19. November 2018
Im Gespräch mit: Zak Tell (Gesang und Gitarre) von Clawfinger.
Sie sind wieder da! Nach vielen Jahren, in denen es um Clawfinger still geworden war, melden sich die Schweden zurück: Zur Feier des 25-Jahr-Jubiläum ihres Erfolgsalbums „Deaf Dumb Blind“ begeben sich die Vorreiter der Crossover-Szene auf Tournee, darunter auch zwei Auftritte in der Schweiz.
Zak: Sehr gerne. Ich bin ein bisschen verkatert (lacht). Am Freitag hatte ich Geburtstag, es war also ein Partywochenende. Ansonsten geht es mir gut. Ich bin gerade Zuhause in Schweden und trinke Tee (lacht).
Wir haben letztes Wochenende in Berlin, Bochum und Hamburg gespielt. Deswegen ist mein Koffer immer noch gepackt. (lacht) Wir spielen nur an den Wochenenden, es ist keine Tour, wo wir wochenlang mit dem Tourbus unterwegs sind. Stattdessen machen wir einfach lange Wochenenden daraus – wir werden halt alle alt!
Ja, das habe ich gesagt. (lacht)
Ähm ja, meinen Snus! Wenn du weisst, was das ist? Es ist ein Kautabak, den man sich unter die Lippe steckt, sehr verbreitet hier in Schweden. Den kann man nirgendwo sonst kaufen, deswegen habe ich ihn immer mit dabei.
Oh okay, das kann sein. In manchen Ländern findet man Variationen davon. Aber im Ausland ist eh keiner so gut wie der Schwedische (lacht).
Auf die Shows würde ich sagen? Schon die Energie an den vergangenen Events war unglaublich, wie an einer grossen Party. Es fühlt sich irgendwie so an, als hätten die Leute uns vermisst. Das ist ein schönes Gefühl. Die Message, die wir verbreiten wollen ist, dass unsere Texte zwar ernst sind, man an unseren Shows aber trotzdem eine gute Zeit haben und lachen kann. Das Eine schliesst das Andere nicht aus.
Wir waren schon so oft in der Schweiz. Unser Manager ist Schweizer. Das erste Mal, als wir in der Schweiz spielten, ich glaube es war 1993, waren wir die Vorband von Anthrax. Damals war er unser A&R von Warner Music. Weil wir ihn so mochten, beschlossen wir, dass wir ihn als Manager haben wollten. Da war also durch ihn immer eine Verbindung mit der Schweiz da. Zudem denke ich, dass sich die Schweizer und die Schweden sehr ähnlich sind.
Unter der Woche sind beide seriös, gehen arbeiten. Am Wochenende hingegen gehen sie feiern. Sowohl die Schweizer als auch die Schweden wirken teilweise reserviert, nicht wirklich offen. Wenn sie es aber wollen, dann sind es beide sehr! Das kann man zwar über viele Länder sagen, aber in der Schweiz haben wir das jeweils besonders wahrgenommen. Hier haben wir uns immer Zuhause gefühlt.
Klar machen wir eine kleine Party, es wird aber niemals mehr das Gleiche sein, wie wenn du 20 oder 25 Jahre alt bist – was ja auch gut ist. Wir machen eine Party, wie sie 50-Jährige eben feiern (lacht).
Das ist genau gleich wie bei 20-Jährigen, einfach ein bisschen langsamer und nicht so lange, wir gehen ein wenig früher zu Bett (lacht). Ansonsten feiern wir aber nicht wirklich, dafür geben wir ja Konzerte.
Natürlich. Ich hätte das niemals geglaubt, wenn mir das einer vor 25 Jahren gesagt hätte. Es ist echt merkwürdig, weil es sich gar nicht so anfühlt, als wären es 25 Jahre. Wir waren so beschäftigt, Konzerte zu geben und andere Dinge im Leben zu machen, da befasst man sich nicht wirklich mit der Zeit. Bis schliesslich einer sagt: „Wow, das war vor 25 Jahren!“ Und dann denkst du nur: „Ach du Sch****, wie zur Hölle konnte das passieren?“
Dass wir immer noch Publikum haben. Das ist absolut grossartig. Manchmal sind es weniger Zuschauer, manchmal mehr. Aber das spielt keine Rolle, wir spielen einfach für die Leute, die kommen.
Plant ihr schon euer 30. Jubiläum?
Hm, ich weiss es nicht. Wir denken darüber nach. Keine Ahnung, ob wir das dann auch machen. Ich weiss ja nicht, wie das Leben weitergeht, ich bin ja nicht Nostradamus.
Offenbar ist unsere Musik originell, wir sind ja nicht die einzigen, die in einer Band spielen. Wir sind zwar nicht mehr so aktiv wie früher, haben aber immerhin sieben Studienalben herausgegeben und fast 20 Jahre lang getourt. Aber ich bin stolz darauf. Wir haben etwas geschaffen, das den Leuten etwas bedeutet. Ich möchte jedoch verhindern, dass mir dieses gute Gefühl zu fest in den Kopf steigt. (lacht)
Es ist schon ein bisschen kompliziert. Das Lustige daran ist aber, dass wir schon Jahre zuvor aufgehört haben, Musik zu machen. Unser letztes Album wurde 2007 veröffentlicht, bisher haben wir kein Neues herausgegeben, keine Tourneen mehr gemacht und Auftritte hatten wir nur vereinzelt an Festivals. Ich weiss auch gar nicht, warum wir das Jahr 2013 als unser Auflösungsjahr bezeichnen.
Es würde keinen Sinn machen, wenn wir niemals mehr was miteinander machen würden, auch wenn wir das 2013 so sagten. Clawfinger ist ein Teil von uns. Da kann man nicht einfach wegspringen, wie man es von einem fahrenden Zug könnte.
Wir haben Ideen, die uns im Kopf herumschwirren, machen uns aber keinen Stress daraus. Alles kann passieren. Der Unterschied liegt einfach darin, dass wir uns nicht in einer Aufnahme-Falle befinden.
Wenn man eine Band ist, dann gerät man in einen Kreislauf, wo man ein Album aufnimmt, veröffentlicht und auf Tour geht. Dieser Zyklus wiederholt sich ständig. Alle erwarten, dass du wieder ein neues Album aufnimmst und dann wieder auf Tournee gehst. Da hat man einen Vertrag, der dich dazu zwingt, diese Dinge zu tun. Das haben wir nicht mehr und darüber bin ich sehr glücklich. Manchmal dachte ich, dass wir zu etwas gezwungen werden, von dem wir nicht mal wussten, was wir genau machten. Das hat keinen guten Einfluss auf die Kreativitätsphase einer Band.
Wir haben Ideen und ich bin sicher, wir veröffentlichen irgendwann eine EP oder eine Single. Vielleicht auch ein Album, aber das können wir jetzt nicht sagen. Wir haben alle Jobs, die fordern unsere Zeit.
Ich betreue an einer Schule Viertklässler in ihrer Pause. André Skaug, unser Bassspieler, ist Zimmermann und unser Gitarrist Bård Torstensen macht viele ehrenamtliche Jobs. Zum Beispiel hilft er Flüchtlingen in seiner Heimat Norwegen. Unser Drummer Micke Dahlén spielt mit einigen anderen Schwedischen Künstlern zusammen, er ist sozusagen Profimusiker. Und Keyboarder Jocke Skog produziert für andere Bands, vor allem für härtere Metal- und Trashbands.
Viele Leute wissen nicht, dass Rammstein 1995 unsere Vorband waren. Und sie wissen nicht, dass Rammstein 1993/1994 unseren Produzenten Jacob Hellner für ihr erstes Album ausgewählt hatten. Sie mochten den Gitarrensound auf unserem Album „Deaf Dumb Blind“. Wir kennen die Jungs schon seit damals. 2001 waren wir ihre Vorband auf deren Europatournee.
Wir liessen die Texte zuerst übersetzten, weil wir sicher sein wollten, dass sie keine Nazis sind, was wir oft gehört hatten. Natürlich sind sie das Gegenteil, aber sie spielen halt mit dem rollenden „R“ in der deutschen Sprache und den ganzen Uniformen. Viele Leute dachten deshalb, dass sie Faschisten seien.
Oh, ich bin echt die falsche Person, die du dazu fragst! Ich habe keine Ahnung. Zumindest habe ich nichts davon gehört. Sie bringen ja demnächst ein neues Album heraus. Vielleicht bekommen wir ja noch eine Anfrage, ansonsten wählen sie halt jemand anderes.
Es wurde zum Geschäft. Die Künstler wurden immer mehr zu Hitmacher-Maschinen. Es wurde alles kommerzieller und ich finde, es hat weniger Herz darin. Das wäre meine spontane Antwort auf diese Frage. Aber es gibt immer noch gute Bands da draussen, es gibt aber auch viel Schei***. Viele Künstler interessieren sich für nichts mehr ausser Geld – Glitzer, Gold und Glamour eben. Und das ist verdammt langweilig! (lacht).
Das Problem ist ja nicht Spotify an sich. Das Problem sind die Plattenfirmen, die all die Regeln machen. Spotify kann daran nichts ändern. Ansonsten ist es einfach das, was es ist: Eine Streaming-Plattform. Als wir mit Clawfinger angefangen haben Musik zu machen, gab es sowas noch nicht. Es gab keine MP3-Files, kein Youtube – nichts davon. Deswegen hat es auch aufgehört, dass wir von der Musik leben können. Die Leute kaufen keine Alben mehr, wie sie es in den alten Zeiten gemacht haben. Aber man muss mit der Zeit gehen können. Es ist eine technische Evolution, die Dinge ändern sich.
Die ganze Zeit, ja! Ich habe ganz viele Playlists.
Zusammenfassend sage ich: Es gibt so viele gute Musik, man muss sie nur finden und sich Zeit nehmen, sie zu hören.
Nein, eigentlich hat es uns nicht wirklich belastet. Die Mehrheit der Leute verstand ja die eigentliche Bedeutung der Lyrics. Eigentlich haben es nur diejenigen missverstanden, die nur auf den Refrain gehört haben. Es gab auch einige Rechtsradikale und Nazis, die den Song falsch interpretiert hatten und dachten, dass es ein rassistischer Song ist. Sie dachten wohl, dass „Nigger“ ein Song ist, den sie für ihre Zwecke nutzen konnten. Aber sie realisierten schnell, dass dem nicht so war und wir gegen diese Einstellung sind. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass der Song uns daran gehindert hat, dass wir in den Staaten erfolgreich wurden.
Nein, nicht wirklich. Wir waren ohnehin in Europa so sehr mit der Band beschäftigt, dass es uns nicht wirklich störte. Wenn jemand in unserer Band eine dunkle Hautfarbe gehabt hätte, dann wäre es wahrscheinlich kein Problem gewesen. Weil wir das aber alle nicht sind, duften wir so etwas nicht sagen und keine Plattenfirma wollte etwas mit uns zu tun haben. Aber ja, das ist interessant und es sind Dinge, die du im Leben lernst.
Wahrscheinlich nicht, nein. Die Zeiten haben sich geändert. Heutzutage herrscht eine neue „political correctness“. Ich war 21, als ich den Song „Nigger“ schrieb. Damals stand ich total auf Public Enemy und einige andere dieser Rapbands und bezeichnete mich zudem als Punk. Der Song war ein Mix zwischen Hip-Hop und provokativem Punk.
Naja, es ist ziemlich einfach, einen Hass-Song über Präsident Trump zu schreiben. Er ist ein verd****** A********! Es geht im Song darum, wie falsch es ist, Mauern zu bauen und Menschen auszuschliessen. Das macht die Welt zu keinem besseren Ort. Er will die Leute davon abhalten, gute Leben zu leben. Er kümmert sich nur um diejenigen, die bereits alles haben. Er interessiert sich überhaupt nicht dafür, ob die Leute arm sind oder mit anderen Problemen zu kämpfen haben.
Ja, leider. Er ist nicht der Einzige. Es scheint eine neue Welle von rechtsradikalen, faschistischen Anführern aufzukeimen. Der Song handelt nicht nur von ihm, er handelt von Leuten, die so sind wie er. Aber es ist einfach, ihn als Referenz für den Song zu benutzen, weil er ein offensichtlicher Idiot ist. Leider haben wir auf der ganzen Welt diese rechtsradikalen Tendenzen. Aber ich bin der Meinung, dass die Dinge zuerst schlecht werden müssen, bevor sie besser werden können. Ich hoffe es. Vielleicht müssen wir eine Lektion lernen, vielleicht hat es sogar einen Grund dafür. Wer weiss das schon. Oder es liegt an der Rasse Mensch generell und wir machen uns selber kaputt, weil wir so dumm sind.
Ich bin nicht gerade positiv eingestellt. Ich glaube, die Menschheit hat sich überschätzt. Wir sind nicht so schlau, wie wir es zu denken pflegen (lacht trocken). Der technologische Fortschritt und all das bringt überhaupt nichts, wenn wir die Grundwerte nicht verstehen und es nicht auf die Reihe kriegen, gegenseitig aufeinander aufzupassen. Dagegen kann ich aber nicht viel machen, ausser Songs in meiner bekloppten Rockband zu schreiben (lacht).
Auf jeden Fall ja. Ich glaube auch, dass man die Leute auf andere Gedankenwege bringen kann. Musik alleine kann die Welt nicht retten, aber sie kann den Menschen positivere Energie geben. Das einzige, das wir tun können, ist unser Bestes zu geben. So lange du das versuchst und dabei Herz zeigst, kannst du nicht komplett versagen. Ausser, du bist eben ein riesiges A********.
Du kannst den Satz gerne behalten! (Lacht) Ich danke dir und ich hoffe, du kannst etwas anfangen mit all dem Stuss, den ich erzählte (lacht).
Aber natürlich! Das war sehr interessant mit dir. Ich wünsche dir alles Gute und viel Spass bei den folgenden Shows!
Text: Andrea Germann