Band: Rick Wakeman
Album: The Red Planet
Genre: Space Rock / Progressive Rock / Synthie Pop
Label: Madfish Music
VÖ: 28. August 2020
Webseite: rwcc.com
Viele Errungenschaften der musikalischen Revolution in den 60er Jahren sind heute längst in Vergessenheit geraten. Das kann man auch über den Space Rock sagen, den Koryphäen wie die Beatles („Flying“) oder Jimi Hendrix („Third Stone From The Sun“ u.ä.) erfanden, Pink Floyd, ELO oder David Bowie später kultivierten und der dann wie vom Erdboden verschluckt wurde. Man kann natürlich Dream-Pop oder Stoner-Rock- und Shoegazing-Sachen wie Flying Saucer Attack oder The Flaming Lips als modifizierte Fortsetzung des Genres betrachten. Aber in seiner Urform ist der Space Rock sozusagen aus der Musikwelt getilgt worden.
Und hier – man stelle sich jetzt beim Lesen ein Fanfare digitaler Moog-Trompeten vor – klinkt sich good old Rick Wakeman ein. Sein rein instrumentaler Neuling „The Red Planet“ ist nicht nur eine Reminiszenz an das verloren geglaubte Genre, sondern auch ein Trip in die eigene Vergangenheit.
Man hat Wakeman vielleicht als On-and-Off-Mitglied von Yes auf dem Radar. Oder als Solokünstler, der sich mit Themenalben zu Historischem oder Literatur wie den sechs Frauen des Henri VIII., König Arthur, der Reise zum Mittelpunkt der Erde von Jules Verne oder Tolkiens Herr der Ringe ein paar Denkmäler des Prog Rocks setzte.
Das Keyboard-Genie hatte einen seiner ersten grossen Auftritte – damals noch als Studiomusiker – aber an der Seite von David Bowie auf dessen Song „Space Oddity“, einem der frühen Meisterwerke des Space Rocks. Und auch in seinem eigenen Oeuvre finden sich Abstecher ins Genre, etwa die beiden Themenalben „No Earthly Connection“ oder sein akustisches Planetarium von 1984, „Beyond The Planets“.
„The Red Planet“ nun ist – wenig erstaunlich – Mars gewidmet. Dass er dem roten Planeten die Kriegsmetaphorik des alten Roms andichtet, hat er schon 1984 unterstrichen. Der Mars-Vertonung verlieh er im Titel den Anhang „The Bringer Of War“. Den Song läutete er damals nicht nur mit einem kriegslustigen Tamburen-Marsch-Muster ein, sondern unterlegte ihn über die gesamte Dauer damit. Ein Sujet, das er im Eingangs-, wie auch im Ausgangslied des neuen Albums aufgreift. Dazu kommen die pathos-betonenden digitalen Frauenchoräle, die er schon in den 80ern über den Mars-Marsch schweben liess und nun – in mittlerweile beträchtlich authentischerer Form – auf dem neuen Album zurückkehren lässt.
Die einzelnen Kompositionen betitelt Rick Wakeman nach wichtigen geographischen Punkten des Planeten; insbesondere Vulkanen, aber auch Schluchten oder Plateaus. Die Titel laden ein, sich mit der Beschaffenheit von Mars auseinanderzusetzen. Man kann sie aber auch getrost vergessen und einfach hören, welche geistigen Bilder des Weltalls sich in Wakemans kreativem Geist zu Klängen entwickelt haben und sich dabei seine eigene Version eines Planeten zurechtträumen.
Der Eingangssong, „Ascreaus Mons“ (eine von fünf Vulkan-Kompositionen) funktioniert für Wakemans Verhältnisse erstaunlich unkompliziert. Den Vierviertel-Marsch-Groove intoniert er mit einer Orgel, die Akkorde sind einer klassischen Moll-Abfolge entlang verteilt. Moog-Cembalos und Elektrotrompeten treiben die Verspieltheit des Songs langsam vorwärts, machen dann besagten Frauenchören Platz. Das Ankommen auf dem Mars ist menschlich, greifbar, tonal. Doch mit zunehmender Laufzeit, wird der Song nicht nur wilder, sondern auch komplexer. Die Akkordfolgen verzetteln sich, die Abläufe brechen und verdrehen sich. Auf diese Weise lässt er die irdische Rationalität zurück und läutet den Rest des Albums ein.
Schon der nächste Song „Tharsis Tholus“ – Vulkan Nummer zwei – nimmt das Spiel zwischen Ohrenschmeichelei und melodiösen Brüchen wieder auf. Neckisch startet er fast wie Elton Johns schwülstige Ballade „Little Jeannie“, doch die samtigen Synthklänge sind ein Täuschmanöver, hinter dem sich ein abgründiges Spiel mit den Gefühlen versteckt. Zwar betören die gewählten samtigen Synth-Sounds das Ohr, doch die Melodie wirbelt wild durch die Tonarten, bis plötzlich wie aus dem Nichts Sechzehnteltriolen die Erde zur Eruption bringen, deren Nachbeben aus versteckten Metal-Riffs und später einem irrwitzig improvisierten hellen Moog-Sound bestehen.
Angenehm leichtverdaulich ist das Album spätestens ab hier nicht mehr. Aber man will Mars auch nicht leicht verdauen. Und wer sich auf die universalen Klangbetrachtungen des Pianogottes einlässt, wird mit einigen Geniestreichen belohnt. Erwähnt sei etwa „Olympus Mons“ (wieder ein Vulkan), in dem der Pianist seiner Synthlinie eine gegenläufige Bassmelodie unterlegt – dabei flitzen die beiden wie Sinus- und Cosinus-Kurven durch die erste Hälfte des Songs, praktisch ohne Berührungspunkte, doch mit höchster geometrischer Eleganz.
Das grosse Feuerwerk zündet Rick Wakeman im letzten Track „Valles Marineris“. Den Kriegsmarsch schlägt nun tatsächlich der Schlagzeuger tamburenmässig auf seinem Snare, leise knurrt eine verzerrte Gitarre mit. Doch, entfremdet durch die gute Dreiviertelstunde auf dem Planeten, ist das alles andere als marschtauglich. Zunächst im Siebenachtel-, dann im Sechsachtel-Takt führt er den klassischen Kriegsgedanken nach vierzähliger Schlagmathematik ad absurbum. Wie ein tanzender Derwisch wirbelt der Bass darüber, Gitarre und Synth übernehmen den ekstatischen Tanz. Doch alsbald öffnet sich die Komposition, die Trommeln werden leiser, die Pads indes weitläufig und breit und schaffen Raum für ein Stelldichein einiger der exklusivsten Synthsound, die der Altmeister abzurufen weiss. Elektronische Glockenspiele, im Raum herumhüpfende Moogs, hallübersteuerte Querflöten, die digitalen Fanfaretrompeten vom Anfang, weichgespülte Kettensägensynths, Wahwah-Wurlitzer – wer die Musse hat, hinzuhören, wird wahre Wunderwerke der synthetischen Klangkultur entdecken. Der letzte Song vermag damit in zehn Minuten zu komprimieren, was das gesamte Werk verkörpert. Space Rock ist zurück, dank Rick Wakeman – und dem roten Planeten.
Tracklist:
1. Ascraeus Mons
2. Tharsis Tholus
3. Arsia Mons
4. Olympus Mons
5. The North Plain
6. Pavonis Mons
7. South Pole
8. Valles Marineris
Bandmitglieder:
Rick Wakeman – Keyboard
Dave Colquhoun – Gitarren
Lee Pomeroy – Bass
Ash Soan – Schlagzeug
Gründung:
1969
Text: David Kilchoer