Eigenveröffentlichung / VÖ: 1. November 2024 / Punk
sbdb.ch
Text: David Spring
Wir wissen alle, Deutschland ist die derzeitige Wiege des gepflegten, intelligenten und aussagekräftigen Punkrocks. Ganz Deutschland? Nein! Denn eine Gruppe von unbeugsamen Musiker:innen hält unser kleines Land wacker auf dem Parkett und an der Speerspitze des deutschsprachigen Punks: Selbstbedienung!
Das wütende Trio ist seit letztem Jahr in neuer Besetzung mit Luana an Gitarre und Gesang unterwegs. Ein guter Grund also für ein neues Album mit gleich 13 neuen Songs sowie 3mal Gebabbel, alles von allerhöchster Güte, laut, lärmig, mitten ins Herz und in die Fresse. Gebabbel? Genau, das bezeichnet kurze Snippets, die vom ehemaligen Fussball-Europameister und Trainer Markus Babbel eingesprochen wurden. So wird das Album von ihm sympathisch eröffnet: «Willkommen bei Radio Antifa! Lehnt euch zurück, zieht eure Lieblings-Adiletten an und reisst eure Hütte ab!» Mit «Du bist» geht es gleich ruppig zur Sache und Selbstbedienung beweisen eindrücklich, dass sie nichts anbrennen lassen.
Es folgen 45 Minuten pure Punkrock-Freude. Die Vorabsingle «E.G.O.» ist ein glorreich schrammliges Brett, das so gekonnt und heftig mit toxischer Maskulinität ins Geschütz geht, wie schon lange kein Song mehr. Anderswo wird «Krieg», getreu dem Titel, mit genialem Text und brachialen Riffs jeden Moshpit zum Brennen bringen. Selbstbedienung können nicht nur wütend und aggressiv sein, die Band beweist auch einen glorreichen Sinn für Humor. Die formidable Anti-Nazi-Hymne «Sauerkrauts» etwa, die das leider stetig aktueller werdende Thema auf amüsante und sehr effektive Art und Weise behandelt.
Neben äusserst abwechslungsreicher Musik, grossartigem Sound und schubkarrenweise Kreativität zeichnen sich Selbstbedienung durch den vorzüglichen Gesang aus, den sich gefühlt alle Drei in der Band teilen. Dies lockert die Platte ungemein auf, so dass die erstaunlich lange Spielzeit kaum auffällt. Es passiert viel, sei es ein gelungenes Cover von David Bowies «Heroes» (auf Deutsch), eine wahrhaft glorreiche Referenz zum einzigartigen Herbert Grönemeyer in «Mensch» oder ein perfekt passendes Stelldichein von ZSK-Joshi im so doofen wie charmanten FC St. Pauli Loblied «Fight On».
Trotz aller kreativen Ausbrüche sind es schlussendlich die Texte, mit denen Selbstbedienung wirklich von sich reden machen. Es wird eine klare Kante gegen Rechts und für mehr Solidarität und Liebe gefahren, erfrischend und mit viel Wortwitz, aber stets 100% unmissverständlich. Gerade deswegen ist das geniale, abschliessende «2F1D» der vielleicht wichtigste Song des Albums. Die darin vorkommende Botschaft «Alles ist okay» können wir nämlich nur zu gut gebrauchen.
Selbstbedienung sind 2024 besser denn je. Das Trio sprudelt von Kreativität und das neuste Album trägt zu Recht den eigenen Bandnamen als Titel. Es ist ein Werk, auf das die Gruppe stolz sein kann. Einmal mehr beweist sich, dass unsere heimische Punk-Szene locker mit den grossen Nachbarn mithalten kann. Dass alles sowieso dann am besten ist, wenn sich die Grenzen vermischen, auch dies belegen Selbstbedienung hier wundervoll auf allen Ebenen.