Dead Oceans / VÖ: 1. September 2023 / Shoegaze
slowdiveofficial.com
Text: Michael Messerli
Willkommen zurück in der Zukunft: 22 Jahre nach «Pygmalion» gab es 2017 plötzlich wieder eine Zeit für Slowdive. Shoegaze hatte zwar eine eher kurze Hochphase, diese reichte aber aus, um Bands bis heute zu prägen. Und während man die Stilmittel von damals wieder aufgreift, versuchen Slowdive, sie in die Zukunft zu übersetzen. Mit modularen Synthesizern und nicht mit digitalen Tools, denen manchmal wahlweise entweder die Fantasie oder die Seele fehlt. Es fühlt sich popkulturell vielleicht auch deshalb oft so an, als würde der Zeitgeist von früher in unseren hochdigitalisierten Lebenswelten spuken. Slowdive sind jedoch keine Gespenster und «Everything Is Alive» nicht aus der Zeit gefallen. War in den 1990ern bereits «Pygmalion» weit weg von «Souvlaki», ist auch «Everything Is Alive» kaum mit dem selbstbetitelten Comeback-Album vergleichbar. Festmachen lässt sich das alleine schon an der feingewobenen Electronica, welche dieses Album zusammenhält.
Freude am Experiment hatten Slowdive schon immer. Sie sind unfreiwillige Expert:innen im sich Zeit lassen. Ihr verträumter Shoegaze ist gleichermassen offen wie introspektiv, die instinktive Atmosphäre trägt einen bereits mit dem Opener «Shanty» weg. Die ersten drei von acht Songs zeigen auf, wie breit gefächert Slowdive sind. Das instrumentale «Prayer Remembered» macht schon beim ersten Hören den Eindruck eines fliegenden Teppichs, mit dem man unverwüstlich zu den schönsten Plätzen schweben kann – und keiner davon befindet sich am Boden. Danach folgt mit «Alife» eine Art Hit, dessen Schwester im Geiste («Kisses») bereits im Vorfeld als Single ausgekoppelt wurde.
Slowdive überraschen jedoch eher mit «Andalucia Plays», das ein Verbindungsstück zwischen Folk und Shoegaze sucht. Das ist wunderbar produziert und das Album sowieso mit einem grandiosen Klang versehen. Es ist aber auch der Moment, während dem man kurz rausgerissen wird aus diesem organischen Hall, der einen umweht und auch langfristig nicht wieder in seinen Alltag entlassen will. Ein Song wie «Chained To A Cloud» bringt hierfür nicht nur den programmatischen Titel, sondern auch gleich alle Voraussetzungen mit. Und so ist «Everything Is Alive» ein Album, das über sich selbst hinauswächst, was man nicht zwingend als Wertung verstehen muss – auch weil es mehr ist, als eine Summe vieler Teile.