Datum: 30. Juni – 3. Juli 2011
Ort: Sittertobel – St. Gallen
Off. Website: www.openairsg.ch
Das St. Galler Openair ohne Regen und Schlamm? Unmöglich. Auch dieses Jahr hat sich Petrus wieder etwas einfallen lassen. Er liess kurzerhand bereits am Mittwoch das Openair-Gelände aufweichen. Ein Openair ohne sturzbesoffene und sich übergebende Teenager? Auch dies unmöglich. Und dennoch, wer vergangenes Wochenende nicht im St. Galler Sittertobel war, der hat wahrlich eines der besten Schweizer Openairs in diesem Sommer verpasst. Zwar haben die grössten der Grossen gelangweilte oder arg kurze Shows geliefert, dafür gab es beim restlichen Line-Up sichere Werte, grandiose Highlights und wunderschöne Bijoux zu entdecken.
Eröffnet wurde das Festival auf der Sternenbühne im Zelt vom Schwedischen Duo Johnossi. Mit Druck und Leidenschaft brachten die beiden Musiker das Zelt zum Beben. Und obwohl das Gelände erst gerade geöffnet wurde und die fröhlichen Camperlein erst langsam ins Gelände stolperten, hatte sich schon eine ansehnliche Anzahl rockender Besucher im Zelt zusammengefunden. Johnossi waren definitiv das erste Highlight des Festivals. Um Mitternacht rockten die Mashup-Musiker Smith & Smart die Marlboro Wah Wah Woom-Bühne. Mit Witz und Energie wussten die Berliner zu überzeugen.
Am Freitag ging’s dann auch auf der Hauptbühne los – die ersten grossen Namen waren im Line-Up zu finden. Für Liebhaber des deutschen Sprechgesangs rappten sich Blumentopf und Die Fantastischen Vier die Wörter aus der Seele. Leider gingen es Fanta 4 etwas arg uneuphorisch an. Auch war nicht alles live, was die Ohren der Fans erreichte. Zu guter Letzt hatten die Stuttgarter nicht einmal die Grösse, ihren Fans den vielgewünschten Hit „Die da“ zu schenken. Schade, schade. Etwas mehr Dankbarkeit wäre angebracht, verdanken sie doch genau diesem Song ihre grosse Berühmtheit. Der deutsche Elektroact Digitalism war dafür noch fetter als erwartet. Die Beats pumpten durchs Gelände und die Lichtshow und Visuals zuckten durch die Nacht.
Schwermütiger Rock und abgefahrene Shows
Freunde des schwermütigen Rocks kamen am Freitag voll auf ihre Kosten. The Young Gods aus der Westschweiz, die schwedischen Indie-Rocker Friska Viljor und die britische Rockband Elbow verzauberten in druckvoll melancholischen und schwebenden Sphären die Zuschauer. Abgefahren und extrovertiert ging es auf der Sternenbühne zu und her. Wie soll man in Worte fassen, was die New Yorker Afroamerikaner von TV On The Radio für Musik machen? Keine einfache Aufgabe. Avantgardistischer Rock mit Afrostimmen, Indie-Gitarren und Hintergrundbläsern. Eine spannende Kombination. Die soulige Janelle Monáe bot ein Schauspiel mit Verkleidungen und starker Stimme. Doch richtig Stimmung wollte nicht aufkommen.
Wer sich am Samstag rechtzeitig aus dem Zelt schleppen konnte, der hatte es streng. Denn von 12 Uhr mittags bis 3 Uhr nachts gaben sich tolle Bands die Klinke in die Hand. Die Luzerner Alvin Zealot sind wahre Meister der schmerzend schönen Melancholie. Ein Bijou der Schweizer Indie-Rock-Szene. Die Amerikaner Mona waren eine weitere Entdeckung. Häufig werden sie die kleinen Brüder von Kings Of Leon genannt. Man hört warum. Dennoch haben die Jungs schon jetzt auch Eigenständigkeit. Von Mona werden wir noch hören. Da bin ich mir sicher.
Deutscher Punkrock der nicht stringenter sein könnte. Die Rede ist von Turbostaat. Die Jungs aus Norddeutschland rissen die Zuschauer der Sternenbühne mit sich und überzeugten mit ihren wütenden Songs. Und dann betrat Lissie die Bühne. Lissie, die amerikanische Singersongwriterin, die eine Stimme hat, die man ihr nicht geben würde. Lissie, die einem weghaut und in den Himmel singt. Lissie, die das Herz zu berühren weiss. Ja, Lissie war definitiv eines der grossen Highlights des Festivals.
Sichere Werte und ein langweiliger Headliner
Zu den sicheren Werten gehörten an diesem Samstag das australische John Butler Trio, Wir sind Helden aus Deutschland und die Schottischen Postrocker Mogwai. Auch die Co-Headliner Hurts lieferten eine perfekte und gute Show. Mit ihren gestriegelten synthetischen 80er Pop-Songs und ihrem androgynen Aussehen präsentierten sie den Fans eine gelungene Show. Bloss die Tänzerin hätten sie zu Hause lassen können, denn die war mit ihren eigenartigen Posen doch etwas verloren auf der grossen Bühne. Dann betraten Linkin Park die Bühne. Welche Enttäuschung! Eine langweilige Show von Musikern, die ihre Fans nicht mehr wahrzunehmen scheinen.
Und schon brach der letzte Festivaltag an. Sonnenschein und gute Laune waren auf dem Gelände anzutreffen. Nach den Schweizern Traktorkestar und Gustav betrat Baschi zum ersten Mal die Hauptbühne im St. Galler Sittertobel. Und obwohl er dies bereits um viertel vor eins tat, stand ein Meer von Fans vor der Bühne und bejubelten ihn. Eine solide Show, die mit Leidenschaft und Innigkeit gespielt wurde. Spätestens bei „Bringen en hei“ hatte der Basler die Fans voll und ganz in der Hand.
Die Amerikaner von The National wären zwar besser in einer Halle aufgehoben, denn auf einer Festivalbühne am strahlenden Nachmittag, trotzdem konnte Frontmann Matt Berninger die Konzertbesucher mit seinen schleppenden Rocksongs und guten verbalen Intermezzi abholen. Ein wohl noch oder wieder betrunkener Teenager warf einen Gegenstand auf die Bühne. Die Band nahm’s locker. Er hätte schon viel erlebt, meint der Sänger, aber eine Zahnbürste sei ihm während eines Konzertes nun doch noch nie offeriert worden. Singend mit dem Mikrofon in der Hand stürmte er in die Menge und kämpfte sich bis zum Wellenbrecher vor. Ein Fluch für die Sicherheitsmannschaft, ein Fest für die Besucher.
Ein tobendes Aufbäumen vor dem abrupten Ende
Dann stürmten die Deutschrocker Beatsteaks die Bühne und brachten St. Gallen zum Mitsingen. Eine tolle Festivalband, die genau weiss, was ihre Fans wollen. Zu guter Letzt der krönende Abschluss. Die Meister des Stonerrocks latschten unprätentiös auf die Bühne und stimmten gleich zu Beginn „Little Sister“, einen ihrer grössten Hits an. Queens Of The Stone Age, definitiv ein Highlight wie auch ein sicherer Wert. Einige Fans sind eigens für die Amerikaner angereist.
Die Band nahm uns mit auf eine Reise durch die brütende Wüste, durch die nächtlichen Clubs, durch ihre Bandgeschichte. Der einzige Headliner, der musikalisch voll und ganz überzeugt. Doch plötzlich, nach bloss einer Stunde, bäumt sich die Band zu einem grossen Finale auf, verabschiedet sich und verlässt die Bühne. Zurück bleiben ratlose Fans, die es nicht glauben konnten, dass ihre grossen Helden ein so kurzes Konzert spielen und so plötzlich wieder verschwinden. Nach einigen Tagen verzeiht man ihnen, vielleicht.
Das Fazit vom diesjährigen St. Galler Openair bleibt aber definitiv ein ausserordentlich gutes. Wie soll es auch anders sein, wenn man ein Festivalprogramm vorfindet, das mit Johnossi eröffnet und Queens Of The Stone Age endet. Dies muss einfach Himmel auf Erden jedes Musikfans sein.
Geschrieben von: Nicole Göbel