Band: Rosie Tucker
Album: Sucker Supreme
Genre: Alternative Rock / Shoegaze
Label: Anti- Records
VÖ: 18. Juni 2021
Webseite: rosietuckermusic.com
Diese Metapher muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Rosie Tucker bezeichnet ihr neues Album „Sucker Supreme“ als Kabelschnur, die von einer Blechdose mit der Aufschrift „shitty now“ zur nächsten Büchse mit dem Etikett „sublime next“ führt. (Man kann das auf ihrer Bandcamp-Seite nachlesen). Das Album solle sie in eine demnach grandiose Zukunft führen, in der sie ständig mit ihrer Lieblingsband in einem Raum spielen könne (wobei diese Lieblingsband das Musikertrio ist, das Rosie auf dem Album begleitet).
„Sucker Supreme“ ist bereits Tuckers drittes Album – und shitty ist ein überaus abwertender Begriff für ihr bisheriges Oeuvre. Tucker hatte eine einprägsame Balance zwischen den üppigen, weichgezeichneten Elementen des Shoegaze-Sounds und der meist ins Gesicht produzierten Stimme und Gitarrenriffs gemäss Alternative Rock gefunden.
Von diesem Sound scheint sie nun die Nase voll zu haben – und doch will sie sich nicht gänzlich neu erfinden. Deswegen ist das Album eben auch eine Verbindung von der Vergangenheit in die Zukunft; das Neue funktioniert nicht ohne das Alte.
Was den neuen Rosie-Tucker-Sound ausmacht, zeigt der bislang meist-gestreamte neue Song „Ambrosia“ (über eine Million Streams auf Spotify) exemplarisch. Die shoegazige Soundwolke zieht zwar gleich zu Beginn des Songs auf, doch Gitarrist Jess Kallen bläst sie mit seinem geschlagenen verzerrten Gitarren-Groove weg, Tuckers sonnig-klares Organ und die hämmernden Drums von Jessy Reed machen sie kurz darauf ganz vergessen. Shoegaze auf dem Abstellgleis. Kleine Reminiszenzen gesteht Tucker dem Sound aber zu; in Form eines kurzen „Ah-ah-ah“-Parts, in dem die Stimme und die Riffs plötzlich massiv Hall erhalten und die Synth-Klänge die Herrschaft übernehmen. Es ist aber bloss ein kurzer, heftiger Regenschauer in einer ansonsten gänzlich anderen Wetterlage.
Das hat System. Meist ziehen sich diese vor allem synthigen Elemente zwar durch gesamte Songs hindurch, sind aber so klein und unscheinbar, dass man ihnen ganz bewusst folgen muss, will man sie hören. Dahinter steht Wolfy Sucks. „Er hat jene Teile gezeichnet, die man nicht wahrnimmt, damit das Auge auf das gerichtet ist, von dem ich will, dass du es siehst“, so Rosie Tucker auf Bandcamp zur Rolle des Musikers. Sehe man dennoch irgendein Glitzer oder Glimmer auf „Sucker Supreme“, dann trage Wolfy Schuld daran.
So ist Opener „Barbara Ann“ etwa ein fett durchgehämmerter Modern-Rock-Kracher, „For Sale: Ford Pinto“ eine in bester Bush- oder Nirvana-Manier geröhrte Grunge-Nummer – und „Brand New Beast“ ist so perfekter End-Neunziger-Alt-Rock, dass er wirklich jedes Shoegaze-Element erschlagen würde.
Aber Shoegaze-Fans müssen dennoch nicht verzweifeln: Rosie Tucker gedenkt die Leitung in die Vergangenheit keineswegs zu kappen. Ihre klare Stimme in den Raumtiefen zu verstecken ist zwar nahezu unmöglich, doch „Peach Pit“ ist zumindest ein Versuch in diese Richtung. Dazu kommen üppige Reverb-Effekte auf der Gitarre und ausufernde Synth-Pads, garniert mit elektronischen Glitzereffekten. Der am ehesten an die alte Rosie erinnernde Song ist ausgerechnet am Ende des Albums angeordnet – nur noch gefolgt vom Klangabsurdum namens „How was it?“, mit dem sie wohl wirklich genau dies wissen will.
Wenn sie schon so nett fragt, wollen wir das auch beantworten: Rosie Tucker irrt sich, wenn sie glaubt, ihr alter Sound sei „shitty“ gewesen. Sie irrt sich aber nicht, wenn sie glaubt, der neue sei gut. Denn die synthetische Klangkulisse für einmal etwas wegzuschälen, um zu sehen, was übrig bleibt, setzt ganz andere Kräfte frei. In der neuen Transparenz von Tuckers Sound kommen Melodien, Grooves und ihr messerscharfes Stimmorgan mehr zum Tragen. Doch der letzte echte Song auf dem Album zeigt dann eben auch, dass etwas üppigere Staffagen ihren Songs nicht zwangsläufig schaden. Tuckers neue Ideen in Ehren, aber sie soll bloss die Schnur zur alten Blechdose nicht durchtrennen.
Tracklist:
1. Barbara Ann
2. Habanero
3. Different Animals
4. Trim
5. For Sale: Ford Pinto
6. Ambrosia
7. Arrow
8. Creature Of Slime
9. Brand New Beast
10. Airport
11. Dog
12. Clinic Poem
13. Peach Pit
14. How Was It?
Bandmitglieder:
Rosie Tucker – Gesang
Jess Kallen – Gitarre
Wolfy Sucks – Synthesizer
Jessy Reed – Schlagzeug
Gründung:
2015
Text: David Kilchör