in der Schweiz ist schon krass hoch und wenn man nicht aus der Schweiz kommt, ist es heftig, sich hier zu ernähren oder einfach Sachen zu machen. Das ist ein bisschen schade, aber ich liebe dieses Land. Es ist einfach wunderschön und wir kommen immer wieder so gerne hier hin. Das mit dem Zoll, muss man sagen, hat sich auch gebessert, in den letzten Jahren haben sie uns endlich ein bisschen in Ruhe gelassen. Ich klopfe auf Holz, dass das so bleibt.
Also vielleicht sieht mittlerweile einfach auch der Tourbus ein bisschen professioneller aus?
Oder wir nicht mehr so abgefuckt. [lacht]
Ich habe aber tatsächlich ein wenig das Gefühl, dass viele deutsche Bands es im Moment gar nicht mehr schaffen, in die Schweiz zu kommen. Ist es wirklich auch sonst mit so hohen Kosten verbunden, für eine Band hier zu spielen?
Also, ich kenne Bands, die wollen sich den Stress mit dem Zoll nicht mehr geben. Wenn man das wirklich haargenau machen wollen würde, wie es eigentlich vorgeschrieben ist, dann lohnt sich der Aufwand nicht. Das bedeutet so unglaublich viel Bürokratie und Kosten, um überhaupt nur ins Land zu kommen. Und viele Bands sagen nee, den Stress geben wir uns nicht, da fahren wir lieber nach Österreich oder spielen Deutschland. Das gibt es echt nur hier, leider. Nur als kleines Beispiel: Man muss zum Beispiel theoretisch die Funkfrequenzen, die man auf der Bühne verwendet für Geld anmelden, dass man sie benutzen darf. Das kostet 100 – 200 Franken und das summiert sich schnell. Und das ist für viele echt schwierig.
Aber wie gesagt, sonst ist es super hier. Wir haben es halt wirklich von Anfang an darauf angelegt, uns hier einen kleinen Fankreis aufzubauen. Alle fünf Jahre einmal eine Show in der Schweiz zu spielen, das bringt nichts. Und klar, wir sind aus dem Süden Deutschlands, da ist man in zwei, drei Stunden fast überall hier. Eine Band aus Hamburg oder Berlin hat es da schon weiter. Aber wir konnten immer oft und regelmässig in der Schweiz spielen, und heute sind wir froh, dass wir immer wieder hierherkommen können.
Da ihr alles zum neuen Album «Dive» schon so detailliert im Podcast besprecht habe ich mir dazu gar keine Fragen notiert. Gibt es noch etwas, was du unbedingt zur neuen Platte sagen möchtest?
Nee, die Leute können es sich einfach durchhören und uns dann sagen, welchen Song sie speziell hervorheben möchten. Und dann schauen wir mal, ob es deckungsgleich ist mit uns. [lacht]
Sehr gut, ich schreibe einfach, alle sollen sich den Podcast und das Album anhören. Habt ihr Pläne für das nächste Jahr, die ihr schon verraten dürft? Ihr hattet angetönt, dass ihr noch ein paar Songs auf Reserve habt?
Ja, da müssen wir überlegen, was wir damit machen. Ich werde das morgen auf der Fahrt mal ansprechen, was wir denn mit diesen Songs machen, denn da gibt es tatsächlich noch ein paar. Und ansonsten weiss ich noch nicht, ob es nächstes Jahr eine eigene Tour geben wird oder vielleicht auch mal Support-Sachen. Und sicher das eine oder andere Festival. Es wird ein bisschen ruhiger als dieses Jahr, aber es wird auf jeden Fall einige Shows geben und hoffentlich auch wieder in der Schweiz.
Und wir wollen auch den Podcast irgendwie weiterführen. Da müssen wir uns noch ein cooles Konzept überlegen. Die erste Staffel, wenn man so will, war ja eigentlich einfach eine Nacherzählung unserer Karriere anhand der Alben und was wir alles so erlebt haben. Da haben wir uns ja echt auch um Kopf und Kragen gelabert. [lacht] Aber das hat total Bock gemacht. Ja und jetzt müssen wir einfach eine neue, coole Idee finden, denn das mit dem Podcast macht wirklich Spass.
Ihr macht das wirklich sehr toll, man hört euch gerne zu. Ihr scheint grundsätzlich sehr positive Typen zu sein. Wie ist so die allgemeine Aussicht aufs Leben, auf die Welt, auf den Planeten? Habt ihr noch Hoffnung?
Manchmal fällt es schwer, die Hoffnung zu behalten, aber sie zu verlieren bringt auch nichts. Wir müssen einfach alle irgendwie unseren Teil dazu beitragen, damit es nicht so sehr eskaliert, auch wenn es bei acht Milliarden Leuten nur ein sehr kleiner Teil ist. Aber man kann auf so vielen Ebenen irgendwas machen, um das abzuschwächen oder mit gutem Beispiel voranzugehen. Und so blöd es klingt, man muss echt einfach versuchen, positiv zu bleiben. Es bringt nichts, wenn man sich die ganze Zeit schlecht fühlt und alles schwarzmalt. Ja, vieles ist echt schlimm, aber vieles lässt sich so im Kleinen meist auch nicht ändern und man muss irgendwie das Beste aus der jeweiligen Situation machen. Und wir haben gelernt, dass es dann meistens irgendwie wieder geht, man kommt seltsamerweise immer irgendwie durch die Krisen durch, sie sich so im Leben stellen. Nicht nur als Band, sondern privat oder persönlich oder auf globaler Ebene. Irgendwo ist da dann doch wieder Licht am Ende des Tunnels. Da muss man dran glauben, dass es wieder gut kommt und sich halt durchboxen.
Ihr seid als Band ein gutes Beispiel dafür. So wie ihr erzählt ging ja immer mal wieder etwas schief und ihr macht einfach immer weiter.
Klar, da muss man durch. Wir sind ganz normale Menschen und die Band ist auch ein ganz normales Gebilde. Da gibt es natürlich mal Krisen oder Sachen, die schief laufen. Aber im Grunde muss man immer das Grosse und Ganze im Blick behalten. Wir dürfen unseren Traum leben und wir sind alle gesund. Wir wohnen in Ländern, wo wir nicht auf der Strasse leben oder uns über die nächste Mahlzeit Gedanken machen müssen. Es könnte alles viel, viel schlimmer sein. Wir sind alle privilegiert und dann muss man sich das auch immer wieder klar machen und positiv bleiben. Manchmal ist es schwieriger und manchmal ist es einfacher. Es bringt am Ende des Tages nichts, negative Gedanken zu haben, auch wenn sie manchmal unausweichlich sind. Deswegen muss man sich da irgendwie mit positiven Gedanken durchkämpfen.
Zum Schluss wollte ich noch kurz auf die leider sehr zahlreichen #punktoo-Geschehnisse der letzten Jahre zu sprechen kommen. Ihr habt das ja leider auch mit Justin Sane von Anti-Flag gerade sehr nah erlebt. Wie nimmst du die Szene so wahr, denkst du, es wendet sich zum Besseren in Sachen Awareness und Sensibilisierung auf solche Themen?
Ja, die Szene ist auf jeden Fall sensibilisierter dafür. Und es ist toll, dass sich das immer mehr ins Bewusstsein aller einbrennt, langsam, aber sicher. So begegnen sich die Leute auch immer mehr mit klarem Kopf und gehen viel besser auf die gegenseitigen Bedürfnisse ein. Das war früher nicht so, da hat man halt viel mehr Sachen einfach gemacht. Ich weiss nicht, ob jede Aussage auf der Bühne von uns politisch korrekt war in den letzten 20 Jahren, beziehungsweise, ich weiss genau, dass das nicht der Fall war. Aber ich denke, heute hat man da mehr Bewusstsein dafür. Ich bin aber auch der Meinung, dass man immer noch spontan sein soll und darf, wie wir es auf der Bühne ja auch sind. Und wenn dann wirklich mal ein Spruch daneben geht, dann ist auch klar, dass man sich danach dafür aufrichtig und ehrlich entschuldigt und etwas daraus lernt. Dass dieses Bewusstsein geschärft wird ist wirklich wichtig.
Aber es gibt natürlich auch sehr ernste und ernst zu nehmende Themen, da ist es auf jeden Fall gut, dass mehr Bewegung reinkommt. Auch wenn uns auf der Bühne irgendwas auffällt, dann sagen wir das. Wir haben gestern noch geposted, dass die Leute auf unseren Shows bitte auf sich aufpassen sollen und Rücksicht aufeinander nehmen. Auch das mit den T-Shirts anbehalten im Pit, das ist doch auch einfach angenehmer für alle? Ich weiss auch noch, mit 14 oder 15 auf meinem ersten Metallica-Konzert, da waren nur so bierbäuchige, langhaarige Männer ohne Oberteil um mich rum, das war ekelhaft und das ist 20 oder 30 Jahre später jetzt auch nicht angenehmer geworden. Das kann man sich schenken, da hat niemand weniger Spass, wenn man das T-Shirt anbehält, und es macht es für alle etwas angenehmer. Es ist definitiv gut, herrscht in der Szene heute und generell bei den Leuten im Kopf mehr Bewusstsein für solche Sachen.
Ein gutes Schlusswort. Hast du noch letzte Worte an eure Fans in der Schweiz?
[in perfektem Schweizerdeutsch] Ja siicher, es isch immer tipptopp bi üch. Uf wiederluege. [lacht] Du kannst das ja schön auf Schwyzerdütsch ausformulieren…
Wundervoll, danke dir vielmals für die Zeit und ich wünsche euch allen ganz viel Spass und Erfolg auf der Tour und eine geile Show heute Abend!
Danke dir und viel Spass heute Abend.
Bilder: İlkay Karakurt