Datum: 10. Februar 2012
Ort: Kaufleuten – Zürich
Geschrieben von: Nicole Imhof
Im Gespräch mit: Bela B. Felsenheimer von die ärzte
Jetzt ist sie da! Nicht nur die „zeiDverschwÄndung“, sondern auch „auch“ kommt am 13. April in die Plattenläden. die ärzte sind zurück und erfreuen sich noch immer grosser Beliebtheit, als wäre keine Zeit vergangen oder gar verschwendet worden. Und deshalb haben wir gleich beim Graf persönlich angeklopft und unsere Fragen gestellt.
An dieser Stelle aber erst noch ein herzliches Dankeschön an den Gesprächspartner. Redegewandt wie immer hat Mister Bela B. Auskunft gegeben und deshalb hier ganz viele Informationen für euch auf einmal. Nehmt euch die Zeit und lest selber, was uns Bela B. zu berichten wusste.
Nicole: Hallo Bela. Legen wir gleich mit den Fragen los. Gibt es ein Lieblingsstück von dir auf der neuen Platte?
Bela B.: Das kann ich noch gar nicht sagen, denn das kristallisiert sich immer erst heraus, wenn man auf Tour damit ist. Und wir werden ja dieses und nächstes Jahr auf Tour sein. Womit gleich die Frage, ob wir uns nächstes Jahr vielleicht auflösen, beantwortet ist. Nein, uns gibt es auch nächstes Jahr noch. Und da werden wir sicher etwa 10 der neuen Stücke spielen.
Ihr spielt ja immer sehr lange, auch schon mal bis zu drei Stunden. Da liegen evtl. auch alle Songs drin?
Ja stimmt. Aber die werden wir sicher nicht alle in einem Set spielen. Dafür haben wir mittlerweile einfach zu viele Platten. Auf alle Fälle weiss ich im Anschluss sicher, welche der neuen Stücke mir vom spielerischen her am meisten zusagen.
Für diese Platte haben wir übrigens die Songauswahl zusammen gemacht. Und von den 43 Songs die wir geschrieben hatten, haben wir uns dann einstimmig für diese entschieden. Wir waren also sehr kreativ und es war nicht einfach zu entscheiden, welcher Song rausfliegt oder nicht. Wir haben jeweils drei Stücke ausgesucht die wir alle gut fanden und die haben wir dann binnen 2 Tagen eingespielt. Danach die nächsten drei und so weiter und so fort. Am Ende hatten wir dann gut 24 Songs zusammen. Dann ging nichts mehr.
Anschliessend ging die gleiche Prozedur mit der Running-Order auf der Platte los. Doch durch unser erstes Auswahlverfahren waren wir zum ersten Mal in der Geschichte von die ärzte in der aussergewöhnlichen Lage, dass von jedem von uns etwa gleich viele Songs auf dem Album sind.
Zum Schluss hat dann Farin Urlaub allerdings noch darum gekämpft, dass „Cpt. Metal“ mit aufs Album kommt. Der war eigentlich für die EP geplant, doch da hat sich Farin so dafür ins Zeug gelegt, dass er doch noch dazu kam. Und deshalb ist von Farin ein Song mehr auf der Platte. Dafür ebenfalls zum ersten Mal ein Lied von mir als erstes auf EP.
Du bist selber ja ein grosser Reimer und die deutsche Sprache ist euch sehr wichtig. Die Wortspielereien sind immer wieder unterhaltsam und spannend. Warst du eigentlich in der Schule bereits so gut in Deutsch oder wie hat sich das entwickelt?
Ich war ganz gut. Ich bin halt ein Gesamtschulopfer. Als ich in die Oberschule kam, ab der 7. Klasse, da hat meine Mutter meine Schwester (ich hab eine Zwillingsschwester) und mich auf die Gesamtschule geschickt, weil sie als Alleinerziehende arbeiten musste. Leider hat das Konzept Gesamtschule nie wirklich funktioniert. Eigentlich sollten die guten Schüler, die schlechten mitziehen, doch das umgekehrte war der Fall. Und da gab es die Jungs, die immer die anderen verkloppt haben, gut im Sport waren, aber nicht in der Schule. Dafür zumindest war ich damals ganz gut in Deutsch.
Ich mag halt Sprache, Ausdruck. Und immer, wenn ich mit dem Texten anfange, setze ich mich besonders mit ihr auseinander. Unsere Vorbilder waren ja nicht umsonst Willhelm Busch oder Dr. Erika Fuchs, die kongeniale Übersetzerin der Donald Duck Comics, die dafür sogar Preise gewann. Sie hat bei diesen Übersetzungen die deutsche Sprache nicht nur gebeugt, sondern auch bereichert, schöne neue, bildliche Ausdrücke erfunden. Auch die Comedian Harmonists, die Farin und ich unabhängig voneinander entdeckt hatten, waren sehr prägend für uns.
Du kannst ja nicht nur Herz, Schmerz und Leid singen, das wäre ja doof. Aber ich habe ein gutes Beispiel dafür. Da gibt es diese Band „Kraftklub“, von denen ich irgendwann mal deren erste EP erhalten habe, die hat mich allerdings nicht wirklich gekickt. Zuviel Hip-Hop mit Disco und Rock und die Texte hatten mich nicht umgehauen. Es gibt da aber diese Band K.I.Z., die ich ganz gut finde und ich weiss, ich schweife ab, aber die beste Textzeile aus deren letztem Album war „…ich weiss, das ist weit hergeholt, wie die Kinder von Madonna“. Das war so abgedreht, da musste ich mit dem Auto erst mal rechts ranfahren vor Lachen.
Zurück zu „Kraftklub“, die haben dann ihre Songs und Texte fürs Album noch mal überarbeitet. Das war dann echt der Hammer. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Total grossartig. Und das hat mir wieder gezeigt, wie gut man mit der deutschen Sprache arbeiten kann.
Was ist für dich Zeitverschwendung?
Oh.., alle Menschen vergeuden zu viel Zeit vor dem Computer natürlich. Auf der einen Seite gibt es ja nun den Song „Bettmagnet“ und darin beschreibe ich diese träge, faule Zeit vor dem Fernseher. Man schaut sich irgendwelche Sendungen an und bestellt sich Essen dazu. Doch auf der anderen Seite kann so was nach einem anstrengenden Tag durchaus angenehm sein und bereue ich dann auch nicht. Einfach mal nichts machen und geniessen.
Allerdings im Internet, da klickst du rum und schweifst ab und irgendwann landest du auf youtube und schaust dir dort alle möglichen Filme an. Oder du schreibst jemandem eine Email und der antwortet sofort darauf. Und dann schreibst du hin und her und am Ende nur noch in einzelnen Sätzen, wie in einem Chat. Und plötzlich sind drei Stunden rum.
Der Computer ist definitiv ein Zeitverschwender. Mittlerweile hat man den PC auch immer mit dabei und prüft seine Mails regelmässig. Die ewige Erreichbarkeit zwingt auch zur permanenten Auseinandersetzung mit allem. Da geht ne Menge Zeit drauf, die mehr Qualität haben könnte.
Nach 30 Jahren Bandgeschichte, verliert man da nicht ab und zu den Überblick?
Also 5 Jahre dazwischen waren wir ja getrennt und zum Glück hatte ich rechtzeitig damit angefangen Sport zu treiben und mich nicht so hinzurichten, dass ich nichts mehr mitbekommen hätte. Gut, die 80er Jahre waren schon ziemlich wild bei mir. Und in den 90ern habe ich auch nicht wirklich viel ausgelassen. Aber ich habe ein gutes Gedächtnis und weiss glücklicherweise noch das Meiste unserer Geschichte und manche Sachen kommen mir so vor, als wären sie gerade eben passiert.
Eine Band ist auch immer etwas, das fotografisch dokumentiert wird. Die eine oder andere Modesünde davon habe ganz bestimmt ich begangen, während Farin schon lange dazu übergegangen war, nur noch schwarze Klamotten zu tragen.
Was ist für dich heute, 2012, noch Punk?
Was ist noch Punk, das ist ne Frage… hmm… Also wir sind eine absolut selbstbestimmte Band. Das ist in unserer Grössenordnung sicher so etwas wie Punk.
Aber abgefahren ist, dass man musikalisch gar keine Erwartungen hat an die ärzte. Grundsätzlich sind wir alle Melodie-Junkies. Aber ob das jetzt in Form von Punk-Rock, Disco, Pop, Weltmusik oder Metal ist, spielt eigentlich keine Rolle. Wie bedienen uns bei allen Stilen und ich denke, das ist wahrscheinlich die zufällige Erfolgsformel dahinter.
Und die Frage, was Punk ist, die habe ich z.B. im Lied „Punk ist“ aus dem Album 13 beschrieben und das hat auch heute noch seine Gültigkeit. Was Punk-Rock nie sein wollte ist sicherlich Nostalgie. Deshalb kotzen mich all diese Revivals so an. All jene Bands, die mal 10 Platten verkauft haben und nun nochmals mit dem gleichen Album auf die Bühne gehen müssen und nichts Neues in der Zwischenzeit gemacht haben. Das nervt mich irgendwie. Zumindest, wenn das Comeback nichts wirklich Neues bringt.
Ihr habt mittlerweile sogar eine eigene App habe ich gesehen.
Ja, ja… aber das muss ich auf unseren Manager schieben. Wir haben schon seit einer Weile unsere eigene Plattenfirma und logischerweise hat jede Firma heutzutage ihren eigenen Internet-Experten. Da kommen dann immer so irre Ideen und Sachen für unsere Webseite. Wir haben einige Ideen, aber da wird uns auch viel vorgeschlagen. Bei den Apps haben wir am Ende sogar mitgearbeitet und unsere Ideen eingebracht.
Ihr wurdet bereits rundherum vermarktet. Es gibt nicht nur diese Biographie von euch, sondern auch eine Unzahl an Fanartikeln und und und. Action-Figuren gibt es allerdings noch keine von euch oder was fehlt noch? Und ist es nicht seltsam, wenn man solche Artikel von einem selber sieht?
Na ja, wir versuchen das schon so weit wie möglich zu kontrollieren und in Grenzen zu halten. Es gab z.B. immer wieder Anfragen für Filmproduktionen über oder mit uns. Denen haben wir bisher nicht zugestimmt, denn wir möchten die Kontrolle bei uns behalten. Und so ist es auch mit dem Merchandising, da kommen immer wieder Angebote und Anfragen.
Es gab tatsächlich diese Idee für Action-Figuren. Und wenn es nach mir ginge, hätten wir längst welche. Die anderen beiden sind allerdings nicht so begeistert davon. In den 90ern gab es mal kleine Statuen von uns zu kaufen. Die waren ganz lustig, aber auch nicht mega aufregend. Vielleicht kann ich die beiden ja noch überreden.
Die kommende Tour ist bereits fast ausverkauft. Wie empfindest du das, ist das mittlerweile Normalzustand oder was denkst du dazu?
Es freut mich natürlich total und ich bin überaus dankbar, dass die Fans dieses Vertrauen in uns haben. Aber es ist tatsächlich völlig abnormal und auch ein bisschen unheimlich. Wenn ich daran denke, wie ich mich Solo abrackere und arbeite und bei dä genügt eine Ankündigung und die Leute kaufen die neue Platte, bevor sie sie überhaupt gehört haben. Und der Punkt, dass die Konzerte immer so schnell ausverkauft sind, führt auch bereits dazu, dass die Leute die Tickets möglichst schnell kaufen. Und so wird das immer mehr und mehr. Die Erfolgsmaschine könnten wir nur mit einem wirklich schlechten Album und lustlosen Ein-Stunden-Konzerten aufhalten, aber dazu sind wir noch nicht bereit.
Dann zum Schluss vielleicht noch die letzten Worte von dir, bevor die Welt untergeht Ende Jahr?
Genau, am 21. Dezember, laut Maya-Kalender. Also ich würde gerne am 22. Dezember eine Lesung meines Hörbuchs (a.d.R. Exit Mundi) machen. Wir, mein lieber Herr Frank und ich, sind tatsächlich gerade am Überlegen, ob wir an dem Tag so was machen sollen. Mal sehen. Alleine diesen Termin anzukündigen, das fände ich schon ein Statement.
Ich bin ganz fest der Meinung, dass an diesem Tag auch viele unschöne Dinge passieren werden. Nur schon deshalb, weil der Mensch zum Dramatisieren neigt. Aber vor dem Maya-Kalender selbst habe ich keine Angst.
Da bin ich aber beruhigt. Danke dir vielmals für das Gespräch.
Danke ebenfalls.
PS: Übrigens, die fast 3 Stunden, die ich für das Abtippen der 25 Minuten und 15 Sekunden Audio-Material benötigt habe, waren in keiner Weise verschwendete Zeit.
Album „auch“ – VÖ 13.4.2012
1. Ist das noch Punkrock? 3:00
2. Bettmagnet 3:08
3. Sohn der Leere 3:43
4. TCR 3:44
5. Das darfst du 3:21
6. Tamagotchi 3:07
7. M&F 4:16
8. Freundschaft ist Kunst 3:23
9. Angekumpelt 2:35
10. Waldspaziergang mit Folgen 3:27
11. Fiasko 2:45
12. Miststück 3:40
13. Das finde ich gut 2:27
14. Cpt. Metal 4:36
15. Die Hard 2:20
16. zeiDverschwÄndung 3:00