Warner Music / VÖ: 28. Januar 2022 / Alternative Rock
madrugada.no
Text: Cornelia Hüsser
Eigentlich war die Geschichte von Madrugada schon zu einem tragischen Ende gekommen, als Gitarrist Robert Burås 2007 – inmitten der Arbeit am schliesslich schlicht «Madrugada» betitelten Album, das ihr vorerst letztes bleiben sollte – verstarb. Es wurde während über zehn Jahren still um die Band.
2019 kam dann überraschend so etwas wie ein Live-Comeback: zum 20jährigen Jubiläum ihres Debüts «Industrial Silence» begaben sich Madrugada erstmals wieder auf Tournee. Und durften dabei feststellen, dass das Interesse an ihrer Musik keineswegs nachgelassen hatte – im Gegenteil. (Nur allzu gerne erinnern wir uns an die Show in Zürich zurück.) Da man aber nicht für alle Ewigkeiten auf der Nostalgiewelle surfen kann, musste für weitere Konzerte neue Musik geschrieben werden.
Und nun halten wir es also in den Händen: das erste Album, das seit der langen Pause in der norwegischen Melancholie-Schmiede Nummer eins entstanden ist. Dass «Chimes At Midnight» noch immer ganz eindeutig nach Madrugada klingt, dürfte mehrere Gründe haben. Zum einen ist da die zeitliche Nähe zu den «Industrial Silence»-Shows und die direkte Verbindung zu den prägenden Jahren der Band; zum anderen stammen einige Songs wie «The World Could Be Falling Down» oder «Slowly Turns The Wheel» tatsächlich noch aus aktiven Zeiten, wurden aber erst jetzt ausgearbeitet und aufgenommen.
Tatsächlich bedarf es nur weniger Takte, damit uns der Opener «Nobody Loves You Like I Do» hinein ins alte Madrugada-Feeling katapultiert. Sivert Høyems Stimme ist unverkennbar und erzeugt sofort die typisch wehmütig-warme Grundstimmung, die die Band auszeichnet. Nach dem fast schon Stadionrock-tauglichen Zwischenstopp «Running From The Love Of Your Life» geht es für den Rest des Albums dann aber eher gediegen zu und her. Da stechen mal ein nettes Gitarrensolo («Stabat Mater») oder ein atmosphärischer Aufbau («Call My Name») hervor – die ganz grossen Ausbrüche bleiben aber aus.
Damit fehlt «Chimes At Midnight» etwas, was die vergangenen Alben von Madrugada so grossartig gemacht hat. Songs wie «Belladonna», «Black Mambo» oder «Subterranean Sunlight» waren intensiv, laut und eben auch ein bisschen roh. Fast scheint es, dass man nun – erwachsen geworden – auf den Geschmack von Kaminfeuer und Kuscheldecken gekommen ist. Das ist nicht unbedingt negativ, insbesondere wenn man die Songs für sich betrachtet: Songwriting, Melodien, Aufbau – das können sie. Nur wird es auf die Dauer von gut einer Stunde etwas langweilig.
Trotzdem darf man auf die angekündigte Tour gespannt sein. Live wirkt Musik immer intensiver, und bei Madrugada habe ich keine Zweifel, dass sie auf der Bühne aus jedem ihrer Songs das Maximum herauskitzeln. Wer es selber wagen möchte, kann das in der Schweiz am 22. März im Fri-Son oder tags darauf im Komplex 457 tun. Abschliessend bliebt nur zu sagen: Schön, sind sie wieder da – und schön, dürfen wir wieder Konzerte geniessen.