3. Oktober 2017
Im Gespräch mit: Frank Iero von Frank Iero And The Patience
Zwölf Jahre lang war Frank Iero als Gitarrist und Backgroundsänger der Band My Chemical Romance unterwegs. Seit deren Ende vor vier Jahren ist er als Solokünstler tätig und aktuell mit seinem Projekt Frank Iero and the Patience auf Tour. Von wilden Gitarrenriffs begleitet, besingt der 34-jährige Familienvater auf ehrliche Art und Weise die Schweren und Tiefen des Lebens. Vor dem Auftritt im Werk21 in Zürich sprach er mit mir über die Fallschirme in seinem Leben, über seine nahen Zukunftspläne und über seinen Schreibprozess. Dabei zeigte er sich von seiner ruhigen und wohlerzogenen Seite und sammelte von Beginn an eine Menge Sympathiepunkte.
Sarah: Ich bin total nervös. Nur so, dass du vorgewarnt bist, wenn ich irgendetwas Peinliches mache.
Frank: Oh, echt? Ach, nicht nervös sein … Also, jetzt bin ich nervös.
Oje! Okay, wie läuft die Tour bis jetzt?
Bisher war alles richtig toll. Wir sind jetzt etwa zwei Wochen dabei, und ich habe das Gefühl, wann immer man auf einer Tour so weit weg von zuhause ist, sind die Tage irgendwie länger. Aber das Grossartige ist, dass die Leute, die bisher zu den Konzerten gekommen sind, echt super waren. Und die Menschen, mit denen ich auf Tour bin, sind richtig gute Freunde von mir – fantastische Musiker und einfach tolle Menschen, um sie um sich zu haben. Das hilft, um die Zeit auf positive Art zu vertreiben.
Du hast früher mit My Chemical Romance viel grössere Lokale bespielt. Wie unterscheidet sich das vom Jetzt, wo du kleinere Shows spielst?
Nun, es muss anders sein, denn es ist eine andere Band. Jedes Mal, wenn du die Bühne betrittst, ist es anders. Da gibt es keine Ein-Satz-Antwort zu dieser Frage, jede Einzelheit ist anders als jede andere Einzelheit, verstehst du (lacht).
Ich studiere Ergotherapie, und etwas, worüber wir oft sprechen, ist „Occupational Balance“. Soweit ich weiss, hast du schon bei vielen verschiedenen Projekten mitgewirkt, ausserdem bist du Vater und Ehemann – würdest du sagen, dass dein Leben im Gleichgewicht ist?
Niemals (lacht). Total aus dem Gleichgewicht. Ich befinde mich in einem konstanten Chaoszustand. Manchmal erblühe ich dadurch, manchmal ist es ein bisschen überwältigend. In letzter Zeit – ich würde sagen, im letzten Jahr – habe ich angefangen zu realisieren, dass ich unterwegs bin, seitdem ich 19 bin. Und zwar Vollzeit. Und ich habe mich unwohl gefühlt, wenn ich nicht auf Tour war. Jetzt habe ich entschieden, dass ich wohl einfach für eine Weile im realen Leben leben muss, um an diesem Gleichgewicht zu arbeiten und herauszufinden, was das alles bedeutet, diese konstante Bewegung. Das wird eine lustige Challenge. Ich werde vielleicht ausflippen (lacht) ohne diesen ständigen Tumult.
Okay, also willst du etwas komplett anderes machen, als Musiker zu sein?
Ja. Ich denke, ich werde immer kreativ tätig sein. Ich glaube, das ist etwas, das ein grosser Teil von mir ist, quasi eingraviert in meiner DNA. Aber ich denke, dass eine gute, lange Pause angebracht wäre. Und ich denke, dass das wirklich zu dem Gleichgewicht beitragen würde. Es ist schwierig, alles zu jonglieren und gleichzeitig ein Nomade zu sein. Ich habe das jetzt viele Jahre so gemacht, ich weiss nicht, ob ich es anders kann. Ich werde versuchen, das herauszufinden (lacht).
Bereust du es denn manchmal, alles auf die Musik gesetzt zu haben?
Nein. Ich denke, sogar die schlechten Erfahrungen, die du machst, führen dich zu der Person, die du heute bist, an dem Ort, an dem du jetzt bist. Ich habe eine grossartige Familie, eine grossartige Karriere, ich habe mehr getan, als manche sich je erträumt haben. Und nicht für eine Sekunde verlässt mich dieser Segen. Also nein, ich denke, von hier an ist es einfach ein neues Kapitel.
Zu „Parachutes“: Ich mag die Art, wie du das Album beschrieben hast – dass jeder seine Fallschirme braucht, die einen vor dem Fallen bewahren. Was würdest du sagen, was sind deine Fallschirme?
Familie, Kunst, die Geschichten, von denen ich ein Teil war … Ich denke, das ist die Sache mit so einem Fallschirm, er rettet uns nicht oder verhindert, dass wir auf dem Boden aufprallen – er lässt uns einfach etwas länger schweben. Und manchmal ist es Konstanz – wie die Familie, die Kinder, das, worin du Leidenschaft entdeckst – und manchmal sind es einfach Dinge, die schnell sind. Jemanden, den du triffst, auf Tour, und eure Wege verbinden sich für nur fünf Minuten. Diese Dinge sind irgendwie … Wie Montagswunder: Unsere Wege zum Beispiel kreuzen sich jetzt gerade, während wir diese Unterhaltung führen. Gibt es einen Grund dafür? Ich weiss es nicht. Aber irgendetwas auf dem Weg, was sowohl du als auch ich gemacht haben, hat uns zu diesem Moment geführt. Zwei Menschen, die sich wahrscheinlich nie hätten treffen sollen – in unterschiedlichen Ländern lebend, in unterschiedlichen Gesellschaften, aufgewachsen in unterschiedlichen Zeiten unter unterschiedlichen Umständen – wieso sind wir hier? Ich weiss es nicht. Ein kleines Wunder, nicht?
Die Lyrics auf diesem Album sind sehr persönlich und intim. War es schwierig, so offen zu sein bei den Dingen, über die du sprichst?
Das ist es. Aber die Alternative wäre, zu lügen und zu versuchen, sich vor seiner Wahrheit verstecken zu wollen. Und ich habe das Gefühl, wenn du die eine Chance hast, Grossartiges zu erreichen oder Grossartiges anzustreben, eine Platte aufzunehmen, auf welche du stolz sein kannst vom Moment des Erschaffens bis zu deinem Todestag, dann must du diese Chance wahrnehmen und so ehrlich und offen wie möglich sein. Ich denke, wenn du versuchst, dich zu verstecken und Dinge irgendwie zu verschleiern, könntest du nicht auf ganzer Linie so stolz sein. Und sogar wenn es den Leuten gefällt, dass du alle an der Nase herum geführt hast, würdest du dich trotzdem leer fühlen.
Gab es jemals einen Song, bei dem du das Gefühl hattest, du könntest ihn nicht veröffentlichen, weil er zu persönlich war?
Ja, diese Momente hat man auf jeden Fall. Du denkst: Mann, soll ich das jetzt wirklich sagen? Das ist eine Wegkreuzung. Manchmal musst du machen, was gemacht werden muss, und manchmal denkst du: In Ordnung, das ist zu hart für jetzt gerade. Und du bewahrst es auf und vielleicht machst du es später einmal. Aber da gibt es Songs wie „9/6/15“ [ein Song, den er für seinen verstorbenen Grossvater geschrieben hat], die ich noch nie live gespielt habe, und vermutlich werde ich das auch nicht. Ich bin froh, dass es da draussen ist, ich glaube, er ist stolz darauf – aber dazu im Stande zu sein, aufzustehen und ihn jeden Abend zu performen – das könnte ich nicht.
Wenn sich Menschen deine Songs anhören, dann kreieren sie ihre eigenen Bedeutungen dazu.
Richtig.
Wie fühlt sich das für dich an?
Ich habe früher gedacht, dass das komisch ist. Und dann habe ich angefangen zu realisieren, dass dies die Endstufe von Kunst ist. Wo du die Kontrolle abgibst über etwas, das du gemacht hast, und es hinaus in die Welt sendest. Dann nehmen es die Leute hoffentlich und machen es sich zu eigen. Und benutzen dies dann als Inspiration, um etwas aus den Aschen zu kreieren. Das ist alles Teil des Zyklus’: Wir verbrennen die Vergangenheit und erschaffen etwas Neues. Und das geht weiter und weiter und weiter. Das ist dieser Welleneffekt, dass ist Unsterblichkeit, das ist es, was Kunst sein sollte. Also, es ist noch immer komisch, aber ich habe mich daran gewöhnt, ich bin jetzt mehr angetan davon (lacht).
Wie sieht denn der Schreibprozess aus?
Puh, weisst du, da gibt es kein Schwarz und Weiss, das ist super-grau. Manche Dinge beginnen mit nur einer Line, manche mit einer Melodie, manche mit einem Drumbeat – es könnte irgendetwas sein. Ich habe das Gefühl, dass ich am meisten Erfolg habe, wenn ich dieser offene Kreis bin, der Inspiration annimmt und sie durch sich hindurchfliessen lässt und versucht, nichts auszublenden. Das Schlimmste für mich ist, wenn ich Inspiration nehme und versuche, diese zu formen und denke: Nein, das muss sich so und so anhören. Dann geht es schief. Man muss es irgendwie einfach durch sich hindurchfliessen lassen, und was immer der Moment bringt – go for it. Auch wenn es sich scheusslich und sonderbar anfühlt, nicht nach dir – du musst es sein, denn es ist von dir gekommen. Ich kann mir selber aus dem Weg gehen. Danach sieht es aus – ich, wie ich mir selber aus dem Weg gehe. Und versuche, nicht hinzufallen.
Hattest du jemals eine Schreibblockade?
Ja und nein. Ich habe das Gefühl, dass wir alle diese Momente haben, wo einfach nichts funktioniert. Wo man irgendwie weglaufen muss. Ich glaube, deshalb habe ich so viele Projekte. Wann immer ich eine Blockade bei etwas kriege, dann springe ich einfach zum nächsten. Und normalerweise hilft das irgendwie, denn Dinge auf eine andere Art und aus anderen Augen zu betrachten, kann eine Tür öffnen, die irgendwie diese andere auch aufsprengt. Und ich benutze dieses Inspirations-Vor-und-Zurück als eine Art Pendel. Aber manchmal gibt es Zeiten, in denen alles ruht, und ich denke dann: Oh Mann, keine Arbeit heute! (lacht) Aber ich habe das Gefühl, man muss diesen Problemen Gehör schenken. Manchmal musst du es dir mühsam erkämpfen und dich da durch sprengen, und manchmal musst du es einfach bleiben lassen. Songs sind sowas wie Liebschaften: Du triffst Menschen auf dem Weg, bei denen etwas da ist, und es wäre verdammt gut, aber jetzt ist einfach nicht die richtige Zeit dafür. Also stellst du es in ein Regal, und hoffentlich trefft ihr euch wieder irgendwann in der Zukunft. Aber wenn du es erzwingen würdest, würdet ihr beide ziemlich unglücklich enden. Sowas in der Art…?
Okay, letzte Frage: Wenn du deine Musik in drei Worten beschreiben müsstest – welche Wörter würdest du wählen?
Ähm, lass mal sehen. Nun, ich würde sagen sie ist ehrlich … feinfühlig … und kraftvoll.
Ja, das hört sich prima an!
Interview: Sarah Rutschmann