Warner Records / VÖ: 1. April 2022 / Funk-Rock, Rap, Metal
redhotchilipeppers.com
Text: David Kilchoer
Mit «Mother’s Milk» von 1989 erfanden die Red Hot Chili Peppers ihren Sound. Über 30 Jahre später ist er ihr Markenzeichen – und ihr Korsett. Mit Letzterem hat die Band jahrelang gehadert. «Unlimited Love» schliesst nun Frieden mit dem, was die Red Hot Chili Peppers nicht ändern können – und macht das Beste draus.
Sechs Jahre sind ins Land gezogen seit «The Getaway», einem durchaus erfolgreichen und von Kritikern positiv beurteilten Album. Doch in die Liga der Überfliegeralben der Band schaffte es «The Getaway» nicht.
Die Gründe dafür mögen mannigfaltig sein – einer ist aber unumstritten: Der «falsche» Gitarrist. Für Chili-Pepper-Puristen gibt’s nur den Einen: John Frusciante. Und der ist nun zurück in den Bandreihen. Zeit also, sich auf die besten Zeiten zu besinnen. Das waren die drei Alben «Blood Sex Sugar Magik» (1991), «Californication» (1999) und «By The Way» (2002).
Nebst dem Quartett Frusciante, Anthony Kiedis (Gesang), Chad Smith (Drums) und Flea (Bass) haben die drei Alben zwei weitere Gemeinsamkeiten: erstens Produzent Rick Rubin. Und zweiten das minimale Musikerpersonal bei den Aufnahmen, fast ausschliesslich aus den vier Hauptakteuren bestehend.
Gerade der Vergleich zwischen Vorgänger «The Getaway» und «Unlimited Love» fällt frappant aus: 20 zusätzliche Musiker waren vor sechs Jahren notiert – von Chorsängern bis zum Kammerorchester – ein einziger ist es heute (Perkussionist Lenny Castro auf «Poster Child»).
Die Kreativität, um das Funk-Rock-Rap-Metal-Korsett der Chili Peppers auszugestalten, muss die Band also in sich selbst finden. John Frusciantes Rückkehr wirkt da Wunder – vom ersten Song an. Mit schummrig-vibrierendem Zupfmuster läutet er «Black Summer» ein. Statt ein Feuerwerk zu zünden, schleicht sich die Band ins Album hinein – lässt dieses Feuerwerk dann aber etwas verschmitzt knapp eine Minute später im Refrain los. Ein Intro ohne Stadionrefrain wäre dann doch ein Affront für die Fans.
Diese verschmitzte Seite entdeckt man im Weiteren immer wieder. «Aquatic Mouth Dance» gaukelt zunächst vor, eine Neuauflage von «Can’t Stop» vom Album «By The Way» zu sein. Doch der funky Höchsttempo-Basslauf erweist sich als Chill-Out-Groove. Es kommt kein Stadion-Refrain, stattdessen bläst Flea wilde Jazz-Trompeten-Soli über seine Basslinie.
In «The Great Apes» wirft das Quartett sogar kurzzeitig eine alte Tugend über Bord. Jene, dass kein Instrument das Recht hat, einen knallenden Refrain zu zerstören. Denn Frusciante greift sich die Gitarre, überdreht sie, bis sich der Sound überschlägt – und begräbt die Melodie unter sich.
An diese kleine Fan-Enttäuschung hängen die Red Hot Chili Peppers mit «It’s Only Natural» dafür eine der zartesten Balladen, die sie bislang komponiert und aufgenommen hat. Frusciantes Gitarre schimmert sanft im Hintergrund der Strophen, macht kalifornischen Beach-Boys-Chören im Refrain Platz, glitzert im Solo wie tausend Sterne und jammert den Song im Outro schliesslich in einen Blues hinein.
Kurz vor Schluss kommt mit «The Heavy Wing» ein besonderes Juwel des Albums – nicht unbedingt aus tonaler Hinsicht. Es ist wenig eingängig, wirkt wie eine wilde Klang-Collage und fällt auch stilistisch mit Soundelementen von Nirvana bis Sonic Youth aus dem Rahmen. Doch zugleich feiert der Song Frusciantes Rückkehr wie kein anderer. Zunächst spielt er die Intro-Linie synchron mit Bassist Flea, dann singt er den Refrain ebenso synchron mit Kiedis. Die 15 Tracks davor finden im zweitletzten damit eine Konklusion. Das akustische «Tangelo» ist eine Zugabe, um die Fans versöhnlich zu entlassen. Ein Schluss, ähnlich wie 1999 bei «Californication». «Road Trippin’» war damals ein Höhepunkt. Und «Tangelo» ist es heute.