Republic Records / VÖ: 27. März 2020 / Alternative Rock, Grunge
pearljam.com
Text: Michael Messerli
Überleben. Den Preis dafür haben Pearl Jam immer selber festgelegt. Reunions, Comebacks und Suizide: Das alles konnten sie glücklicherweise umgehen. Sie haben bis zu dem Moment durchgehalten, ab dem es plötzlich einfacher wurde, eine sehr bekannte Band zu sein. Das zeigt auch ein Blick in den Rückspiegel: Vor fast 20 Jahren spielten Pearl Jam in Zürich, die Stimmung war entspannt, beinahe ruhig. In der breiten öffentlichen Wahrnehmung waren sie damals eine Band, die es einfach immer noch gab. Heute veröffentlichen sie vermehrt Videos, vermarkten ihre Musik so breit wie noch nie und ärgern ihre Fans mit horrend hohen Ticketpreisen. Und trotzdem gehen alle hin. Es hat sich viel verändert seit “Binaural“. Plötzlich sind Pearl Jam wieder ganz gross im Geschäft. Rockdinosaurier – beinahe die letzten ihrer Art.
Stone Gossard meinte auf Facebook sinngemäss, dass sich die Band so wohl in ihrer Haut fühle wie noch nie. Dies vielleicht auch als Reaktion auf das vorerst letzte Album „Lightning Bolt„: Eine uninspirierte Ansammlung schwacher, teilweise kitschiger Rocksongs einer – wüsste man es nicht besser – sentimentalen Altherren-Rockband. Pearl Jam waren immer schon eine ziemlich wandelfähige Angelegenheit. Und so erstaunt es nicht, dass sie sich sieben Jahre nach diesem Ausrutscher wieder fangen. Mit Ausnahme des bald schon traditionell scheusslichen Albumcovers. Doch die Aufnahme des Kanadiers Paul Nicklen passt zum Titel und das Thema zu Pearl Jam. Die Sorge ums Klima treibt die Band schon seit langem um.
Der Sound von “Gigaton“ fügt sich in eine Reihe mit den beiden Vorgängern, ausser “Dance Of The Clairvoyants“ natürlich. Die erste Single sorgte für Aufregung, der funkige erste Teil des Songs passte nicht allen. Dabei war es genau das Zeichen, das es nach “Lightning Bolt“ brauchte: Das hier wird anders. Besser. Ein bisschen enttäuscht muss man dann beim ersten Hördurchgang feststellen, dass “Gigaton“ im Grunde genommen ein recht klassisches Rockalbum geworden ist. Pearl Jam haben sich einen kleinen Hang zum Kitsch bewahrt, dem die Wut immer mehr weichen muss. Und wen “Dance Of The Clairvoyants“ aufregte, der scheint zu vergessen, dass die Band aus Seattle bereits Songs wie “You Are“ oder ein Album wie “Binaural“ aufgenommen hat. Experimente gehören bei ihr zum Programm. Eine komplette Kehrtwende hingegen nicht.
So versammeln sich auf “Gigaton“ denn auch musikalische Bezüge zu alten Helden und zu sich selber, ausser es schimmern die individuellen Schreibkünste einzelner Bandmitglieder klarer durch, wie im verspielten “Buckle Up“ (Stone Gossard), im entspannten “Alright“ (Jeff Ament) oder im Geheimfavoriten “Take The Long Way“ (Matt Cameron). Der Schlagzeuger von Soundgarden ist seit “Binaural“ eine grosse Bereicherung im Songwriting der Band. Wäre er für eine Mehrheit der Songs zuständig, Pearl Jam klängen anders, aufregender und vertrackter. Aber die Fan-Basis knabbert noch am Tanz der Hellseher und muss diesen zuerst verdauen. Das ist beim elften Album und im 30. Jahr einer Band auch verständlich. Man wird zusammen älter und arrangiert sich. “Gigaton“ ist ein solides Rockalbum, gegen Ende etwas zu lang geraten und eine stimmige Ausgangslage für das, was Pearl Jam immer noch perfekt beherrschen: ihre Live-Auftritte.